Neulich im Fitness-Studio: "Oh, die exaltierte Tunte war heute wieder ziemlich raumergreifend", sage ich mit Blick auf ein anderes Mitglied in der Umkleide zu meinem Mann. "Ach, ich weiß nicht", entgegnet dieser, "ich finde die Typen viel anstrengender, die dich in der Sauna total interessiert anschauen, aber in der Umkleide dann völlig gschamig daherkommen."
Auf dem Heimweg sind wir in einem längeren Gespräch über Persönlichkeitstypen und wie wir auf sie reagieren. "In Gottes Zoo gibt es viele Tiere", pflegte eine frühere Kollegin von mir öfter zu sagen - und manchmal habe ich den Eindruck, dass dieser Zoo in der queeren Community besonders bunt ausgefallen ist.
Wenn wir uns selbst genau wahrnehmen, dann stellen wir fest, dass jede und jeder unterschiedlich auf verschiedene Typen reagiert: Mich regen exaltierte, raumgreifende Typen wie der Kollege im Fitnessstudio schnell auf, mein Mann findet ihn eher beeindruckend: "Der steht zu sich selbst, dem ist egal, was andere von ihm denken, der versteckt auch nichts."
Psychologisch kann meine Reaktion auf eine andere Person ganz unterschiedlich begründet sein:
Die Person hat ein Auftreten, das ich mir für mich selbst wünschen würde. Das kann Bewunderung oder Respekt auslösen, aber auch Abwehr hervorrufen, weil ich durch sie daran erinnert werde, was ich (noch) nicht bin.
Die Person hat ein Auftreten, das ich selbst an mir kenne, aber überwunden habe (das gschamige Verhalten in der Umkleide zum Beispiel). Das kann zu Verachtung führen, aber auch dazu, dass ich mich dazu getrieben fühle, diese Person zu unterstützen, selber einen Schritt weiter zu gehen.
Die Person hat ein Auftreten, das so völlig anders ist als ich in dieser Situation handeln würde. Das kann mich positiv beeindrucken oder auch Ablehnung hervorrufen, weil ich so nie handeln würde.
In der queeren Community kommen dazu Personen, die Geschlechterrollen anders leben, kulturell gewohnte Muster anders füllen oder sich keiner Rolle, keinem Muster zuordnen lassen (wollen). Auch in diesen Fällen kann meine Reaktion in Faszination, aber auch in Ablehnung bestehen.
Ein wahrhaft bunter Zoo!
In den paulinischen Gemeinden ging es wohl auch ziemlich bunt zu. Der Apostel Paulus hatte deutlicher als andere erkannt, dass die frohe Botschaft des Evangeliums nicht nur für Menschen aus dem jüdischen Volk bestimmt ist. Seine Missionstätigkeit weitete er daher früh auf den hellenistischen Raum aus, und in den Gemeinden, die er gründete, waren Juden und Griechen gleichermaßen willkommen. Auch die sozialen Schichten scheinen sich in diesen Gemeinden gut gemischt zu haben - Konflikte nicht ausgeschlossen (vgl. 1. Kor 11,17ff).
Paulus ist zutiefst davon überzeugt, dass Gottes Zuwendung jedem Menschen gilt, und dass durch diese verbindende Gotteskindschaft alle kulturellen und sozialen Grenzen nichts mehr gelten: "Hier ist nicht Jude noch Grieche, hier ist nicht Sklave noch Freier, hier ist nicht Mann noch Frau; denn ihr seid allesamt eins in Christus Jesus." (Gal 3,28) Wie provokant diese Einsicht ist, wird deutlich, wenn zum Beispiel im Epheserbrief nicht nur die Sklaven dazu aufgefordert werden, ihren Herren gute Diener zu sein (die Sklaverei strukturell in Frage zu stellen, liegt außerhalb des Horizonts der damaligen Gemeinden), sondern auch die Herren, ihren Slaven in gleicher Weise zu dienen und ihnen nicht zu drohen, "denn ihr wisst, dass euer und ihr Herr im Himmel ist, und bei ihm gilt kein Ansehen der Person" (Eph 6,9).
Wie unterschiedlich sehen wir in unserem Alltag aber eben doch verschiedene Personen an! Für mich war es eine gute Erfahrung, durch meinen Partner so unmittelbar daran erinnert zu werden, wie unterschiedlich verschiedene Menschen auf ein und dieselbe Person reagieren können. Der Blick in die paulinische Tradition vertieft diese Einsicht noch: Für Gott ist jede Person unendlich wichtig - so skuril und bunt sie auch sei. Gott lädt mich ein, die anderen mit seinen Augen zu sehen und mir bewusst zu machen: "In Gottes Zoo gibt es viele Tiere - und ich bin eines davon."