Endlich wieder Superlative! Ist das nicht toll nach all den Einschränkungen der letzten Jahre? Der CSD Köln hat sich soeben mit 224 Wagen, 60.000 Teilnehmer:innen im CSD-Zug und 1,4 Millionen Besucher:innen am Wochenende als zur Top 5 der weltweit größten CSD-Demo-Paraden gehörend, erklärt.
So kompliziert wie der letzte Satz ist sicher auch die Arithmetik von Teilnehmer:innenzahlen, und in Deutschland addiert man zur Demonstration gerne die Besucherzahlen von Straßenfesten dazu. Aber was da am Wochenende in Köln bei über 30 Grad abging, das kann sich in der Tat mit den Pride-Events in Sao Paulo, in Madrid, San Francisco messen lassen. Eine unerfreuliche Meldung „am Rande“ der Großveranstaltung: Zwei junge Männer wurden attackiert. Der 28-jährige Angreifer konnte aber verhaftet werden.
Im Superlativ Kölner CSD war zum ersten Mal die Evangelische Kirche im Rheinland mit einer Gruppe vertreten - um zu zeigen, dass „Glaube und Queersein sich nicht ausschließen“, wie Pfarrer Tim Lahr von der Queeren Kirche Köln in der Meldung von ntv zitiert wird. Dem kann man sich als „kreuz&queer“-Blogger nur anschließen. Über den Spruch „Jesus: Seit über 2000 Jahren für Gleichberechtigung“ könnte man aber vielleicht doch noch mal bei einem erfrischenden Kaltgetränk oder einem Becher Eis mit Sommerfrüchten plaudern. Speziell darüber, warum diese Kurzfassung der frohen Botschaft möglicherweise nicht in allen Teilen der Kirche bekannt ist.
Zurück zum Kölner CSD und dem aktuellen Ranking unter den Platzhirschen. Nun steht Berlin unter Demonstrationszugzwang. Früher – als keineswegs alles besser war – fand der Berliner CSD stets vor dem Kölner statt, und man wusste, dass wenn Berlin eine Zahl X an Teilnehmenden meldete, die Kölner einfach immer X + 50.000 angaben. Nicht wahr, so war's doch?! Dann brachte König Fußball (wie gern würden wir König:in Fußball schreiben!) alles durcheinander, aus einer einmaligen Verlegung wegen der EM 2016 wurde Gewohnheit. Seitdem demonstriert und feiert die queere Community in Berlin den CSD nach Köln. In der Domstadt will man übrigens, wie auf queer.de zu lesen ist, dem Fußball nicht weichen und erteilte Überlegungen, den CSD wegen der EM im nächsten Jahr zeitlich zu verlegen, eine Absage. Mal schauen, wie sich die Top 5 in der alten Rivalität zwischen Rhein und Spree künftig zurechtzuckelt.
Am größten, am buntesten, am politischsten ... Superlative eignen sich prima als Aufmacher für Meldungen in den Medien. Sie sind auch wichtig als Zeichen für die aktive Community und für alle, die sich (noch) nicht trauen, die sich vielleicht im privaten Umfeld gegen Diskriminierungen, Anfeindungen, Ignoranz und Missachtung schützen müssen. Doch Superlative sind nicht das, was das persönliche Leben, das Miteinander ausmachen. Noch nicht einmal der Komparativ. Niemand muss sich – schon gar nicht ständig – mit anderen vergleichen, auch wenn Medien und vor allem die sogenannten „Sozialen“ Medien sehr oft genau das suggerieren. Es gibt den Alltag vor und nach den Großereignissen: den Alltag in seiner ganz „normalen“ Banalität oder, um im sprachlichen Bild zu bleiben, in seiner Grundform. Man neigt dazu, das zu übersehen, für nicht ganz so wichtig zu nehmen ... habe ich eben „man“ geschrieben? Ich neige dazu, das zu übersehen, im Trubel der großen Meldungen, seien es gute wie schlechte.
Die Strahlkraft der großen CSD-Demonstrationen (Hamburg, München, Stuttgart u.a. nicht zu vergessen) bleibt medial enorm wichtig, lässt aber mitunter die „kleinen“ Städte ein wenig in Vergessenheit geraten. Deren Veranstaltungen können aber für den Einzelnen oft von weitaus größerer Bedeutung sein. Denn ein Ziel und eine Forderung sind, dass queere Menschen egal wo leben können. Der Selbstverständlichkeit der Großstädter, alles selbstverständlich (weil vorhanden) zu finden, stehen sehr viel Engagement und vielleicht noch ein wenig mehr Mut der nicht in den Großstädten lebenden Schwulen, Lesben, Transsexuellen gegenüber. Und ein Zeichen der Kirchen vor Ort ist dort nicht weniger wichtig, damit die Früchte von – wie es die oben zitierte Queere Kirche Köln sagen würde – „Jesus: 2000 Jahre für Gleichberechtigung“ überall und von allen auch schon im Hier und Jetzt genossen werden können.
Auswahl an Gottesdiensten im Umfeld von CSD-Demo-Paraden (TEIL 2):
Nachträge zum Juli (für weitere Veranstaltungen im Juli siehe Teil 1)
Frankfurt, So., 16. Juli 2023: CSD Gottesdienst mit stellv. Kirchenpräsidentin Pfarrerin Ulrike Scherf und Pfarrer Nulf Schade-James; Evangelische Kirchengemeinde Frieden und Versöhnung, Friedenskirche, Fischbacher Str. 2, 10 Uhr (Link zum Kalender)
Berlin, Fr., 21. Juli 2023: Ökumenischer Gottesdienst am Vorabend des CSD; veranstaltet von der HuK e.V. und der katholischen Kirchengemeinde St. Canisius; Motto: „Mit Gottes Segen – Für mehr Solidarität und Empathie“; Predigt: Veronika Gräwe von der Initiative "Out in Church", Kirche St. Canisius, Witzlebenstraße 30, Berlin-Charlottenburg, 20 Uhr (Link)
Braunschweig, Fr., 28. Juli 2023: Sommerlochgottesdienst (der CSD in Braunschweig wird stets begleitet vom Sommerlochfestival); es soll der biblische Satz „Fürchte dich nicht!“ mit dem CSD-Motto "Bunt gegen Gewalt - Angstfrei leben" in Verbindung gebracht werden; Michaeliskirche, Echternstr. 67, 18 Uhr (Link)
August
Essen, Sa., 5. August 2023: Ökumenischer CSD-Gottesdienst, Motto: Ich sehe was, was du nicht siehst - Vielfalt wahrnehmen", Marktkirche, Markt 2, 18 Uhr (Link)
Hamburg, So., 6. August 2023: Gottesdienst zum CSD mit Abendmahl; Motto: "Die stille und die schrille Seite"; St. Pauli Kirche, Pinnasberg 80, 11 Uhr (Link zum Kalender)
Nürnberg, So., 6. August 2023: CSD-Festgottesdienst mit Abendmahl; St. Jakob - Jakobskirche, Jakobsplatz 1, 11:30 Uhr (Link zum Kalender)
Neubrandenburg, Mo., 14. August 2023: CSD-Gottesdienst, Friedenskirche, Semmelweisstraße 50, 18 Uhr (Link)
Darmstadt, Fr., 18. August 2023: CSD-Gottesdienst, organisiert von der ökumenischen Initiativgruppe in Zusammenarbeit mit der Martin-Luther-Gemeinde Darmstadt, Pfarrer Frank Briesemeister und der HuK (Ökumenische Arbeitsgruppe Homosexuelle und Kirche); Evangelische Martinskirche am Riegerplatz, Heinheimer Straße 41a, 19 Uhr (Link)
Lübeck, Fr., 18. August 2023: Eröffnungsgottesdienst zum CSD, Motto: "#bleibmutig und Fürchte dich nicht!"; der Gottesdienst will beides vereinen: Anspruch und Zuspruch, Mut und Stärkung, Bekenntnis und Segen; St.Marien zu Lübeck, Marienkirchhof 1, 18 Uhr (Link)
Münster, So., 27. August 2023: Ökumenischer CSD Gottesdienst; Heilig Geist Kirche, Metzer Straße 35, 18 Uhr (Link)
September
Halle, So., 10. September 2023: 8. Gottesdienst zum CSD Halle (Saale), veranstaltet durch Gruppe „Queer und Glauben Halle“, St. Laurentius-Kirche, Am Kirchtor 2, 18 Uhr (Link)
Erlangen, Sa., 30. September 2023: Queerer Gottesdienst der Evangelischen Gemeinde Erlangen Neustadt anlässlich des Christopher Street Days, Neustädter Universitäts-Kirche, 11 Uhr (Link)
Alle Angaben ohne Gewähr! Die Gottesdienste finden in der Verantwortung der jeweiligen Veranstalter statt.