Kerstin Söderblom ist in mehrfacher Hinsicht meine Kollegin. Sie schreibt wie ich seit 2015 für „kreuz & queer“ und ist ebenso wie ich Hochschulseelsorgerin. Was uns außerdem besonders verbindet, ist die Leidenschaft für queere Theologie und Pastoralpraxis. Kerstin Söderblom hat nun ihr neues Buch „Queersensible Seelsorge“ veröffentlicht. Aus fachlicher und kollegialer Perspektive also habe ich in das Werk, welches Beschreibung, Analyse und Leitfaden zugleich ist, einen Blick für unsere Leser:innen geworfen.
Kerstin Söderblom steigt mit einer kurzen Hinführung zum Konzept Seelsorge ein, sodass auch nicht Fachkundige die weiteren Inhalte verstehen und rezipieren können. Sie stellt dabei queer in den Kontext von Seelsorge und Kirche sowie vice versa – denn die Autorin selbst ist seit über 20 Jahren im queer-lesbischen Bereich engagiert, wie sie schreibt. Anhand von Fallbeispielen aus der Seelsorgepraxis veranschaulicht sie das Thema exemplarisch.
Der biblische Bezug, den Kerstin Söderblom dabei herstellt, drängt sich beim Thema auf – und ist gleichzeitig auch ihr bewährter Zugang. Wie im Blog „kreuz & queer“ üblich erzählt sie auch im Buch Bibelgeschichten neu und unterzieht sie einer queerorientierten Relecture. Dies ist im Bereich Seelsorge insofern besonders sinnvoll, da Menschen in die Seelsorge schließlich oft auch mit Glaubenszweifeln oder Anfragen an Bibel und Kirche kommen. Auch Kasualhandlungen in ihrer seelsorglichen und liturgischen Dimension nimmt die Autorin in den Blick. Denn wenn etwa gleichgeschlechtliche Partner:innen heiraten oder ein Kind in einer Regenbogenfamilie getauft wird, braucht es queersensible Gesprächspartner:innen und Geistliche, um den Erfahrungen und den Bedürfnissen der queeren Akteur:innen Rechnung zu tragen.
Kerstin Söderblom verweist in einem eigenen Unterkapitel auf die Wichtigkeit des queersensiblen Predigens. LGBTIQ finden sich, so die Autorin, in den Gefühlen und Geschichten der Menschen in der Bibel wieder. „Da werden biblische Geschichten auf queere Lebensgeschichten bezogen und (…) queer gelesen, so dass sie relevant werden für queere und gleichzeitig christliche Gläubige und auch für andere.“ Sie weist weiter darauf hin, dass „queere Predigtimpulse Sinnangebote anbieten, die nicht direkt kommentiert oder besprochen werden müssen“.
Am Ende des Buches gibt es praktische Checklisten für Safer Spaces in der Seelsorge und Queersensibilität im kirchlichen Handlungsfeld sowie Anregung für selbstreflexives Nach- bzw. Umdenken.
Kerstin Söderbloms neues Werk vermag es, in queersensible Seelsorge solide einzuführen, um dann in kurzen, aber vertiefenden Beispielen die gelebte Seelsorgepraxis zu veranschaulichen. Dabei sind politischer und sprachlicher Zugang der Autorin von Wertschätzung und Offenheit geprägt, was andere Seelsorgende anregen kann, mehr auf LGBTIQ-Sensibilität und –Inklusion zu achten. Kerstin Söderblom geht auf viele der L(i)ebensformen des LGBTIQ-Spektrums ein. Einzig ein seelsorglicher Blick auf Intergeschlechtlichkeit hat mir gefehlt; schließlich werden gerade intergeschlechtliche Menschen oft aus dem LGBTIQ-Spektrum ausgeschlossen und ihre Lebensrealität durch die noch immer stattfindenden gewaltvollen Geschlechtszuweisungen – wie medizinisch nicht notwendige operative Eingriffe bei z.B. Babys – einschneidend geprägt.
Insgesamt ist das Buch allen Seelsorgenden sowie an Seelsorge Interessierten zu empfehlen. Auch wer Bibelgeschichten gern queer liest oder einen Einblick in LGBTIQ in Kirche und Theologie sucht, sollte sich das Buch anschaffen. Ich gratuliere jedenfalls meiner Kollegin Kerstin Söderblom zu diesem gelungenen Werk.
Kerstin Söderblom: Queersensible Seelsorge, Vandenhoeck & Ruprecht 2023, 25 Euro.
Veranstaltungshinweis: Kerstin Söderblom wird am Deutschen Evangelischen Kirchentag nächste Woche in Nürnberg live und im digitalen Stream beim taz-Talk sein, der von taz-Redakteur Jan Feddersen und taz-Autor Philipp Gessler moderiert wird.
Info: Fr, 9.6.23, 11h
taz Studio auf der Medienmeile, Halle 1, Stand 1-F18
Nürnberg Messe, Messezentrum 1, 90471 Nürnberg