Die Netflix-Staffeln von "Queer Eye" gibt es seit 2018. Seit 2022 gibt es auch in eine deutsche Version ("Queer Eye Germany"). Die „Fabulous Five“, also die fabelhaften Fünf, arbeiten mit ganz unterschiedlichen Menschen auf verschiedenen Ebenen daran, ihr Leben bunter, fröhlicher und lebenswerter zu gestalten. Diese Themen sind auch in Seelsorgegesprächen relevant.
Die fabelhaften Fünf bezeichnen sich selbst als queer und spielen mit Klischees, Fremdzuschreibungen und verschiedenen Selbstdarstellungen. Ihre Methode ist einfach: Mit viel Einfühlungsvermögen und Aufmerksamkeit, einer riesigen Portion Humor und Lebensfreude und spritzigen Dialogen reisen die „Fab Five“ zu einer Person, die von anderen für die gemeinsame Arbeit vorgeschlagen wurde.
Alle Fünf haben dabei eine ganz spezifische Aufgabe. In der deutschen Version richtet Interior-Designer Ayan die Wohnungen der Teilnehmenden neu ein ("Design"), Aljosha, gelernter Arzt, ist zuständig für Gesundheit und Ernährung. Als Modeberater kleidet Jan-Henrik die Personen neu ein ("Fashion"). Leni redet in ihrer Kategorie "Life Coaching" mit den Teilnehmenden über Ängste, Verluste und Probleme, versucht aber auch Spaß und Leichtigkeit ins Leben zu bringen. David kümmert sich um Frisuren, Brillen und Make-Up ("Beauty").
Sie gehen die verschiedenen Bereiche im Laufe einiger Treffen mit den Protagonst:innen durch und setzen auf mutige Veränderungen. Los geht es immer mit einer Bestandsaufnahme in allen fünf Bereichen. Die Wohnung wird besucht und die Einrichtung untersucht, der Kleiderschrank wird inspiziert und der bisherige Haarschnitt genau angeschaut. Hinsichtlich des Beziehungslebens und der allgemeinen Situation im Leben lassen sie sich die wichtigsten Eckdaten erzählen und hören dabei genau zu. Es ist eine Rundum-Bestandsaufnahme, bei der die Protagonist:innen stets im Mittelpunkt des Interesses stehen.
Die „Fab Five“ hören zu, schauen wohlwollend hin und fragen durchaus kritisch nach, kommentieren ironisch, ohne dabei respektlos oder beleidigend zu werden. Dabei erzählen sie auch von sich und zeigen von Anfang an deutlich, dass sie selbst ganz unterschiedliche Transformationsprozesse durchlebt und durchlitten haben. Insofern wird ihnen eine gewisse Glaubwürdigkeit und Widerstandsfähigkeit im Hinblick auf Krisen und schwierige Herausforderungen zugestanden, die die meisten brauchen, um sich öffnen zu können.
Zwischen den Sequenzen, in denen jeweils zu zweit an einem der Themen gearbeitet wird, werden Reflexionsgedanken der jeweils beratenden Person eingespielt oder Hintergrundgespräche der „Fab Five“ über die zu beratende Person gezeigt. Bei aller gespielten Exaltiertheit und sprühenden Energie der Fünf, die für die spritzige Dynamik des Settings wichtig sind, zeigt sich in den Gesprächen mit den Protagonist:innen und in den reflektierenden Sequenzen dazwischen alles, was für eine (queersensible) Seelsorge entscheidend ist: Anerkennung und Respekt gegenüber der zu beratenden Person, Einfühlungsvermögen und Verständnis für die Herausforderungen, und eine bewusst queere und damit andere Perspektive auf die aktuelle Situation der Protagonist:innen. Dadurch kommen frische und innovative Ideen in den Blick: hinsichtlich Haarstyling und Aussehen, Kleidung, Wohneinrichtung aber auch hinsichtlich des Beziehungslebens und der allgemeinen Sicht auf die eigene Lebenssituation.
Es ist ein Feuerwerks des "Reframens", also des Perspektivwechsels und der veränderten Sicht auf das, was ist und auf das, was sein könnte. Verrückte Aktionen werden erlaubt und ermöglicht, überraschende Anregungen werden für Styling und Beziehungsleben erteilt. Wichtig ist, dass die Protagonist:innen dabei stets im Gespräch mitgenommen werden. Jeder Schritt wird erklärt und kann auch abgewiesen werden. Es sind Vorschläge, keine Rezepte oder gar Verpflichtungen.
Selbstverständlich setzt das Format der Show und der Kameramitschnitt der kompletten Begegnungs- und Beziehungsdynamik auch Grenzen. Ein gewisser Vorher-Nachher-Effekt muss erreicht werden, damit Leute sich das auch anschauen und damit Geld verdient werden kann. Ansonsten spielt Geld in den Serien scheinbar keine Rolle, was natürlich ebenfalls trügerisch ist. Und wie lange tatsächlich gesucht und gecastet wird, bis Menschen vor die Kamera gelassen werden, die bereit sind, dass das ganze Veränderungsspektakel auch noch gefilmt und vermarktet wird, erschließt sich mir als Zuschauerin nicht.
Und dennoch kommt bei der Show immer wieder eins rüber: Die „Fab Five“ stehen mit ihren queeren Persönlichkeiten für eine Glaubwürdigkeit, die nicht eingeübt wirkt, sondern die für sich steht. Ihre persönlichen Erfahrungen als queere Subjekte in einer hetero- und cis-normativen Welt werden sozusagen subkutan in die Gespräche eingelagert. Damit zeigen sie etwas von sich und ermutigen die Gesprächspartner:innen ebenfalls etwas von sich zu zeigen und zu erzählen.
Gleichzeitig stehen sie dafür, dass Menschen in den Augen anderer immer komisch, seltsam oder befremdlich wirken können. Sie spielen natürlich auch mit den Klischees über queere Menschen. Davon können sie als queere Personen, die sich stark extrovertiert und schrill geben, ein Lied singen. Selbstironie und Humor schützen sie vor allzu krassen Plattitüden.
In den einfühlsamen Gesprächen der Fünf mit der jeweiligen Hauptperson und ihrem Umfeld liegt die Hauptkraft der Serie und aller beobachtbaren Veränderungen. Sie wirken wie eine intensive "Komplimenten-Dusche" mit anschließender Umarmung. Das frische Haarstyling, die neu gekaufte Kleidung oder die veränderte Inneneinrichtung flankieren nur das, was in den Gesprächen besprochen und in neue Sinn- und Deutungszusammenhänge gestellt wird. Auch das ist einer (queersensiblen) Seelsorgearbeit nicht unähnlich. Humorvolle Live-Acts, energiegeladenes Auftreten und witzige Dialoge unter den „Fab Five“ machen das Ganze zu einem unterhaltsamen und gleichzeitig berührenden Prozess und einem beeindruckenden Gesamtkunstwerk.
Wer mit einem „Queer Eye“, also einem queeren Auge, und ich ergänze: mit queersensiblen Sinnen im Seelsorgegespräch präsent ist, gestaltet eine freundliche Gesprächsatmosphäre, die die ratsuchende Person wohlwollend anschaut, anerkennt und stärkt. Sie ermutigt dazu, persönliche Komfortzonen zu verlassen und Neues auszuprobieren. Dadurch können Veränderungsprozesse im persönlichen Bereich gelingen, die möglicherweise auch Auswirkungen auf gesellschaftliche Zusammenhänge haben.
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