In einer Kooperation zwischen dem Bibelhaus Erlebnismuseum Frankfurt, der Deutschen Gesellschaft für Transidentität und Intersexualität (dgti) und der Evangelischen und Katholischen Hochschulgemeinde (ESG und KHG) in Mainz war Jo Clifford aus Edinburgh ins Rhein-Main-Gebiet eingeladen worden. Gemeinsam mit dem Schauspieler Brix Schaumburg trat sie dort an verschiedenen Orten auf. Ein Ort war die ESG Kirche in Mainz.
Jo Clifford ist eine schottische Autorin und Dramatikerin. Sie erhielt 2021 den „Olwen Wymark Award“. Clifford studierte an der University of St Andrews in Edinburgh. Sie schrieb über 80 Bücher, Hörspiele und Theaterstücke und übersetzte außerdem Bücher aus dem Französischen, Spanischen und Portugiesischen ins Englische. Nach dem Tod ihrer Ehefrau begann sie offiziell ihre Transition.
Jo Clifford ist 71 Jahre alt und geht am Stock. Dass es das Leben nicht nur gut mit ihr gemeint hat, sieht man ihr an. Langsam und bedächtig ging sie an diesem Novemberabend zum roten Sofa, das in der Kirche der ESG in Mainz aufgebaut war, und ließ sich dort nieder. Aber wenn sie sprach, funkelten ihre wachen Augen und sie strahlte eine Energie aus, als wollte sie gleich einen Marathonlauf beginnen. Es war eine faszinierende Verwandlung.
Neben ihr hatte der Schauspieler Brix Schaumburg auf dem roten Sofa Platz genommen. In dem Augenblick, in dem Clifford und Schaumburg sich über das Theaterstück unterhielten und die beiden abwechselnd auf Englisch und Deutsch Teile des Theaterstücks vortrugen, blitzten Energiewellen zwischen den beiden. Mit höchster Präsenz, wach und eindringlich spielte Jo Clifford den transidenten Jesus. Brix Schaumburg spielte Jesus nicht weniger stark auf Deutsch. Jesus war an dem Abend in der ESG Kirche. Das spürten alle, die da waren.
Jo Clifford schrieb das Stück für die „Glasgay Festival 2009“. Seitdem trägt sie das Theaterstück auf ganz unterschiedlichen Bühnen und anderen Orten vor und wird dabei selbst zum transidenten Jesus. Brix Schaumburg übersetzte das Theaterstück im Auftrag des Bibelhaus Frankfurt ins Deutsche. Das Theaterstück wurde von Schaumburg auf Deutsch anlässlich der Sonderausstellung „G*tt, m/w/d“ (noch bis 19.12.2021) in den Räumen des Bibelhauses uraufgeführt und gleichzeitig als Film aufgenommen. Es kann zu verschiedenen Terminen gestreamt werden.
Was Jo Clifford und Brix Schaumburg verbindet: Beide sind transgender, beide sind leidenschaftliche Sprachkünstler*innen und Schauspieler*innen. Beide haben eine starke Bühnenpräsenz und ziehen mit Ausdruck, Mimik und Sprache in ihren Bann. Und: sie mögen sich. Insofern waren die beiden auf dem roten Sofa in der ESG Kirche sofort im Gespräch. Sie erzählten aus ihren Lebensgeschichten und über die Geschichte des Theaterstücks. Luftig leicht fügten sie Teile des Theaterstücks als Performance in ihr Gespräch ein. Die Zuschauer*innen konnten den Eindruck gewinnen, dass die beiden schon Jahrzehnte lang ein eingespieltes Team seien. Dabei hatten sie sich erst im Laufe der Übersetzungsarbeiten letztes Jahr kennengelernt. Ein beeindruckendes Team!
Zum Abschluss noch eine kleine Miniatur aus dem Buch „The Gospel according to Jesus, Queen of Heaven“, die Clifford am Abend in der ESG Kirche in Mainz auf Englisch vorgetragen hat. Ich erzähle die Geschichte aus dem Gedächtnis.
Ein Vater hatte zwei Söhne. Und einer der Söhne fand heraus, dass er eigentlich eine Tochter war. Er ging zum Vater, bat ihn um Vergebung und erklärte, dass er nicht mehr länger sein Sohn sein konnte. Aber der Vater konnte das nicht akzeptieren. Er holte das ganze Haus zusammen und verdammte seinen Sohn, der eigentlich eine Tochter war, und warf sie aus dem Haus.
Der Vater tat dies vor allem, weil es so von ihm erwartet wurde. Trotz allem liebte der Vater aber seinen Sohn, der eigentlich eine Tochter war. So gab er ihr vorzeitig ihren Erbteil mit auf den Weg. Die Tochter ging weit weg in ein anderes Land. Dort warf sie sich ins Leben, nahm jedes Abenteuer mit uns gab ihr gesamtes Erbe für schöne Kleider und Schuhe aus. Bald fand sie sich ohne Geld auf der Straße wieder. Und alle, die sich um sie geschart hatten, als sie noch Geld hatte, beschimpften sie nun und nannten sie pervers und prollig.
Sie fand Arbeit in einer Hotelküche. Dort musste sie Töpfe und Pfannen spülen. Es war eine anstrengende und schmierige Arbeit und sie bekam kaum Geld dafür. Abends war sie oft hungrig und musste trotzdem das Essen, das übrig geblieben war, wegwerfen. Denn sie durfte es nicht mitnehmen. Sie dachte bei sich, dass sie dort schlechter behandelt wurde, als ihr Vater seine Tiere behandelte.
So gab sie sich schließlich einen Ruck und entschied nach Hause zurückzukehren. Sie nahm sich vor, ihren Vater um Entschuldigung zu bitten, da sie nicht mehr sein Sohn sein konnte. Sie wollte ihn bitten, als Magd im Stall für ihn arbeiten zu können.
Als ihr Vater sie kommen sah, rannt er ihr entgegen. Sie warf sich auf ihre Knie und stotterte:
„Vater…“
Aber er ließ sich nicht ausreden. Er nahm sie in die Arme und freute sich riesig. Seine Tochter sollte sich baden und saubere Kleider anziehen. Er wollte ein großes Fest für sie ausrichten. Denn sein Sohn war gestorben. Aber seine Tochter war zurückgekehrt. Was verloren gegangen war, war wieder gefunden worden. Was für eine große Freude! Es war ein Grund zum Feiern.
Als das Fest schon in vollem Gang war, kam der ältere Sohn aus dem Büro zurück und fragte, was denn los sei. Da berichtete der Vater alles dem älteren Sohn. Der wurde wütend.
„Ich war immer ein guter und gehorsamer Sohn zu dir. Und was habe ich von dir dafür bekommen? Aber wenn dieser Perverse nach Hause kommt, bekommt er alles. Das ist nicht gerecht!“
Da antwortete der Vater:
„Es ist wahr, dass du immer ein guter Sohn warst. Aber meine Tochter war verloren und nun ist sie wieder bei uns. Sie hatte ihr Leben verloren und sich selbst wieder gefunden. Und nun habe auch ich sie wieder gefunden. Das ist ein Grund zum Feiern!“
Und genau das taten sie.
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