Krieg in der Ukraine. Verdorrende Ernten. Kein Ende der Pandemie in Sicht. Oft drücke ich mich dieser Tage davor, die Nachrichten im Fernsehen oder im Internet anzuschauen. Zu groß, zu mächtig, zu gewaltig erscheinen mir die Katastrophen, mit denen ich dort konfrontiert werde. Mir erscheint es so, als stünde der Menschheit das Wasser bis zum Hals. Wie gut tut es da, Gottes Worte zu hören, die er damals an das Volk Israel gerichtet hat und die auch heute ganz genau so für uns gelten:
Wenn du durch Wasser gehst, will ich bei dir sein, und wenn du durch Ströme gehst, sollen sie dich nicht ersäufen. Wenn du ins Feuer gehst, wirst du nicht brennen, und die Flamme wird dich nicht versengen. Jesaja 43,2
Dieser Vers aus dem Buch des Propheten Jesaja, die heutige Tageslosung, ist eine Zusage Gottes. Ich bin dankbar, an diese wunderbare Zusage erinnert zu werden. Denn genau das ist es, was wir gerade brauchen, Erinnerungen an Gottes Zusagen. Wenn eine Bedrohung auftaucht, wohin richten wir dann unseren Blick? Nach vorn? Sollen wir kämpfen? Zur Seite? Sollen wir fliehen? Auf den Boden? Sollen wir einfach verharren? Oder nach hinten? Sollen wir uns abwenden? Eine Blickrichtung fehlt in dieser Aufzählung. Doch gerade auf die kommt es an. Nach oben! Schauen wir zuerst nach oben. Als Menschen neigen wir viel zu schnell dazu, uns so zu fühlen, als seien wir auf uns allein gestellt. Wir vergessen, dass hoch oben über uns derjenige thront, der unser Schicksal in seinen Händen hält. Das gilt sowohl für die großen Konflikte der Welt, als auch für das, was uns ganz persönlich im sozialen Umfeld bedrückt. Ob Dich nun die Sorgen vor den Folgen des Klimawandels umtreiben oder Du Dich ängstigst, weil Du die Reaktionen Deiner Familie auf Dein Coming-out fürchtest, immer gilt Gottes Zusage. Er ist da. Wir sollten uns stets aufs Neue daran erinnern. Das kann durch das Lesen der Bibel, das Hören von Andachten oder die gegenseitige Erbauung geschehen. Gerade bei Christ:innen, denen von anderen gesagt wurde, dass Gottes Zusagen für sie nicht gelten würden, weil sie gleichgeschlechtlich lieben, durfte ich in der Vergangenheit immer wieder erleben, wie gut ihnen der Zuspruch tut: Doch, Gottes Zusagen gelten für Dich!
Eine weitere wichtige Erkenntnis, die wir aus dem Vers ziehen können, ist, dass Gott uns nicht immer vor dem Leid bewahrt, aber uns im Leid bewahrt. In der Losung steht nicht, du wirst nicht durch Wasser und nicht durch Ströme und nicht durch Feuer gehen müssen. Ja, es wäre Gott ein Leichtes, auch diese Zusagen zu machen, aber sein Wille für unser Leben ist ein anderer. Die Frage warum Gott uns leiden lässt, bewegt die Menschen zu allen Zeiten. Auch mir wird es nicht gelingen, eine erschöpfende Antwort hierauf zugeben. Was ich allerdings selbst oft erlebt habe, ist, dass Leiden zum Heil führen kann. Anti-homosexuelle Kräfte mehren ja immer wieder gern die Mär, dass Menschen sich für einen "homosexuellen Lebensstil entscheiden" würden. Unbesehen der Frage, was solch ein Lebensstil überhaupt sein soll, impliziert diese Aussage die falsche Behauptung, dass Personen ihre sexuellen Präferenzen selbst auswählen könnten. Wenn dem so wäre, entgegnen Christ:innen, die gleichgeschlechtlich lieben häufig, dann hätten sie sich sicher nicht ausgesucht, homosexuell zu begehren. Weshalb sollten sie sich entscheiden, ein Leben zu führen, das sie immer wieder Ausgrenzung, Diskriminierung und Gewalt erfahren lässt? Das ist ja gerade der Grund, warum viele Christ:innen, die gleichgeschlechtlich lieben oder deren Geschlecht nicht dem entspricht, das sie bei der Geburt zugewiesen bekommen haben, mit ihrem Schöpfer hadern und fragen: Warum hast Du mich so gemacht? In vielen Gesprächen haben mir Personen erklärt, dass sie im Rückblick auf ihr Leben dankbar sind, dass der Herr ihnen diese Sexualität oder diese Geschlechtlichkeit geschenkt hat und zwar mit allen negativen Konsequenzen, die das mit sich bringt. Ihre Dankbarkeit liegt darin begründet, sich gewahr zu sein, dass, wenn sie diese Erfahrungen nicht gemacht hätten, sie vielleicht zu christlichen Fundamentalist:innen geworden wären. Fundamentalist:innen, deren Tage zu einem großen Teil damit gefüllt sind, andere zu verurteilen. Selbst zu wissen, wie es sich anfühlt, diskriminiert zu werden, war für sie schmerzhaft und heilsam zu gleich. Es hat ihre Empathie für ihre Geschwister und deren Vielfalt geweckt. Auch berichten viele dieser Menschen, dass sie in der Zeit des größten Leides sehr intensive Erfahrungen mit ihrem Gott gemacht haben. Mitten im Angesicht der Bedrohung, sei es der Gemeindeausschluss, der Kontaktabbruch der Familie oder Gewaltandrohungen, haben sie Bewahrung erlebt. Sie machten die Erfahrung, dass sie, so schrecklich das alles war, nicht darin umgekommen sind, nicht allein waren, keinen irreparablen Schaden an ihrer Seele nahmen. Denn das ließ Gott nicht zu. Mit den Worten der Losung gesprochen: Sie sind ins Feuer gegangen, aber die Flamme vermochte es nicht, sie zu versengen. Der Herr dieser Welt hat seine Verheißung an ihnen erfüllt.
Wer solche Erfahrungen gemacht hat, der weiß, er kann Gott vertrauen. Trotzdem, Gott vertrauen ist, egal was wir schon mit ihm erlebt haben, häufig gar nicht so leicht. Besonders, wenn es um viel geht. Vertrauen darauf, dass unser Herr den Bus schon pünktlich kommen lassen wird, das ist nicht so schwer, gerade dann, wenn der nächste nur ein wenig später fährt und für uns daraus auch keine ernsthaften Konsequenzen drohen. Aber wie sieht es dort aus, wo wir wirklich etwas zu verlieren haben? Wenn wir uns nach einer Partner:innenschaft sehnen? Wenn wir im Prozess der Transition sind? Wenn wir fragen, ob wir uns in der neuen Gemeinde outen sollen? Ich stelle mir vor, wie das Volk Israel, an das sich der heutige Losungstext ja ursprünglich richtet, am Ufer des Schilfmeeres gestanden haben muss, nachdem Gott die Wassermassen getrennt und ihnen damit eine sichere Passage ermöglicht hat. Sind die Menschen sofort gegangen? Oder haben sie gezögert? Wer könnte es ihnen verdenken? Es muss bedrohlich gewirkt haben, wie sich die gigantisch hohen Wasserwände links und rechts aufbäumten. Entscheidend ist, dass die Israelit:innen sich am Ende getraut haben. Ganz so, wie es in einem alten Lobpreislied heißt: Wag den Sprung in Gottes Hände, lass dich fallen wir ein Kind. Diesen Mut, den wünsche ich uns, heute und alle Tage, der Herr stärke uns dafür.
AMEN.