Die Fußball-WM der Frauen in Neuseeland und Australien ist vorbei. Es war eine WM der Superlativen: Nie gab es so viele Zuschauer*innen in den Stadien, in Kneipen, beim Public Viewing, im Fernsehen und beim Live Streaming. Die Begeisterung war riesig.
Und nie gab es mehr öffentlich geoutete lesbische und queere Frauen in verschiedenen Teams wie bei dieser WM. Bemerkenswert ist, wie unaufgeregt mit dieser Sichtbarkeit umgegangen wurde. Nur als das marokkanische Team von einem Journalisten nach lesbischen Spielerinnen gefragt wurde, wurde das Interview abgebrochen. Denn in Marokko, genauso wie in Nigeria und Sambia und vielen anderen Ländern weltweit, wird Homosexualität kriminalisiert. Insofern können dort keine Coming-outs und keine öffentlichen Bekenntnisse von Spielerinnen erwartet werden.
Alexandra Popp, Kapitänin des deutschen Teams, und viele andere Kapitäninnen wollten mit der Regenbogenbinde als Zeichen für Vielfalt bei den Spielen der WM antreten. Das wurde ihnen von der Fifa verboten. Es hielt viele Fußballspielerinnen aber nicht davon ab, vor oder während der WM ihr Coming-out öffentlich zu machen. Von vielen Stars waren ihre lesbischen Beziehungen auch schon vorher bekannt.
Superstar Megan Rapinoe vom Team USA ist seit vielen Jahren geoutet und vielleicht die bekannteste und beliebteste lesbische Fußballerin weltweit. Rapinoe hat vor einigen Jahren ihre Biografie "One Life" veröffentlicht. Sie ist 2020 auch auf Deutsch erschienen. Sie ist als politische Aktivistin bekannt, die sich nicht nur gegen Homofeindlichkeit, sondern auch gegen Rassismus und gegen ungleiche Bezahlung von Frauen und Männern im Sport einsetzt. Doch das Team der USA schied bereits im Viertelfinale dieser Weltmeisterschaft aus. Rapinoe, die bereits 38 Jahre alt ist, wurde damit ein erfolgreicher Abschluss ihrer Karriere verwehrt.
Stattdessen erhielten bei dieser WM andere Fußballerinnen eine größere Öffentlichkeit: Ein Star der diesjährigen WM war die Australierin Sam Kerr. Sie spielte sich während der WM nicht nur in die Herzen des einheimischen Publikums, obwohl sie im ersten Spiel zunächst verletzt gar nicht spielen konnte. Sam Kerr ist bereits seit 2009 australische Nationalspielerin, wurde mehrfach Torschützenkönigin im eigenen Land und hat schon einige Auszeichnungen und Preise erhalten. Im Spiel der Weltmeisterschaft um Platz drei gegen Schweden konnte sie den zwischenzeitlichen Ausgleich zum 1:1 erzielen. Leider reichte das nicht für den dritten Platz. Dennoch wurde sie und das gesamte Team der Matildas, wie das Nationalteam in Australien heißt, als Weltmeisterinnen der Herzen gefeiert. Dass Kerr mit einer Frau zusammenlebt, hat ihrer Beliebtheit nicht geschadet.
Dasselbe kann von vielen anderen Stars gesagt werden: In Deutschland haben sich im Laufe der letzten Jahre einige aktuelle Nationalspielerinnen geoutet: Lena Oberdorf, Lea Schüller, Ann-Katrin Berger, Sara Doorsoun und Svenja Huth. Auch ihren Karrieren hat das keinen Abbruch getan. Im Gegenteil, sie sind zu Vorbildern für viele geworden, die sich für eine vielfältige und diverse Gesellschaft einsetzen. Wie viele andere hoffen sie, dass bald auch im Männerfußball offen schwul lebende Fußballstars ohne Gefährdung ihrer Karriere spielen können.
Auch im WM-Finale gab es lesbisches Powerplay. Die englische Lauren Hemp war eine der besten Spielerinnen des Turniers, auch wenn sie im Finale von den Spanierinnen ziemlich kalt gestellt wurde. Die englische Jess Carter ist mit der deutschen Torfrau Ann-Katrin Berger zusammen. Rachel Daly und Beth England aus dem englischen Team sind ebenfalls mit Frauen zusammen.
Bei den neuen Weltmeisterinnen aus Spanien sind Irene Parcedes, Ivona Andrés und andere jeweils mit Frauen liiert. Auch die Weltfußballerin des Jahres 2022 Alexia Putellas soll bereits mehrere Frauenbeziehungen gehabt haben. Sie spricht darüber allerdings nicht öffentlich.
Das bekannteste lesbische Paar dieser Weltmeisterschaft ist vermutlich die Europäische Fußballerin des Jahres 2020 Pernilla Harder aus dem dänischen Team, die mit der schwedischen Nationalfußballerin Magdalena Eriksson zusammen ist. Beide sind im Juli 2023 zu Bayern München gewechselt und sind dort mit reichlichem medialen Interesse begrüßt worden. Dass sie auch privat ein Paar sind, ist öffentlich bekannt und stört ihre Beleibtheit nicht.
Ich könnte die Liste der lesbischen und queeren Weltklasse-Fußballerinnen noch eine Weile fortschreiben. Die Auswahl zur jetzigen WM soll genügen. Wichtiger ist die Frage: Warum scheint den Frauen ihr öffentliches Coming-out nicht zu schaden, während bei den männlichen Kollegen immer noch kein aktiver Spieler geoutet ist?
Zeigen die Frauen nicht, dass die Öffentlichkeit und das interessierte Publikum eigentlich schon viel weiter sind als viele befürchten? Oder ist das Publikum im Frauenfußball weiblicher, diverser und offener als bei den Männern?
Vielleicht ist es an der Zeit, dass sich auch männliche Fußballer öffentlich outen, um dies herauszufinden und um vielleicht festzustellen, dass die Fußballwelt gar nicht zusammenbrechen wird? Feststeht, dass die Begeisterung für den Frauenfußball stetig größer wird. Die Fußballstadien bei der WM 2023 in Neuseeland und Australien und an so vielen anderen Orten sind voll und es gibt keinen kollektiven Aufschrei, obwohl immer mehr Frauen ihre Frauenbeziehungen öffentlich machen.
Ansonsten gilt, was auch in kirchlichen und anderen öffentlichen Kreisen gilt: Je gelassener die Frauen selbst mit ihrem Lesbischsein oder Queersein umgehen, desto leichter ist es fürs Umfeld, dies zu akzeptieren.
Gleichzeitig gibt es aber auch im Frauenfußball, genau wie in Kirchen und an anderen gesellschaftlichen Orten, immer noch viele Menschen, die sich nicht trauen sich zu outen. Spielerinnen aus arabischen und vielen afrikanischen Ländern können es gar nicht, selbst wenn sie es wollten, da Homosexualität in ihren Heimatländern kriminalisiert wird. Zahlreiche politische Funktionäre und Geistliche verschiedener Religionen missbrauchen ihre Autorität, um mit Verweis auf die jeweiligen heiligen Texte Homosexualität als sündig zu bezeichnen und queere Menschen zu verurteilen.
Es zeigt, wie viel auch im Frauenfußball noch zu tun ist, bis Anerkennung und Respekt für queere Menschen selbstverständlich sein werden. Die Frauenfußballstars von heute sind ermutigende Vorbilder und leisten dafür einen wichtigen Beitrag.