Stufen eines Wanderweges/Havelhöhenweg in Berlin
Foto: Rainer Hörmann
Stufen auf dem Havelhöhenweg
Queere Spiritualität
Höhenweg
Muss es immer der queere Gottesdienst in der Kirche sein? Gibt es nicht viele, andere Wege zu Gott? Sind die weniger queer? Gedanken von Rainer Hoermann anlässlich einer sonntäglichen Wanderung.

Einer meiner bevorzugten Wanderwege in Berlin ist der Havelhöhenweg. Er führt in seiner ganzen Länge vom Spandauer Norden bis zum Wannsee im Süden, immer an der Havel entlang, aber nicht direkt am Wasser, sondern auf dem bewaldeten Steilufer. Man ist also im Grünen und hat das Blau der Havel immer im Blick. Der Weg hat dabei durchaus seine Herausforderungen, es geht (oft über Stufen) auf und ab. Man kommt am Grunewaldturm vorbei, kann zur Pfaueninsel hinüberblicken; und wer eine christliche Bekehrungsanekdote mag, der schaut sich das Schildhorn-Denkmal an und liest die Jaczo-Sage dazu.

Am langen 1.Mai-Wochenende war das Wetter prächtig, Sonne satt, angenehme Temperaturen. Ideal, um sich auf den Weg zu machen. Das erste Mal in diesem Jahr. Und es fühlte sich sehr gut an. Ich habe mich wahrgenommen, inmitten der Natur, ich habe mich, wenn man so will, als Ganzes gespürt, als einen Körper, der voranschreitet, der sich männlich, tatkräftig anfühlte, der über vieles nachdenken konnte, aber nicht im Sinne tiefster Grübelei. Eher purzelte vieles kreativ und wohltuend durcheinander. Ich fühlte mich dankbar für die Schöpfung und genoss ihre Schönheit. Ich hatte, kurz bevor ich zur Wanderung aufbrach, eine schöne (und hier von mir aus ihrem Kontext herausgelöste) Formulierung vom katholischen Theologen Karl Rahner gelesen; sie begleitete mich auf dem Höhenweg: „die offene Weite wird zur Kirche, die Sonne zum Altarlicht“.

Ich tue mich schwer mit dem Besuch von Gottesdiensten in Kirchen – den „ganz normalen“ wie auch denen, wo „queer“ draufsteht. Bei den „normalen“ komme ich als Person höchstens dann vor, wenn eine CSD-Parade ansteht, bei den „queeren“ komme ich oft vor, aber sonst ist im Ablauf meist alles gleich und spricht mich meist nicht so sehr an. Ausnahmen bestätigen die Regel.

Ich weiß, damit tue ich jenen schwulen, lesbischen, trans Christ:innen unrecht, die mit viel Liebe und Engagement „queere“ Gottesdienste vorbereiten. Aber auf dem Höhenweg wurde mir an einem Sonntag nochmals klar, dass mir ein anderer Weg (sic!) zu Gott/Göttin, allgemein zur Spiritualität, wichtig und für mich passender ist.

Ich weiß, viele schätzen das Verlässliche eines ritualisierten Gottesdienstes in der Gemeinde, im Kirchengebäude, jene Konzentration beim Sitzen auf der Kirchenbank. Aber es gibt auch eine Konzentration, die sich erst in der Bewegung ergibt. Nicht zufällig besitzt das Pilgern in vielen Religionen eine große Bedeutung. Und es gibt eine Natur-Spiritualität, die etwas sehr Unmittelbares hat – sei es der Blick aufs Meer, die Freude über einen Sonnenaufgang, sei es das Eintauchen in den Wald. Und auch auf Wanderungen sucht man nach Zeichen, die einem den Weg weisen, nach Spuren, die auf jene verweisen, die vor einem den Weg gegangen sind.

Ob meine Wanderung auf dem Havelhöhenweg am Sonntag besonders „queer“ war? Möglicherweise nicht. Und doch erwähne ich sie hier im Blog, um auf die vielfältigen Wege zu Gott hinzuweisen. Es ist schon oft thematisiert worden, dass Männer einen anderen Zugang zur Spiritualität haben, weil uns oft unsere Bilder von Männlichkeit im Wege stehen, weil sich Männer (angeblich oder tatsächlich) schwertun mit dem Zulassen von Gefühlen, die sie als schwach zeigen könnten. Armin Kummer hat auf „feinschwarz“ einen erhellenden Text über Männlichkeitscodes und die Suche nach Spiritualität geschrieben. Und vielleicht haben ja auch viele schwule Männer einen Wunsch nach einer anderen Art Spiritualität als jener in einer Kirchenbank – und sei es die Kirchenbank im queeren Gottesdienst.