Militärs in Regenbogen-Farben
Queer, Militär, Ukraine, Freiheit
In der Ukraine kämpfen queere Aktivist:innen in der Armee, um die Freiheit ihres Landes und die Freiheit queeren Lebens zu verteidigen. Ein Gespräch über Queers im Militär mit einem ehemaligen Militärseelsorger.

Letztes Wochenende jährte sich zum zweiten Mal der Jahrestag des russischen Angriffs auf die Ukraine. Haben wir uns an diesen Krieg gewöhnt? Manchmal habe ich fast den Eindruck: Bilder unsäglichen Leids flimmern über unsere Bildschirme, doch sie rühren uns nicht mehr so an wie früher.

Der ukrainische Präsident Selenski nannte im Vorfeld dieses traurigen Jahrestages erstmals eine Zahl von gefallenen ukrainischen Soldat:innen: 30.000 sollen es inzwischen sein - mehr als eine Kleinstadt. Und gerade in dieser Menge schon wieder schwer vorzustellen.

Die Süddeutsche Zeitung hat in ihrer Ausgabe vom 24. Februar dieser unvorstellbaren Zahl wieder Gesichter gegeben: Im Buch Zwei portraitiert sie vierzehn Ukrainer:innen, die in diesem Krieg ihr Leben gelassen haben. Einer von ihnen ist Roman Tkatschenko, ein queerer Aktivist. Sein Freund Zodiac erzählt, dass Roman noch am ersten Tag des russischen Angriffs beschlossen habe, sich als Freiwilliger zu melden: "Er wusste, wie Schwule in Russland verfolgt werden, vor allem in Tschetschenien. Er begriff sofort: Das war ein Angriff auf die Ukraine, auf das Ukrainertum und auf seine Identität." Selbst im Kampf an der Front bleibt Roman queerer Aktivist: Um das Maschinengewehr wickelt er ein Regenbogenband, auf seiner Uniform prangt ein Einhorn in Tarnfarben. Nur rund drei Monate nach dem russischen Angriff, am 31. Mai 2022, stirbt Roman Tkatschenko bei einem russischen Angriff auf seine Stellung in Kupjansk.

Romans Geschichte bewegt mich sehr - aus zweierlei Gründen: Zum einen, weil mich die Entschlossenheit beeindruckt, mit der ein queerer Aktivist hier sein Leben dem Kampf für umfassende Freiheit widmet, zum anderen, weil er scheinbar als offen - sehr offen - schwuler Mann seinen Platz im Militär hatte. Das war in Deutschland lange Zeit anders, erinnere ich mich - und beschließe mit Wolfgang Scheel zu sprechen, einem queeren Kollegen, der viele Jahre Seelsorger in der Bundeswehr war.

Wolfgang, wie hast du als queerer Seelsorger die Bundeswehr erlebt?

Ich fand bemerkenswert, wie die Bundeswehr sich während meiner zwölf Jahre als Militärpfarrer seit dem Jahr 2000 von einer queerunfreundlichen zu einer queerfreundlichen Institution entwickelt hat.

Ich habe erlebt, dass die meisten Soldaten, vor allem Vorgesetzte, die ja nicht selten aus konservativen Milieus stammen, sich mehr und mehr um Verständnis und Achtung queerer Menschen bemühten.

Gerade unter jungen Rekruten herrschte aber manchmal eine queerunfreundliche Stimmung, so dass ein queerer Soldat sich lieber mir zunächst anvertraute, als sich vor den Kamerad:innen zu outen.

Ich hatte eine wöchentliche Queer-Kaffee-Runde bei mir in der Dienststelle, bei der auch manche Soldaten zu mehr queerem Selbstbewusstsein fanden.

Gibt es denn eine explizite Queer-Strategie der Bundeswehr - und wie sieht diese aus?

Eine "Queer-Strategie" gab es eigentlich schon immer, nur viele Jahre mit dem Ziel der Ausgrenzung und Entlassung von Homosexuellen aus der Bundeswehr. Nach der Aufhebung der umfassenden Strafbarkeit 1969 wurden Homosexuelle oft aus „gesundheitlichen“ Gründen entlassen, später standen ihnen nur einige Dienstposten zur Verfügung, vorzugsweise mit wenig Menschenkontakt. Im Jahr 2017 ordnete Verteidigungsministerin von der Leyen eine Untersuchung dieser Entlassungen mit dem Ziel von Entschädigungen an.

Die wertschätzende "Zeitenwende" geschah im Jahr 2000: Die Klagen von Soldaten gegen ihre dienstliche Diskriminierung hatten Erfolg – in Kombination mit der neuen, queerfreundlichen, sozialdemokratisch-grünen Bundesregierung. Eine Reihe von Bundeswehrvorschriften wurden seitdem queerfreundlich geändert: Schon im Jahr 2000 waren mit der Formulierung "Toleranz gegenüber ... nicht strafbewehrten sexuellen Orientierungen" nicht nur Homosexuelle gemeint, sondern eigentlich die Menschen, die wir heute als "Queers" bezeichnen. Seit 2000 verlangten die Bundeswehr-Vorschriften - weit über die Regelungen an anderen Arbeitsplätzen hinausgehend - dass Vorgesetzte nicht nur nicht diskriminieren dürfen, sondern sich aktiv für Toleranz einsetzen müssen und dass davon auch die weiteren Beförderungen abhängen.

Zur Queerstrategie gehören auch die Wehrbeauftragten, die zum Beispiel in ihren Jahresberichten Diskriminierungen von Queers als dienstliche Mängel benennen. 

Der Verein aktiver und ehemaliger queerer Bundeswehrangehöriger (früher AHSAB, jetzt queerbw.de), dessen Mitglied ich bin, arbeitet beständig an der Queerfreundlichkeit und am Abbau letzter Diskriminierungen und steht im regelmäßigen Kontakt zur Bundeswehrführung.

Welche Erfahrungen machen queere Soldat:innen in der Bundeswehr heute?

Sie erleben mehr und mehr Wertschätzung. Viele junge Soldat:innen gehen selbstverständlich mit ihrer Queerness um und bekommen auch die Möglichkeit, junge Soldat:innen  am Einführungstag auf die Queer-Angebote in der Kaserne hinzuweisen. Die Bewerbungszentren weisen ausdrücklich auf die Queer-Toleranz hin. Auch Trans-Soldat:innen sind willkommen, die körperliche Angleichung und Medikamente werden wie andere medizinische Behandlungen von der Bundeswehr finanziert.

Roman Tkatschenko hat sich als Freiwilliger gemeldet, weil er überzeugt war, dass er nur im aktiven Kampf gegen Russland unsere queere Freiheit verteidigen kann. Wie hängen für dich queere Freiheit, politische Freiheit und wirtschaftliche Freiheit zusammen?

Politisch-gesellschaftliche Freiheit ist nicht vollständig ohne queere Freiheit, aber es ist eine Diktatur mit queerer Freiheit denkbar (in gewisser Weise das Frankreich Napoleons, die frühe Sowjetunion und die DDR) oder auch ein freiheitlicher Staat, dessen Freiheitsraum ausgerechnet bei queeren Rechten endet (Bundesrepublik Deutschland bis 1969).

Ebenso ist es denkbar, dass ein Staat eine liberale Wirtschaftsordnung hat und queeres Leben diskriminiert und auch umgekehrt.

Braucht es also mehr Queers im Militär, um unsere Freiheit zu verteidigen?

Es braucht nicht unbedingt Queers, es könnten aber auch alle Soldaten:innen queer sein. Als Queer-Person zur Bundeswehr zu gehen, sollte so normal sein wie als Kurzsichtiger oder Linkshänderin - ohne besondere Quote. In unserer Gruppe MunichKiewQueer hören wir Berichte von Menschen wie diesem queeren Soldat, der sagt: "Jetzt leistet die LGBTIQ*-Community den gleichen Beitrag zur Verteidigung der Ukraine wie jedes andere Mitglied der Gesellschaft. Und damit entlarvt die Community Tausende von Stereotypen, insbesondere, dass homosexuelle Männer … trans*Männer, Lesben nicht kämpfen können." Nach dem Krieg wird das ein äußerst mächtiges Advocacy-Instrument für den Aufbau einer inklusiven, toleranten Gesellschaft in der Urkaine sein.