Foto: Rainer Hörmann
Weihnachten Queeres Leben
Showdown
Alle Jahre wieder kommt das Christuskind - und jedes Jahr wird eine Geburt zum Showdown gemacht. Da bleibt nicht viel von der Verletzlichkeit, die uns Menschen ausmacht und auch für queeres Leben bedeutsam ist.

Eine der Herausforderungen der Weihnachtszeit besteht darin, Erwartungen mit der Realität in Einklang zu bringen. Eine der häufigsten – wenn auch gern verdrängten – Erkenntnisse der Weihnachtszeit ist, je länger und pompöser der Wunschzettel, desto sicherer die Enttäuschung beim Auspacken am Heilig Abend. Das Leben ist doch kein Wunschkonzert! Das passt nicht nur wunderbar zum protestantischen Bedürfnis nach Nüchternheit, sondern auch zur Geschichte von Jesus mit ihrem kargen Anfang: Krippe, Stroh, Stall zu Bethlehem, keine feste Bleibe. Da müssen schon Engel und Kometen aufgefahren werden, die die Erwartung bei den wenigen Zaungästen schüren.

Doch so orchestriert wie das biblische Schauspiel, ist das Weihnachtsfest in den Vorstellungen der meisten Menschen. Wieviel Lametta, ob erst Geschenke, dann Singen oder umgekehrt. Am hartnäckigsten hält sich die Mär vom Familienfest. Ungeachtet aller demografischen und soziologischen Studien, wie es in unserer Gesellschaft um Alleinlebende bestellt ist, bleibt die bürgerliche Kleinfamilie das Ideal des Zusammenlebens. Ein Artikel von Anne Kampf auf evangelisch.de zitierte bereits 2013 den Theologen Jan Hermelink mit der Aussage, die gegenwärtige Weihnachtskultur verstärke die "Ausgrenzung nichtfamiliärer Lebensformen". Wer ohne Familie feiern muss, fühle sich außen vor, weil die meisten Menschen Weihnachten so stark mit der Verwandtschaft verbinden.

Da spielt viel Sehnsucht nach Zugehörigkeit eine Rolle. Und nicht zuletzt das idealisierte (Selbst-)Bild und die Frage, ob und wieweit es revidiert und den tatsächlichen Gegebenheiten angepasst werden müsste. Das kann ein schmerzhafter Prozess sein – und insofern passt ja auch wieder die Geschichte von der Geburt und dem Kind, das nicht zuletzt auf die Verletzlichkeit und Bedürfnishaftigkeit des Menschen verweist.

Und alle Jahre wieder spiegelt sich darin auch ein Moment des queeren Lebens. Es geht um Erwartungen von homo-, bisexuellen, transgeschlechtlichen Menschen, wie es sein sollte, und um die Erfahrungen, wie es tatsächlich ist. Das Coming-out hat viel von einer zweiten Geburt, hat viel mit Verletzlichkeit zu tun, mit der Sehnsucht, von anderen akzeptiert zu werden, vom Bedürfnis, wahrgenommen zu werden, dazuzugehören. Es ist ein Anfang, ein Sich auf den Weg machen, und wir hoffen, dass ein Segen darüber liegt und es am Ende gut wird. Aber selbst wenn es individuell erfüllend wird: dass zwischen einem vorgestellten Idealzustand und der Realität (immer noch) ein sehr großer Unterschied besteht, das wissen die meisten queeren Menschen. Vieles wird groß orchestriert und verkündet, Erwartungen geweckt – möglicherweise die an die große, fürsorgende queere Community, möglicherweise die, Segen für homosexuelle Paare sei selbstverständlich in allen christlichen Kirchen oder sollte gar selbstverständlich sein für jede Religion. Ob auf der politischen Bühne oder auf der ganz persönlichen des Alltags. Die Realität holt einen ein, und ist man enttäuscht, dann wird man reflektieren müssen, ob die Wünsche zu groß waren oder ob im gesellschaftlichen Leben etwas verändert werden kann und muss.

Denn auch das gehört zur Weihnacht. Sie ist ein Anfang und kein Endpunkt, selbst wenn sie kalendarisch aufs Jahresende fällt. Sie ist der Ausgangspunkt für Neues, für Veränderung oder, symbolischer und im Kreislauf gedacht, für die Wiederkehr des Lichts. Und genau das ist der Grund des Feierns – ob nun allein, im kleinen Kreis, mit der Herkunfts- oder der Wahlfamilie, ob nun mit vielen Geschenken oder wenigen. Das wird gern vergessen in der Fixierung auf diesen einen Tag, diesen Heiligen Abend, der perfekt sein soll, der unserem Ideal und/oder einem internalisierten gesellschaftlich-kirchlichen Ideal entsprechen soll, von dem wir nicht lassen wollen oder auch nicht können. Danach geht es weiter, auch wenn die Engel, die eben noch über dem Stalldach groß getönt haben, längst wieder verschwunden sind.