Seit fast 25 Jahren setzt sich die Organisation FLay "für mehr Sichtbarkeit und Toleranz für queere Menschen in Liechtenstein ein". Aktuell sind über 50 Menschen in dem Verein aktiv, der auf seiner Homepage die Vision formuliert: "Wir wollen in Liechtenstein eine Gesellschaft erreichen, die aktiv queer-freundlich ist. Unsere Vision ist ein Liechtenstein, in dem queere Menschen rechtlich in allen Punkten gleichgestellt sind". Im Interview mit dem Kreuz&Queer-Blog kommen nun die FLay-Vorstandsmitglieder Elea Goldinger, Elias Deplazes und Stefan Marxer zu Wort.
Albrecht: Unter dem Motto "Kumm o & trau Di!" fand in diesem Jahr der aller erste PRIDE in Liechtenstein statt. Wie ist es dazu gekommen? Und wie habt ihr diesen Tag für euch ganz persönlich erlebt?
Deplazes: Ich fand es sehr emotional. Es hatte ja bis dahin nie einen Pride gegeben. Als Organisator war es eine sehr große Arbeit, das zusammenzustellen. Aber es hat sich gelohnt. Endlich ein Pride. Es waren sehr viele Menschen da, besonders dafür, dass es das erste Mal war.
Goldinger: Für mich war es spannend zu sehen, wie viele Menschen das kleine Land Liechtenstein unterstützt haben mit ihrer Anwesenheit. Und wie viele Menschen auch ihre Hilfe angeboten haben. Es war sehr bewegend das mitzuerleben.
Marxer: Unser Ziel war, in Liechtenstein zu zeigen, wie viele Menschen überhaupt queer sind. Dass das nicht nur so zwei, drei Personen sind, die öfters mal in der Zeitung auftauchen und eine große Klappe haben, sondern mehr. Dass das quer durch die Bevölkerung geht. Der Pride fand im Kontext verschiedener Ereignisse statt, wie die Abstimmung über die Ehe für alle in der Schweiz sowie bei uns in Liechtenstein, das Gerichtsurteil zur Stiefkindadoption, das konnten wir alles beim Pride thematisieren. Es war wirklich an der Zeit. Im Vorfeld haben wir gesagt: Okay, wenn wir 300 bis 500 Leute hinbekommen, die teilnehmen, dann ist das klasse. Wir haben es aber von einem Crowd Manager noch analysieren lassen und demnach waren so zwischen 1000 und 1200 Personen da, davon sicher 80 % aus Liechtenstein. Von jung bis alt, Familien mit Kindern, queere Familien, queere Personen, Großeltern, Arbeitskolleginnen und Freundinnen und Freunde und so weiter. Es war ein Querschnitt über die ganze Bevölkerung, der da war und das hat man so in Liechtenstein nicht erwartet. Das hat uns politisch gesehen auch ganz ein anderes Gewicht gegeben, vor allem, weil auch Botschafter dabei waren und wir dadurch ein politisches Gewicht der Veranstaltung hinbekommen haben, das man uns so nicht zugetraut hat.
Albrecht: Kannst Du kurz sagen, was es mit den Botschafter:innen auf sich hat?
Marxer: Die Botschafter in der Schweiz sind ja auch für Liechtenstein zuständig. Ende 2021 wurde der amerikanische Botschafter, Scott Miller ernannt - ein sehr bekannter LGBTIQ Aktivist in den USA. Wir hatten von Anfang an das Gefühl, das wäre natürlich der Hammer, wenn der amerikanische Botschafter bei uns an der Pride eine Ansprache hält. Wir hatten dann das Glück, dass die britischen Botschaften für das Jahr 2022 weltweit Gleichberechtigung und Chancengleichheit als Thema ausgerufen haben und darauf aufmerksam geworden sind, dass wir den ersten Pride in Liechtenstein planen. Die haben uns dann angefragt, wie sie uns unterstützen können. Und dadurch hatten wir dann auch Jane Owen, die britische Botschafterin, an Bord. Die britische Botschaft wiederum hat uns den direkten Kontakt zur amerikanischen Botschaft ermöglicht. Wir waren dann auch eingeladen, unseren Verein und unsere Planungen zum Pride am IDAHOBIT am 17. Mai in der britischen Botschaft vorzustellen. Dort haben wir auch den französischen Botschafter, der selber ebenfalls schwul ist, und seinen Mann kennen gelernt. Und der kam dann auch zur Pride, einfach nur als privater Besucher, weil er das unterstützen wollte. Wir sind mittlerweile ziemlich gut vernetzt und werden auch immer wieder eingeladen. Das hilft uns und verleiht uns ein ganz anderes Standing gegenüber unserer Politik.
Albrecht: Vor wenigen Wochen wurde eine überparteiliche Motion zur Einführung der Ehe für alle in Liechtenstein in den Landtag eingereicht. Was hat es damit auf sich?
Marxer: Dazu gibt es eine Vorgeschichte. Es erging ein Urteil vom Obersten Gericht betreffend der Stiefkindadoption. Weil es im Partnerschafts-Gesetz im Artikel 25 einen generellen Ausschluss für verpartnerte Paare von der Adoption und der Fortpflanzungsmedizin gab. Die Regierung hat diesen Gerichtsfall verloren und das Gericht wies an, die Stiefkindadoption in diesem Artikel zu erlauben. Die Regierung hat dann einen Vorschlag erarbeitet, bei dem der gesamte Artikel eigentlich beibehalten werden sollte. Also mit dem generellen Ausschluss von Adoption und Fortpflanzungsmedizin für eingetragene Paare, nur eben mit Ausnahme der Stiefkindadoption. In der ersten Lesung fand das noch ein Großteil der Landtagsabgeordneten okay. Und in der zweiten Lesung war dann erstaunlicherweise - und zu unserer Überraschung - eine 13 zu 12 Mehrheit gegen diesen Vorschlag. Viele sind da unserer Argumentation gefolgt, dass es nichts bringt, einen diskriminierenden Artikel gegen einen anderen diskriminierenden Artikel zu ersetzen, der auch nicht gerichtsfest ist. Die Regierung hat nach diesem Entscheid komplett umgedreht. Als FLay hatten wir dann auch in einem Interview schon gesagt, was wir jetzt erwarten. Und so ähnlich formulierte es dann auch die Regierung ein paar Tage später, indem sie sagten, sie interpretieren dieses Urteil so, dass die Mehrheit des Parlaments möchte, dass gleichgeschlechtliche Paare unabhängig vom Zivilstand genau dieselben Möglichkeiten zur Adoption haben und Zugang zur Fortpflanzungsmedizin wie alle anderen auch. Das Gesetzgebungsverfahren dazu wurde dann in einem Rekordtempo vollzogen.
Dieses Tempo der Regierung ist nach ihrer eigentlich ziemlich starken Opposition dagegen sehr erstaunlich. Und im Rahmen dieses eigentlich ein bisschen unerwarteten Ausgangs dieser Abstimmung im Landtag war für uns dann klar: Jetzt ist es Zeit, die Ehe für alle auch aufs Tapet zu bringen. Insbesondere weil die Regierung auch gesagt hat, sie interpretiert diesen Entscheid so in Bezug auf Adoption, aber könne daraus keine Entscheidung des Landtags zugunsten der Ehe für alle herauslesen. Die Regierung hat dort aber auch - wie so oft bei uns im Land -, über die verschiedenen Kanäle zu verstehen gegeben, dass, wenn die Ehe für alle über eine Initiative aus dem Volk oder über eine Motion aus dem Parlament kommt, sie das sehr schnell so umsetzen möchte. Und so kam es zu dieser Motion.
Wir haben das große Glück, dass zwei ehemalige Präsidenten von FLay im Parlament sind. Patrick Risch und Daniel Seger. Die Motion hat Daniel Seger in Stichworten zusammengestellt, ich habe sie dann ausformuliert und er hat sie weiterbearbeitet. Die Motion haben dann Patrick Risch und Daniel Seger vorangetrieben. Beide sind aus zwei unterschiedlichen Parteien. Die beiden haben zusätzlich aus der zweiten Regierungspartei zwei Menschen dazu gebracht, zu unterschreiben und dadurch 15 Personen gesammelt. So dass am Ende wirklich eine der beiden Regierungsparteien in Fraktionsstärke unterschrieben hat, die kleinere Oppositionspartei, ebenfalls in Fraktionsstärke. Von der zweiten Regierungspartei haben momentan zwei unterschrieben. Wir wissen aber über indirekte Kanäle, dass dort vermutlich noch mehr der Überweisung an die Regierung zustimmen werden.
Die Motion wird Anfang November in der Parlamentssitzung behandelt. Wir rechnen damit, dass sie direkt an die Regierung überwiesen wird. Bei uns arbeitet die Regierung dann den Gesetzesvorschlag aus und bringt diesen dann in die Vernehmlassung. Vernehmlassung heißt, es werden öffentlich alle Interessierten aufgerufen, eine Stellungnahme dazu abzugeben, also Parteien, Gemeinden, Vereine etc., von denen man annimmt, dass sie interessiert sind. Wir als FLay auch. Diese Rückmeldungen werden gesammelt und normalerweise wird dann nichts Großes mehr geändert. Es geht dann so in den Landtag als Gesetzesvorschlag. Wir gehen davon aus, dass dann das Gesetz zur Ehe für alle oder die Vorschläge zur Anpassung der Gesetze im Landtag problemlos durchkommen werden. Mit irgendwas zwischen 15 bis 20 Stimmen von 25. Vielleicht sogar 23. Eine Gegenpartei haben wir, das wissen wir. Und dann wird das Ganze zum Referendum ausgeschrieben und wir gehen davon aus, dass es ein Referendum geben wird. Die dafür benötigten 1500 Unterschriften sind relativ einfach zu erreichen, wenn man das Geld hat, um Briefkasten-Einwurfschreiben zu finanzieren. Und es gibt ein paar finanziell sehr starke Gegner, die das auch machen werden. Das heißt, es muss dann innerhalb einer gewissen Frist eine Volksabstimmung durchgeführt werden. Und da rechnen wir aber bei der Ehe für alle damit, dass wir das in der Größenordnung von 60 % mit Ja durchbekommen.
Albrecht: Was sind neben der Ehe für alle aktuell die großen queer-politischen Herausforderungen in Liechtenstein? Wie sieht es etwa mit der rechtlichen Situation bei Transgeschlechtlichkeit aus?
Marxer: Liechtenstein ist eigentlich relativ konservativ und gleichzeitig fortschrittlich. Das zeigt sich nicht immer in der Gesetzgebung. Unser Ziel als FLay war es von Anfang an, aus der Mitte zu agieren, aus der sogenannten Normalität heraus sichtbar zu machen, dass wir nichts Besonderes sind - einfach nur ein bisschen queer. Schrille Forderungen würden uns sehr viele Stimmen kosten, bis hin zu einer Ablehnung. Deswegen treten wir sehr gemäßigt auf. Wir vertreten unsere Meinung, laut Regierungschef auch mit einer sehr spitzen Feder, aber wir stellen im Moment noch keine extremen Forderungen, vor allem keine Sonderregelungen, um das, was im Moment wirklich im Rollen ist, nicht zu torpedieren.
Bei Transgeschlechtlichkeit ist es so: Wir haben in Liechtenstein kein Personenstandsregister. Deshalb fehlt die gesetzliche Grundlage für Änderungen in einem solchen Register. Das soll schon lange erarbeitet werden, eventuell sogar noch in dieser Legislaturperiode. Aber aktuell wird einfach nur mit Vorgaben gearbeitet. Das führt dazu, dass im Moment Namenswechsel und andere Fragen, die die Veränderungen der formalen Geschlechtsidentität betreffen, noch sehr schwierig sind. Es ist möglich, aber mit Aufwand und Auflagen verbunden, wie einem psychiatrischen Gutachten - was natürlich nicht wirklich zielführend ist. Wir stehen da aber in Kontakt mit dem entsprechenden Minister.
Deplazes: Ich war nicht der erste Transmann, der seinen Personenstand geändert hat, aber der erste in der Kombination mit Ehe und Kind. Ich bin verheiratet mit einem Mann, habe ihn jedoch als Frau geheiratet. Heute habe ich den Personenstand geändert. Nun sind wir ein "homosexuelles" Ehepaar, was im Fürstentum Liechtenstein jedoch noch nicht möglich ist.
Meinen Personenstand habe ich in der Schweiz geändert, da ich Schweizer Bürger bin. In Liechtenstein bin ich aufs Zivilstandesamt gegangen und forderte die Änderung. Es hat mich einige Nerven gekostet. Die Behörden habe ich ein halbes Jahr zuvor vorinformiert, dennoch waren sie nicht vorbereitet. Ich wollte vom Amt wissen, wie es dann mit meinen Rechten aussieht. Sie konnten mir nicht sehr viel darauf antworten. Das ist tragisch. Sie hätten sich besser vorbereiten können. Ich kenne Transmenschen, die können sich da nicht so wehren wie ich. Dafür sind wir ja als FLay für unsere Mitglieder da. Es ist ein sehr hässliches Gefühl, wenn du deinen Personenstand änderst, aber du weisst, vielleicht habe ich dann nicht mehr die gleichen Rechte - und ich weiss noch nicht, was dann passiert mit meiner Ehe. Ich finde es schlimm, wenn ein Zivilstandesamt sagt, dass sie nichts machen können. Ich habe es mir ja nicht ausgesucht. Auch in Liechtenstein haben wir Betroffene.
Albrecht: "Wenn zwei Homosexuelle irgendwelche Knaben adoptieren, ist das nicht unproblematisch", sagte Monarch Fürst Hans-Adam II. von und zu Liechtenstein im Zusammenhang mit der Gleichstellung homosexueller Paare im Adoptionsrecht. Die Reaktion von FLay kam prompt, dort hieß es, dass der "Vergleich von Schwulen mit Pädophilen für Unverständnis und rote Köpfe gesorgt“ habe. Ich frage mich, wie fühlt mensch sich als Bürger:in, wenn das eigene Staatsoberhaupt solche Dinge sagt?
Marxer: Wenn man den Fürst kennt und weiß aus welcher Generation er ist, dann ist man eigentlich nicht unbedingt sehr geschockt über die Aussage. Die Aussage hört man bei der Generation 60 plus noch relativ häufig. Aber vom Staatsoberhaupt darf und muss man etwas anderes erwarten, definitiv. Was aber bei diesem Zitat aus diesem Interview immer unterging ist, dass er im gleichen Satz auch gesagt hat, bei der Ehe für alle sieht er eigentlich keine größeren Probleme.
Der Satz als solches ist eine bodenlose Frechheit, eine Unterstellung, die ja Homosexuelle quasi auf eine Stufe mit Pädophilen stellt und ist so nicht zu akzeptieren. Wir wurden damals in Interviews zur Volksabstimmung in der Schweiz über die Ehe für alle natürlich auch nach diesem Zitat des Fürsten gefragt. Und die politische Situation in Liechtenstein ist halt so, ein Gesetz tritt erst in Kraft, wenn es der Fürst sanktioniert, sprich unterschrieben hat. Und rein aus der politischen Überlegung hat man dann zwei Varianten: Man kann das Fürstenhaus jetzt dafür angreifen und schlägt die Türen zu oder man kann versuchen, da irgendwo was Positives rauszuziehen. Und Hans-Adam II. ist einer, der innenpolitisch entweder ein Elefant im Porzellanladen ist oder einfach ab und zu provoziert und damit Diskussionen anstößt, die in Liechtenstein verpönt oder vermieden werden. Diese Aussage war sicher nicht als eine dieser Provokationen gedacht. Das ist seine Meinung, mit Sicherheit. Aber wir haben dann als FLay im Interview gleich gesagt: Wir verstehen es in diesem Kontext als Provokation. Denn es hat Emotionen ausgelöst, es hat Diskussionen ausgelöst und sowohl das Fürstenhaus wie auch die Regierung haben immer breite öffentliche Diskussionen zu diesem Thema verlangt. Darum haben wir die Aussage so uminterpretiert, dass sie unserer Sache nutzt. Weil damit eine Diskussion stattfand, von der immer wieder gesagt wurde, sie hätte noch nicht stattgefunden, das einerseits. Andererseits haben wir dem Fürstenhaus damit auch einen gesichtswahrenden Ausweg gezeigt, dass, wenn sie dieses Gesetz eines Tages unterschreiben, auch in Bezug auf die Adoption, dass Sie das gesichtswahrend tun können und nicht an diesem einen Satz aufgehängt werden.
Albrecht: Der Fürst ist nicht die einzige prominente Person aus Liechtenstein, die durch anti-homosexuelle Äußerungen auffällt. So hat sich auch der Erzbischof von Vaduz, Wolfgang Haas, wiederholt gegen die Einführung der Ehe für alle ausgesprochen. Laut dem Portal queer.de hat er in diesem Zusammenhang sogar von einer "teuflischen Attacke" gesprochen. Ist Haas ein Einzelfall? Wie nehmt ihr die römisch-katholische Kirche in Liechtenstein im Allgemeinen wahr?
Marxer: Wenn man Ratzinger und Haas nebeneinander stellt, weiss man nicht, welcher erzkonservativer und rückwärtsgewandter ist. Opus Dei lässt grüßen. Selbst stramme Katholiken sagen, man könne gegen gleiche Rechte für LGBTIQs sein, aber nicht auf diese Art und Weise. Wir haben offenbar rund 160 geweihte Priester im Erzbistum, die über unsere Steuergelder bezahlt werden. Darunter sehr viele Priester, die in anderen Bistümern nicht zur Priesterweihe zugelassen wurden, wegen des Eindrucks einer mangelnden Befähigung, so irgendwie hieß wohl die Begründung, wenn ich mich nicht irre. Wie zum Beispiel Pfarrer Jäger, gegen den jetzt Ermittlungen laufen wegen des Verdachts auf einen Kindesmissbrauch im Bistum. Bischof Haas hat ihn mit offenen Armen empfangen und das ist nicht der einzige Fall. Und diese Pfarrer vertreten alle diese Opus Dei-Linie. Rückwärtsgewandt, zurück zur lateinischen Liturgie mit dem Rücken zum Volk und so weiter. Wir haben noch 70 % Katholiken im Land und diesen Kurs, den unterstützen nach meiner Schätzung, wenn's hochkommt etwa 10 bis 15 %. Alle anderen wenden sich angewidert ab.
Albrecht: Neben der katholischen gibt es ja auch die evangelische Kirche sowie viele Freikirchen in Liechtenstein und Umgebung. Wie ist dort die Situation für Menschen, die Diskriminierung aufgrund ihrer gleichgeschlechtlichen Liebe oder ihres Geschlechts erleben?
Goldinger: Ich lebe offen, als Christin und queer. Damit gehöre ich einer Minderheit an. Viele trauen sich nicht, sich öffentlich dazu zu bekennen, dass sie gläubig und queer sind. Sie leben ihren Glauben versteckt. Es gibt in Zürich und in Sankt Gallen queere Gemeinden. Die Pfarrerinnen dort, Annette Berg und Priscilla Schwendimann, die leben beide ihre Homosexualität und ihren Glauben aus und sie kommunizieren dies auch nach außen. Sie glauben an die Hoffnung.
Ich finde, man sollte viel mehr von der Nächstenliebe sprechen. Die römisch-katholische Kirche sagt ja, ihr seid alle verdammt, weil ihr trans seid oder gleichgeschlechtlich liebt. Das finde ich falsch. Wir sind alle gleich, das sollte viel mehr öffentlich deutlich gemacht werden. Wir sind alle gleich und Gott liebt uns alle gleichermaßen. Wenn wir schon von Sünde sprechen, wir sind alle Sünder. Wir machen jeden Tag, jede Stunde, jede Minute Fehler, daher sage ich: "Wir sind alle gleich. Ich mache keinen Unterschied, ob queer oder nicht. Jeder sollte seinen Glauben leben dürfen und dabei sein dürfen wie er/sie ist". Was Gemeinden angeht, in denen das möglich ist: In Lichtenstein kenne ich mich da zu wenig aus, aber in der Schweiz gibt es sie. Wenn es in Liechtenstein eine solche Möglichkeit gibt, dann wäre das sehr schön für die queeren Gläubigen. Durch die Hetze von Erzbischof Haas haben viele Angst davor, sich öffentlich dazu zu bekennen, dass sie queer sind und an Gott glauben. Als ich diesen Zeitungsartikel gelesen habe, in dem er so grässliche Dinge über die Ehe für alle sagt, da dachte ich im ersten Moment: "Ach du meine Güte". Im zweiten Moment habe ich darüber gelacht, weil ich finde, er ist einfach ein Heuchler. Predigt die ganze Zeit nur von Nächstenliebe und von der guten Botschaft, aber gleichzeitig ist er einfach nur auf sich bedacht.
Marxer: Es gibt in Liechtenstein den Verein für eine offene Kirche. Die setzen sich im Sinne des Glaubens eigentlich sehr ein für eine offene Kirche, haben auch den synodalen Weg selbst mitgemacht mit Laien. Unser selbsternannter "Herz"-Bischof hatte hingegen das Gefühl, bei uns sind alle Türen offen, mit uns kann man jederzeit reden und wir brauchen diesen synodalen Weg nicht - auch wenn der vom Papst ausgerufen wurde.
Die Gesellschaft in Liechtenstein ist sehr viel liberaler, als es die Gesetze sind und als es von außen den Anschein macht. Meine Eltern sind sehr aktiv in der Kirche. Und ich glaube, es gibt einzelne Gemeinden, in denen die Pfarrer nicht unbedingt auf der Linie vom Erzbischof sind. In denen es nicht großartig zum Thema wird, ob jetzt jemand queer lebt oder nicht. Das wird ganz pragmatisch nicht groß thematisiert, man macht einfach, bleibt ein bisschen unter dem Radar vom Erzbischof und dann passt es.
Albrecht: Mich interessiert zum Abschluss, wer sind die Verbündeten aus Zivilgesellschaft, Politik und Kirchen, die FLay im Kampf um gleiche Rechte unterstützen?
Marxer: Auf jeden Fall der Verein für Menschenrechte. Einzelne Politiker und Politikerinnen. Jetzt nicht nur Daniel Seger und Patrick Risch als selber queere Männer, sondern auch viele andere. Das geht bis in die Regierung hinein. Dann, ganz klar Gemeinden. Etwa der Vorsteher von der Gemeinde, wo wir den Pride abgehalten haben.
Albrecht: Wie können unsere Leser:innen des Kreuz&Queer-Blogs die Arbeit von FLay supporten?
Marxer: Gläubige und aktive Kirchenmitglieder haben natürlich ein sehr großes Potenzial, uns zu unterstützen. Egal ob das jetzt in Liechtenstein selbst ist oder generell einfach im deutschsprachigen Raum. Denn das, was wir mittlerweile erreicht haben in Bezug auf Akzeptanz und Toleranz, das muss ja auch ständig verteidigt werden. Und was uns am meisten hilft ist schlussendlich, wenn die Menschen sehen, dass wir nichts Besonderes sind und dass wir eigentlich Urkonservatives für uns wollen, nämlich eine Ehe oder eine Familie gründen. Und auch wenn da dann halt zwei Frauen oder zwei Männer die Eltern sind. Schlussendlich will man nur das Beste für das Kind. Man will sich einbringen in die Gesellschaft.
Egal, ob jetzt der Einfluss der Kirchen noch so groß ist wie vor 20 Jahren oder nicht, er ist nach wie vor vorhanden. Und wenn sich die Kirchen langsam auch ein bisschen bewegen könnten und gewisse Vorgaben auch in Bezug auf ihre tägliche Arbeit, auf ihre Angestellten und so weiter endlich mal überarbeiten könnten und einfach sagen, das Privatleben von meinem Mitarbeitenden ist mir eigentlich egal, das wäre ein Fortschritt. Es geht darum: Ist dieser Mensch geeignet für diese Stelle? Kann man mit Menschen umgehen? Kann man sie betreuen? Kann man Gutes bewirken? Das hat mit der gelebten Sexualität überhaupt nichts zu tun. Ich wünsche mir eine Entkrampfung in der Kirche in Bezug auf die Sexualität. Dabei geht es ja nicht nur um queere Menschen, da geht es um alle Menschen. Und das kann jeder Leser und jede Leserin tagtäglich immer wieder einbringen. Das geht nur über Gespräche, über Kennenlernen, über Vorurteile abbauen. Und wir sagen deshalb auch: Es braucht diejenigen, die mit dem Regenbogen ständig laut schreiend durch die Straßen rennen. Und es braucht diejenigen, die sich lieber mit Partnerinnen und Partner und Kind in ihren Nachbarschaften einrichten. Sie zeigen allein durch ihr Beispiel von einem gemeinsamen Leben als Familie: Hey, es ist alles gar nichts Besonderes.
Elea Goldinger (33) ist verheiratet und Studentin an einer Bibelschule sowie Hausfrau. Ihre Konfession ist evangelisch-freikirchlich. Sie engagiert sich ehrenamtlich in ihrer Gemeinde. Bei FLay ist sie insbesondere für die Homepage zuständig.
Elias Deplazes (33) ist verheiratet, Sozialarbeiter und gehört zur evangelischen Kirche. Seine Aktivitäten bei FLay sind Beratungsarbeit sowie die Unterstüzung von Veranstaltungen.
Stefan Marxer (47) ist verlobt und arbeitet als leitender Administrator. Er ist ausgetretener Katholik. Neben seinem Engagement bei FLay, wo er sich insbesondere mit Politik befasst, ist er auch bei Network, einem Zusammenschluss von schwulen Männern in leitenden Funktionen in der Schweiz, aktiv.