Ich kenne Amadeo Udampoh von unserer gemeinsamen Arbeit beim weltweiten christlich queeren Bündnis der „Rainbow Pilgrims of Faith“. Er ist ein kluger und aktiver junger Mann, der sich traut, in Kirchenkreisen kritisch und klar über gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit zu sprechen.
Die "Rainbow Pilgrims of Faith“ waren etwa 25 queere christliche Personen aus allen fünf Kontinenten, die Workshops, Veranstaltungen und die Betreuung eines Informationsstands bei der Vollversammlung des Ökumenischen Rats der Kirchen in Karlsruhe 2022 geplant und durchgeführt haben. Ich hatte davon in einem Blogeintrag berichtet.
Zum Deutschen Evangelischen Kirchentag in Nürnberg wollten wir Amadeo wieder einladen. Das hat aus finanziellen Gründen nicht geklappt. Aber er war mit einem Video-Statement bei einer Veranstaltung im Regenbogenzentrum/Geschlechterwelten dabei. Es ging um die Frage, ob christliche Kirchen sichere Orte für queere Menschen und für „Persons of Color“ (PoC) sind. Hier ist ein bearbeiteter Auszug seiner Rede, die ich auf Deutsch übersetzt habe.
Amadeo Udampoh:
"In Diskussionen über Themen, die People of Color wie mich betreffen, stoßen wir unweigerlich auf Erfahrungen von Rassismus. Ich möchte erklären, wie Rassismus – in Indonesien gleichbedeutend mit der Verachtung von indigenen Kulturen – und LGBTIQ+-Feindlichkeit im indonesischen Kontext untrennbar miteinander verbunden sind.
Historisch gesehen war Indonesien offener für verschiedene sexuelle und geschlechtliche Identitäten. Mehrere indigene Kulturen Indonesiens kannten explizit queere Geschlechtsidentitäten.
Einige von ihnen sind im Wayang-Puppenspiel (javanisches Puppenspiel aus Indonesien) zu finden. Es gibt eine Figur namens Semar, die als klug und weise dargestellt wird. Menschen wenden sich an diese Figur, wenn sie Führung und Rat braucht. Interessant ist, dass Semar in seiner*ihrer geschlechtlichen Identität uneindeutig ist. Niemand kann aufgrund dieser Mehrdeutigkeiten sagen, ob Semar männlich oder weiblich oder irgendetwas anderes ist. Dennoch wird Semar von allen für seine*ihre Weisheit respektiert.
Das zweite Beispiel ist Nantinjo. Nantinjo wird verehrt, weil er*sie als Wächter des Toba-Sees in Nord-Sumatra gilt, den er*sie schützt und erhält. Nantinjo ist genau wie Semar in seiner*ihrer sexuellen Identität mehrdeutig. Heutzutage wird Nantinjo mit Transgender gleichgesetzt.
Ein weiteres – und vielleicht das berühmteste – Beispiel ist die ethnische Gruppe der „Bugis“ in Süd-Sulawesi, die fünf Geschlechter anerkennen, nämlich „calalai“ (Transmann), „calabai“ (Transfrau), männlich, weiblich und „bissu“ (eine Klasse von Transvestitenpriestern). Das ist bemerkenswert. Denn diese Klasse stellt einen Gegensatz zum vorherrschenden Verständnis dar, dass man, wenn man Priester wird, heilig, rein und heterosexuell sein muss.
Die oben genannten Beispiele sind nur einige, die zeigen, dass es queere Identitäten im indonesischen Kontext gibt. Leider haben Kolonialisierung und christliche Mission diese queeren Vorstellungswelten weitgehend verdrängt. Folglich haben die Menschen mittlerweile vergessen, dass Queersein einst in die komplexe Vielzahl indonesischer Kulturwelten verwoben war.
In Zentrum für Gender-, Sexualitäts- und Traumastudien am Jakarta Theological Seminary versuchen wir, diese Informationen zu rekonstruieren, zu dokumentieren und an die Religionsgemeinschaften Indonesiens weiterzugeben. Unser Ziel ist es, unsere Religionsgemeinschaften davon zu überzeugen, dass es nicht westliche Ideologien und die Säkularisierung waren, die zu geschlechtlicher und sexueller Vielfalt in Indonesien geführt haben, sondern dass es genau umgekehrt war: Queere Personen gab es in Indonesien schon immer. Die brutale westliche Kolonialisierung hat das alte Wissen um queere Identitäten in Indonesien ausradiert. Die Wechselwirkung von Rassismus und Queerfeindlichkeit lässt sich an unserer Kolonialgeschichte deutlich dokumentieren.
Wir beziehen regelmäßig queere Kulturschaffende in unsere Aufklärungsprogramme ein, um ihre Perspektiven deutlich zu machen. Zum Beispiel laden wir immer einen „Bissu“ zu unseren Workshops ein. Diese Bemühungen sollen den Religionsgemeinschaften zeigen, dass Queersein den indonesischen Kulturen und Religionen nicht fremd ist, sondern ein untrennbarer Teil davon."