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Der trans* Mann Max Helmich erklärt die aktuellen Herausforderungen für trans* Personen und was es mit dem Selbstbestimmungsgesetz eigentlich auf sich hat.
Selbstbestimmung für alle
Der Entwurf für das Gesetz über die Selbstbestimmung in Bezug auf den Geschlechtseintrag (Selbstbestimmungsgesetz) ist im August 2023 beschlossen worden. Der trans* Mann Max Helmich erklärt, worum es geht.

Am 23.08.2023 hat die Bundesregierung den Entwurf für das Gesetz über die Selbstbestimmung in Bezug auf den Geschlechtseintrag (sog. Selbstbestimmungsgesetz) beschlossen. Damit ist der Weg frei für die parlamentarische Beratung des Gesetzentwurfs.

Das Selbstbestimmungsgesetz soll es einfacher machen für trans*, inter* und nichtbinäre Personen, ihren Geschlechtseintrag im Personenstandsregister und ihre Vornamen ändern zu lassen. Es soll das in wesentlichen Teilen verfassungswidrige Transsexuellengesetz (TSG) von 1980 ablösen.

Es gab und gibt rund um das Selbstbestimmungsgesetz allerdings viel Verunsicherung, zahlreiche Falschinformationen und Missverständnisse. Ich habe dazu den trans* Mann Max Helmich befragt.

KS: Hallo Max, magst du dich kurz vorstellen und erzählen, was du in deinem Leben so tust?

MH: Hallo Kerstin, mein Name ist Max, ich bin 51 Jahre alt und ich bin transmännlich. Das bedeutet, mir wurde bei meiner Geburt ein anderes Geschlecht zugewiesen als das, was ich heute lebe und auch körperlich präsentiere. Ich arbeite ehrenamtlich in einem LSBTIQ-Kulturzentrum in der trans* Beratung und unterhalte außerdem seit kurzer Zeit einen Instagram-Kanal unter dem Kürzel @max.erklaert.trans, auf dem ich kurz und knackig versuche, mit gängigen Vorurteilen und Desinformationen rund um das Thema trans* aufzuräumen. Und wenn ich gerade nicht ehrenamtlich unterwegs bin, verdiene ich als Übersetzer, als Tierhomöopath und in der Erwachsenenbildung meine Brötchen.

KS: Warum ist das Selbstbestimmungsgesetz (SBGG) notwendig?

MH: Du hast es eigentlich schon erwähnt: Das Transsexuellengesetz, kurz TSG, existiert seit 1980 und ist in wesentlichen Teilen verfassungswidrig. Es regelt, unter welchen Bedingungen die Änderung des Vornamens und des Personenstandes für trans* Personen in Deutschland möglich ist. Dafür sieht es unter anderem eine Zwangsbegutachtung durch zwei Gutachter*innen vor, die die betroffene Person in der Regel selbst bezahlen muss. Bei mir waren das z. B. rund 3.000 Euro. Dafür, dass ich auch auf dem Papier so sein darf, wie ich bin. Ziel einer solchen Begutachtung ist der Beweis, dass eine Persönlichkeitsstörung vorliegt und sich dies mit großer Wahrscheinlichkeit nicht mehr ändern wird. Die WHO führt in ihrem aktuellen ICD (Internationale Klassifikation der Krankheiten) Transidentität gar nicht mehr als Persönlichkeitsstörung, sondern als Geschlechterinkongruenz. Das TSG trägt dieser wichtigen Änderung in seinem Prozess aber keine Rechnung.

Wie lange eine solche Begutachtung dauert und wie tief die Gutachter*innen dabei in das Privat- und Sexualleben der betroffenen Person eindringt, ist massiv unterschiedlich. Selbst von hanebüchenen Intelligenztests habe ich in diesem Kontext schon gehört. Selbst ohne die inzwischen glücklicherweise gestrichenen Paragraphen zur Zwangssterilisation (2011) und Zwangsscheidung stellt das TSG aber immer noch einen massiven, pathologisierenden und entwürdigenden Eingriff in die Persönlichkeitsrechte von trans* Personen dar. Es ist in meinen Augen ein Instrument, Andersartigkeit von Staatsseite her möglichst restriktiv zu reglementieren. In einer stabilen Gesellschaft eigentlich eine klare Sache, hier Abhilfe zu schaffen.

KS: Erfüllt denn der jetzige Entwurf der Regierung für das Selbstbestimmungsgesetz diese Anforderungen bzw. bist du mit dem Gesetzentwurf zufrieden?

MH: Abgesehen von der Kernforderung, der Aufhebung der Zwangsbegutachtung, leider nein. Versteh mich nicht falsch, das ist ein wichtiger Schritt, denn er würde z. B. die finanzielle und damit eindeutig auch klassistische Hemmschwelle für eine Transition aufheben. Bislang können sich entweder nur Menschen mit finanziellem Polster oder jene, die Anspruch auf Gerichtskostenhilfe haben, einen solchen Schritt leisten. Trotzdem hat sich durch eine sehr gut koordinierte Welle von Falschinformationen über das SBGG das öffentliche Meinungsbild inzwischen erschreckend gewandelt. Insbesondere der weit verbreitete Irrglaube, das Gesetz werde geschlechtsangleichende Operationen an Jugendlichen/Kindern Tür und Tor öffnen, hat das Thema Selbstbestimmung für trans* Menschen zu einem Politikum gemacht, das weite Teile der Bevölkerung durch alle politischen Lager hindurch polarisiert – eigentlich erstaunlich für so eine kleine Bevölkerungsgruppe, wie wir es sind.

Die großen Medien unseres Landes haben hier durch nicht gut oder gar nicht recherchierte Berichterstattung noch zusätzlich Öl ins Feuer gegossen. Statt mit Aufklärung zur rein rechtlichen Reichweite des Gesetzes dieser Stimmung gegenzuwirken, hat das Justizministerium damit reagiert, relativ viele Paragraphen in den Gesetzentwurf aufzunehmen, die faktisch eine Verschlechterung der Situation von trans* Menschen zur Folge hätte und im Endeffekt nur eines deutlich sagen: Seht, wir hören auf die komplett haltlosen „Besorgtheiten“ bestimmter Personengruppen. Zu nennen wären hier der sogenannte Hausrechtsparagraph, die Einschränkung des Offenbarungsverbotes für Angehörige, die Weitergabe von Listen von Menschen, die Namen und Personenstand geändert haben, an Polizei und Geheimdienste und die völlig unnötige Wartefrist bis zum Inkrafttreten der Änderungen.

Nicht zu vergessen natürlich, dass die Personenstandsänderung im Verteidigungsfall für trans* Frauen aufgehoben werden kann, wenn sie das Pech haben, zu kurz vor dem Beginn von theoretischen Kampfhandlungen ihr Verfahren begonnen zu haben. Hier sehe ich insbesondere für trans* Frauen eine unter Generalverdachtsstellung, die absolut inakzeptabel ist. Und was mit diesen Paragraphen in den Händen einer rechtskonservativen Regierung möglich wäre, möchte ich mir gerade gar nicht ausmalen.

KS: Warum gibt es so viel Empörung über das Gesetz?

MH: Weil die Empörung mit gezielter Stimmungsmache durch selbst ernannte Feministinnen und rechtskonservative Gruppen befeuert wurde. Boulevard- und konservative Presse treiben seit Monaten das Thema vom „verstümmelten Mädchen“ und das Drohgebilde von sexuellen Übergriffen durch trans* Frauen in Frauenräumen durchs Dorf. Mit Erfolg! Niemand interessiert es jetzt mehr, dass das SBGG lediglich die Vornamens- und Personenstandsänderung regelt und dass medizinische Schritte nach wie vor den Medizinischen Diensten der Krankenkassen, Therapeut*innen und weiteren Kontrollinstanzen obliegen werden. Genauso wenig interessiert es, dass die wenigsten trans* Frauen sich z. B. in Frauensaunen trauen. Belegte Zwischenfälle von Übergriffigkeiten durch trans* Personen in Frauenräumen gibt es faktisch nicht.

Die Frage muss also eigentlich sein, was Menschen so unglaublich viel Ablehnung gegen trans* Menschen fühlen lässt. Damit ließe sich eventuell erklären, warum sich durch alle Bevölkerungsgruppen und politische Lager hindurch so viel Empörung generieren ließ.

KS: Du sprichst von Ablehnung gegen trans* Personen. Was denkst du, woher sie kommt?

MH: Wir sind trotz all der Aufregung um uns eine relativ kleine Bevölkerungsgruppe. Das bedingt, dass viele Menschen in ihrem Leben noch nie wissentlich Kontakt mit trans* Menschen hatten, denn viele von uns machen sich aus gutem Grund im Alltag unsichtbar, um Diskriminierungen aus dem Weg zu gehen. Und diese Tatsache macht uns zu einer idealen Leinwand für Vorurteile und Schreckgespenste. Je nach Argumentationslage werden wir für zu klein für ein Recht auf Menschenrechte oder zu einer riesigen Bedrohungskulisse für „unsere Jugend“ aufgebaut.

Ungeachtet, wie der Informationsstand zu trans* Personen und dem Gesetz aussieht, die häufig sehr rigorose Ablehnung erkläre ich persönlich mir so: Wir alle treffen auf unserem Lebensweg immer wieder Entscheidungen, wie wir uns zu unserer Umwelt positionieren. Und viele dieser Entscheidungen drehen sich um die Konformität zum Rest der Gesellschaft. Wie möchte ich nach außen wahrgenommen werden? Werde ich durch meine Eigenarten, meine Individualität und auch durch meine Andersartigkeit anecken, vielleicht sogar ausgegrenzt werden? Das kann manchmal schon sein, die „richtige“ Schultasche zu haben, um nicht gehänselt zu werden.

Viele von uns entscheiden sich für Konformität, auch wenn sie vielleicht selbst andere Bedürfnisse gehabt hätten. Einfach schon, weil es natürlich nicht schön ist, verspottet oder ausgegrenzt zu werden. So lebst du dann dein Leben, mit den zahlreichen Kompromissen, mit denen du vielleicht eher weniger als mehr Frieden geschlossen hast. Und dann kommt da so eine trans* Person daher und hat die Dreistigkeit, eine scheinbar unumstößliche Binarität, auf der viele Identitäten fußen, durch ihre reine Existenz auf den Kopf zu stellen. Eine Unverschämtheit. Das rüttelt ganz sicher an verdrängten Mechanismen, weckt sie auf. Das macht viele Menschen unglaublich wütend. Oft sprechen sie im Dialog (sofern es überhaupt zu einem kommt) davon, sich belästigt zu fühlen. Ich übersetze: Ihnen wäre lieber, unsere Andersartigkeit wäre unsichtbar, damit sie ihre eigenen wunden Punkte weiter schlafen lassen können und in erhoffter Stabilität leben können. Und Stabilität ist etwas, was uns allen in Zeiten von schwindenden Ressourcen und Klimakatastrophe faktisch fehlt. Also empört Mensch sich darüber, dass andere sie durch ihre Existenz ins Schwanken bringen.

KS: Du klärst seit einiger Zeit mit Instagram Reels über trans* Themen auf. Warum hast du damit angefangen und was ist dein Ziel?

MH: Das hatte hauptsächlich zwei Gründe, denn zunächst einmal bin ich ganz sicher keine Person von öffentlichem Interesse, auf deren Meinung andere warten.

Einmal glaube ich, dass dem Diskurs im Moment Stimmen von älteren trans* Menschen guttun können. Das Thema Transidentität wird häufig als Modeerscheinung unter Jugendlichen, vielleicht sogar als Protestbewegung dargestellt. Das ist mitnichten der Fall. Es gibt durch alle Altersgruppen hindurch Menschen, die transitionieren. Ich z. B. habe erst mit 43 Jahren mit der körperlichen Transition begonnen, weil ich die psychischen und körperlichen Folgen meiner jahrzehntelangen Verdrängung nicht mehr ertragen habe.

Zum anderen möchte ich mit dem Kanal cis Menschen erreichen, die ehrliche Fragen haben, andere Stimmen in einem von populistisch dominierten Diskurs suchen und vielleicht auch an einem Gespräch MIT und nicht ÜBER trans* Menschen interessiert sind. Denn seien wir ehrlich, Vorurteile halten sich hartnäckig, wenn wir keine Menschen kennen, die „so“ sind. Ich möchte weg vom Diskutieren einer Existenzberechtigung, hin zu einem Kennenlernen. Ob das klappt, wird sich weisen.

KS: Wie können cis Menschen die Anliegen von trans* Personen unterstützen?

MH: Indem sie vielleicht trotz Unverständnis für die spezifische Thematik einfach akzeptieren, dass es Lebensweisen und Identitäten gibt, die sich ihrer Realität entziehen und indem sie sich bewusst machen, dass Menschenrechte auch für marginalisierte Bevölkerungsgruppen gelten müssen. Sonst hießen sie nämlich Mehrheitsrechte. In einer stabilen Gesellschaft sollte ein Selbstbestimmungsgesetz, das seinen Namen auch verdient, nicht mehr als eine Randnotiz sein. Das ist aber nicht der Fall. Faktisch heißt das: Wir brauchen jede nicht-trans* Stimme, die den Mund beim Stammtisch aufmacht, wenn Witze gerissen werden. Die uns den Rücken auch dann stärkt, wenn wir nicht mit im Raum sind. Die Diskriminierungen nicht einfach hinnehmen und sich mit uns solidarisch zeigen. Alleine schaffen wir es nicht.

KS: Siehst du im Hinblick auf das Thema eine besondere Verantwortung bei den christlichen Kirchen und anderen Religionsgemeinschaften? Und wenn ja, welche?

MH: Ich sehe die christlichen Kirchen in Zeiten einer tiefen demokratischen Krise und der Vereinzelung durch die digitale Welt als einen wichtigen Ort ins Gespräch zu kommen. Wo sonst treffen Menschen noch unabhängig von politischen Meinungen und auch Herkunft aufeinander? Sind vielleicht auch bereit, einander auf neutralem Boden zuzuhören?

Die Bibel bietet mit Jesus Dreifachgebot der Gottes-, Nächsten- und Selbstliebe den perfekten Ausgangspunkt dafür: Du hast in deinem Buch zu queersensibler Seelsorge dazu geschrieben, dass die Selbstliebe bei diesem Gebot gerne mal unter den Tisch fällt. Aber wie kann ich meinen nächsten Lieben, wenn ich mich selbst nicht liebe? Und was ist eine Transition gegen alle äußeren Widerstände anderes, als ein Ausdruck tiefer Selbstliebe?

KS: Was wünscht du dir für die Zukunft?

MH: Ich möchte mein Leben selbstbestimmt zu Ende leben – ohne Angst vor Zwangsscheidung von meiner Frau oder Verlust des Zugangs zu meiner Hormontherapie – wie es leider z. T. auch in europäischen Ländern schon der Fall ist. Ich wünsche mir, dass sich niemand aufgrund ihrer Andersartigkeit mehr verstecken muss. Und ich wünsche mir, dass die Menschheit begreift, dass wir auf diesem kranken Planeten alle am selben Strang ziehen müssen, wenn wir überleben wollen.

 

Informationen und Beratung

@max.erklaert.trans (Instagram Account)

Beratung zu trans* Themen (z.B. in Mainz) in der Bar jeder Sicht

Deutsche Gesellschaft für Transidentität und Intersexualität e.V. (dgti*)

Bundesverband Trans* e.V.

Kerstin Söderblom, Queersensible Seelsorge, Göttingen 2023