So unmittelbar vor der Karwoche wird mir in diesem Jahr das Konzept des „Safe(r) Space“ besonders bewusst. Gemeint sind Räume, in denen sich Menschen, die von Diskriminierung und Marginalisierung betroffen sind, ungestört treffen und in einem geschützten Rahmen austauschen können. Orte also, wo sich niemand erst für sein*ihr So-Sein, Befinden wie Begehren erklären muss.
Bereits 2015 hat Kerstin Söderblom in einem Blog-Beitrag die Bedeutung von Safer Spaces im Zusammenhang mit einem Treffen des Europäischen Forums christlicher LSBT-Gruppen geschildert.
Ich hoffe, es ist von mir als Laien nicht überinterpretiert, wenn ich das Abendmahl und die Szene im Garten Gethsemane (auch) als Wunsch nach einem sicheren Ort lese – ein Wunsch, der bereits vom Wissen um die Fragilität aller menschlichen Versprechungen und Beziehungen überschattet ist. Nicht einmal die treuesten Jünger bewachen das Gebet zuverlässlich; und letztlich bleibt selbst das Gebet als intimster Ort der religiösen Zwiesprache unbeantwortet und lässt den Fragenden allein. Eisiges Schweigen macht ihm klar, dass der Kelch nicht an ihm vorübergehen wird. Jesus wird kein „Safer Space“ gewährt.
Eine – unter vielen - politisch wie menschlich schockierenden Nachrichten kam in diesen Tagen aus Uganda (evangelisch.de vom 22.3.2023). Das Parlament in Kampala stimmte letzte Woche für ein neues, in seiner Schärfe und Brutalität kaum zu überbietendes Gesetz gegen homosexuelle, bi-, transsexuelle Menschen. Nur zwei von 389 Abgeordneten waren dagegen.
In einem Land, das Homosexualität ohnehin bereits kriminalisiert (aufgrund eines Gesetzes aus der britischen Kolonialzeit), soll nun auch die Identifikation als LGBTQ* strafbar sein wie auch jegliche Unterstützung. Im Falle einer Verurteilung wegen Homosexualität soll nun die Todesstrafe drohen. Am Zustandekommen maßgeblich beteiligt war – so ist es in einem Bericht der „taz“ zu lesen - die Frau des ugandischen Präsidenten Yoweri Museveni. Sie gilt als „erzkonservative Anhängerin der evangelikalen christlichen Zirkel aus den USA“. Das Paar gehöre zu den „ersten afrikanischen Mitglieder im sogenannten Prayers Breakfast in Washington, einem jährlichen Event, bei dem in der Fastenzeit die politische evangelikale Elite zusammenkommt“.
Sven Lehmann, der Queer-Beauftragte der Bundesregierung, nannte das Gesetz gegenüber dem Evangelischen Pressedienst eine Kriegserklärung an queere Menschen. Kasha Jacqueline Nabagesera, die in Uganda geborene und mit dem Alternativen Nobelpreis (Right Livelihood Award) ausgezeichnete Menschenrechtsaktivistin, zeigte sich „sehr besorgt über die Entwicklung in ihrem Heimatland“. Clare Byarugaba von der ugandischen Menschenrechtsorganisation Chapter Four kritisierte, die LGBT-Gemeinde werde als Sündenbock genutzt, "um von eigentlichen Problemen wie Korruption oder Armut abzulenken".
Eine solche Drastik überfrachtet wahrscheinlich ein auf Selbstermächtigung zielendes Konzept der "Safer Spaces", wie sie hierzulande erörtert werden. Zumindest wenn man es nur als Einzelphänomen betrachtet. Der britische Filmemacher Ken Loach sagte kürzlich - in einem anderen Zusammenhang! - nach sicheren Räumen (in Westeuropa) gefragt, dass die Vorstellung, die Welt sei gefährlich und man Räume schaffen müsse, in denen sich Menschen sicher fühlten, eine Sackgasse sei. „Sämtliche Räume müssten Sicherheit bieten.“
Das Konzept des Safer Space kann nicht ohne die Gesellschaftsform, die politischen Verhältnisse gedacht werden. In Ländern, in denen grundlegende Menschenrechte nicht gewährt werden und kein Schutz vor Verfolgung besteht, bleiben alle Räume – oder besser: Verstecke? – ständiger Bedrohung ausgesetzt.
Auch die Räume, von denen die Bibel erzählt: das gemeinschaftliche Mahl, der Garten, schützen nicht vor dem Zugriff durch die Menschen in Machtpositionen. Die Hohenpriester und die Ältesten des Volkes haben eine List ersonnen, Judas sich ihnen als Verräter angeboten. Und der römische Statthalter wird sich die Hände in Unschuld waschen, denn er hat ja das Volk entscheiden lassen, wer begnadigt und wer gekreuzigt werden soll.
Unmittelbar vor der Karwoche erscheint die Formulierung „Sämtliche Räume müssten Sicherheit bieten“ als gesellschaftliche Utopie oder als, wenn man so will, frommer Wunsch. Die Wichtigkeit und Bedeutung von "Safer Spaces" im Rahmen dessen, was Einzelnen möglich ist, bleibt dennoch bestehen.