In wenigen Tagen beginnt Chanukka, jenes achttägige jüdische Lichterfest, das zwar immer in zeitlicher Nähe zum christlichen Weihnachtsfest stattfindet, aber letztlich einen anderen Ursprung hat.
Die Überlieferung erinnert, so ist es etwa auf der Online-Seite der Jüdischen Allgemeinen zu lesen, an die Wiedereinweihung des Zweiten Tempels in Jerusalem im Jahr 165 v.Chr. Ihr ging ein Aufstand der Makkabäer gegen pro-griechische Juden und makedonische Syrer voraus. Der traditionelle jüdische Tempeldienst sollte wieder eingeführt werden. Für den siebenarmigen Leuchter, der niemals erlöschen sollte, bedurfte es geweihten Öls. Aber im geschändeten Tempel fand sich nur ein kleiner Rest koscheren Öls, gerade mal genug für einen Tag. Um neues Öl herzustellen, bedurfte es aber acht Tage. Doch – o Wunder – das Licht verlosch nicht, bis das neue Öl hergestellt worden war. Eine erstaunliche Form plötzlicher Nachhaltigkeit, die die Bedeutung der Befreiung von Unterdrückung, der Bewahrung von Religion, von Selbstbehauptung aufscheinen lassen soll.
Ich weiß nicht, wie Jüdinnen und Juden nach dem Angriff der Terrororganisation Hamas auf Israel am 7. Oktober das Chanukka-Fest begehen werden. Vielleicht bietet es, insofern es auch etwas von „Durchhalten“ erzählt, trotzdem Trost in kriegerischen Zeiten.
Vor fünf Jahren wurde Keshet Deutschland gegründet, um, laut Internetseite der Initiative, „die Rechte von und den Umgang mit jüdischen LGBTIQ+ in Deutschland zu fördern“. Queere Menschen, queeres Leben solle „in jüdischen Gemeinden, aber auch in der deutschen Mehrheitsgesellschaft sichtbar und selbstverständlich“ gemacht werden. Keshet ist das hebräische Wort für Regenbogen.
In einem ausführlichen Interview befragt Marcel Malachowski im Online-Magazin queer.de Monty Ott, Politikwissenschaftler und Mitbegründer von Keshet. Er beschreibt seine Emotionen auf das Massaker am 7. Oktober als Erschütterung bis ins Mark. Schnell wird bewusst, dass der Angriff nicht ohne Folgen für die in Deutschland lebenden Jüdinnen und Juden bleiben wird. „Zu der Botschaft der Hamas, dass der millionenfache Mord an Jüdinnen*Juden mit all seiner Grausamkeit jederzeit wiederholt werden könnte“, sei eine „abstrakte Bedrohungslage in Deutschland“ getreten. „Jederzeit könnte es zu gewalttätigen Angriffen auf Jüdinnen*Juden und jüdische Einrichtungen kommen. Das ist, und das möchte ich ausdrücklich betonen, eine existenzielle Bedrohung.“
Laut Bundesverband der Recherchen- und Informationsstellen Antisemitismus ist die Zahl der antisemitischen Vorfälle seit dem 7. Oktober drastisch angestiegen. Diese reichen von antisemitischen Schmierereien bis zu körperlichen Attacken. In einem Fall drangen Männer sogar in die Wohnung eines Mannes ein, der eine Israel-Flagge aus dem Fenster gehängt hatte. (Meldungen vom 28.11.23 auf evangelisch.de und tagesschau.de)
Beim Lesen des Interviews und dieser Meldungen kam mir immer wieder ein Gedanke in den Sinn: In einem Land, in dem Jüdinnen und Juden nicht frei leben können, in dem sie im Alltag, im unmittelbaren Umfeld Anfeindungen ausgesetzt sind, in einem solchen Land können auch Schwule, Lesben, trans Menschen nicht unbehelligt leben. Wenn Menschen jüdischen Glaubens, Menschen aus Israel bedroht werden, wäre es ein Irrglaube, nicht-jüdische homosexuelle, queere Menschen kämen irgendwie davon und blieben verschont, weil es gerade vorgeblich eine andere Minderheit trifft.
Monty Ott spricht über die Welle antisemitischen Hasses, nicht zuletzt in den sozialen Netzwerken, und eine erschreckende Empathielosigkeit. Deshalb fordert er auf, Empathie zu zeigen – für beide Seiten. „Gerade weil Palästinenser*innen ein Recht darauf haben, in Frieden und Freiheit aufzuwachsen, weil sie ein Recht darauf haben, dass sie als Oppositionelle oder queere Menschen nicht ermordet werden, braucht es ein Ende der Hamas.“ Eine weitere Forderung ist die, im Kampf gegen Antisemitismus nicht nachzulassen – allgemein, aber auch innerhalb der LGBTIQ-Community. Einer der Gründe, Keshet zu gründen, sei es gewesen, „dass es keine antisemitismusfreien Räume gibt und Antisemitismus auch in queeren Szenen existiert“.
Aus dem Interview bleibt mir auch der Satz von George Tabori, den Monty Ott zitiert, im Gedächtnis: „Jeder ist jemand.“ Es ist die Grundlage friedlichen Miteinanders, die wieder und wieder in Vergessenheit und – wortwörtlich – unter Beschuss gerät.
Ich weiß nicht, in welchem Maße die aktuellen Ereignisse in der Welt, dieser seltsame Dauerkrisenmodus auch die christliche Adventszeit – privat wie gesellschaftlich – prägen wird. Sie ist ja wie Chanukka stark von einer Lichtersymbolik geprägt, freilich eine, die in engem Zusammenhang mit dem astronomischen Ereignis der Wintersonnenwende, dem Ende der dunklen Tage, steht. Es ist eine Zeit des Wartens auf die Geburt Jesu. Sie steht für den Anfang, für das Leben und seine Möglichkeiten. Vielleicht sollte man einen Neubeginn, zyklisch gesehen: einen nochmaligen Neuanfang, nicht fürchten – so schwer oder absurd es in diesen unruhigen Zeiten hinsichtlich eines friedlichen Zusammenlebens auch erscheinen mag – und sich auf den Weg machen.