"Wenn wir offen als Paar ausgehen wollen, dann fahren wir nach München", erzählen Pedro und Gerhard, die in einer Kleinstadt in der Nähe von München leben (Namen geändert). "Aber wenn ich am Samstag in der Szene unterwegs bin und erzähle, dass ich am Sonntag in den Queer-Gottesdienst gehe, dann werde ich oft ungläubig angeschaut.", kommentiert Martin das Szeneleben. - Zwei Aussagen, in denen brennglasartig deutlich wird, dass queeres Christsein mitunter gleich doppelt unter Rechtfertigungsdruck steht.
"Queer, Christ - und öffentlich" unter diesem Motto lud die Arbeitsgemeinschaft Schwule Theologie e.V. bei ihrer Jahrestagung im Waldschlösschen vom 15. bis 17. Oktober ein, darüber nachzudenken, was es bedeutet, als schwuler Christ öffentlich erkennbar zu sein - in Kirche, Gesellschaft und der queeren Community.
Wer beim Blick auf das Tagungsprogramm gedacht hatte, dass zumindest in den evangelischen Kirchen in Deutschland die Öffentlichkeit von queeren Menschen kein Problem mehr darstellt, wurde durch die Erzählungen der Teilnehmer schnell eines besseren belehrt - zu kurz zurück liegt die Zeit, in der auch im Protestantismus gleichgeschlechtliches Zusammenleben als nicht möglich erachtet wurde.
Martin Vorländer, evangelischer Pfarrer und Rundfunkbeauftragter der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau, versteckt nicht, dass er mit einem Mann verheiratet ist. "Aber wenn ich von Jugendlichen auf das Thema Homosexualität angesprochen werde, zum Beispiel im Religionsunterricht, dann ziehe ich es doch meist vor, nicht direkt von mir zu sprechen." Zu groß ist vielen insbesondere im schulischen Kontext immer noch das Risiko, von Schüler:innen, Kolleg:innen oder Eltern Zurückweisung oder Diskriminierung zu erfahren. "Mir ist bewusst", sagt Martin Vorländer, "das ich damit schwulen Jugendlichen vielleicht auch eine Identifikationsmöglichkeit nehme", allerdings seien positive Vorbilder heute viel leichter und zahlreicher zu finden als zu Zeiten seines Coming-Outs.
Öffentlichkeit funktioniere heute sehr stark über Personifizierung, erläuterte Vorländer in seinem Vortrag, daher sei es wichtig, als Queers sichtbar zu werden und auch die Vielfalt der sozialen Medien zu nutzen. Ellen und Steffi Radkte hätten zum Beispiel durch ihren YouTube-Kanal "Anders Amen" massiv dazu beigetragen, die Wahrnehmung von Queers in den evangelischen Kirchen zu verändern. Zugleich präsentierten sie eine lebensfrohe und zukunftsoffene Kirche - und hätten damit eine enorme missionarische Ausstrahlung.
Die beiden Pfarrerinnen leben verheiratet im Pfarrhaus einer Dorfgemeinde in der Nähe von Hannover. Ihre Plädoyers für ganz normal anders Sein werden inzwischen sogar von dem Digital-Innovationsfonds der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) gefördert (s.Link). Dass so viel "normale Queerness" gerade von der Hannoverschen Landeskirche aus in die Welt ausstrahlt, überraschte viele der Teilnehmer - fuhr doch gerade diese Landeskirche lange einen sehr repressiven Kurs gegen gleichgeschlechtlich l(i)ebende Pfarrer:innen. Für Martin Vorländer ein weiterer Hinweis darauf, wie wichtig engagiertes öffentliches Auftreten von Queers ist.
Ein YouTube-Video, in dem sich zwei schwule Priester im Turmfenster der Kirche küssen (wie es im Vorspann der Anders-Amen-Videos zu sehen ist) - in der römisch-katholischen Kirche nach wie vor undenkbar. "Aber wir Menschen sind auf Gemeinschaft ausgelegt", betont Bernd Mönkebüscher, katholischer Priester und Leiter des Pastoralverbands Hamm-Mitte-Ost. Nicht nur Ordensleute, sondern auch Weltpriester hätten daher bis weit ins 20. Jahrhundert hinein in der Regel in größeren Gemeinschaften gelebt. Er selber hat sich im Jahr 2019 durch sein Buch "Unverschämt katholisch sein" geoutet - und lebt seit 2017 mit einem Priesterkollegen zusammen. Beide kennen sich seit ihrer Studienzeit und seien zu einer "engen Weggemeinschaft" geworden.
Einig sind sich alle Priester unter den Teilnehmenden, dass es in der römisch-katholischen Kirche dringend nötig sei, eine offene Diskussion über den Zölibat zu führen. "Wenn du fragst, was der Zölibat bedeutet, kann oder will dir das keiner so genau erklären", sagt ein Ordenspriester. "Es ist doch etwas völlig anderes, ob das heißt, keinen Sex zu haben - oder keine feste Beziehung einzugehen." Letzteres führe bei vielen Priestern zu einer emotionalen Verarmung und Vereinsamung. Überhaupt müsse in der römisch-katholischen Kirche endlich offen über Sexualität gesprochen werden. "In meiner Familie war für solche Fragen überhaupt kein Platz", erinnert sich Mönkebüscher, "ich musste das alles mit mir alleine ausmachen".
Diese Phänomen freilich kennen auch Protestanten. "Die Stasi wusste früher als ich, dass ich schwul bin", erzählt Lutz, der sein Leben lang als Pfarrer in Mecklenburg gearbeitet hat. Erst Jahre nach der Wende habe er selber sich eingestanden, dass er Männer liebe - doch auf seiner Karteikarte bei der Staatssicherheit war der Vermerk "schwul" zu lesen. Ob da tatsächlich ein Informeller Mitarbeiter (IM) die heimlichen Gefühle des Pastors besser kannte als er selber oder ob es einfach der der Versuch des IM war, der Stasi wenigstens "irgendeine" Information zu liefern, das kann Lutz bis heute nicht sagen. Irgendwann hat er sich dann allerdings gedacht "Wenn die Stasi das schon wusste, dann soll es meine Gemeinde jetzt auch wissen." Die Reaktionen auf dem Mecklenburgischen Dorf: positiv!
Wer nicht hauptberuflich bei den Kirchen arbeitet und sich in der queeren Community als Christ outet, werde häufig mit der Frage konfrontiert "Wie kannst du da noch Mitglied sein?", weiß Christian Herz, Vorstandsmitglied der Arbeitsgemeinschaft. Er selbst hat katholische Theologie studiert, sich dann aber für eine offen gelebte schwule Partnerschaft entschieden und arbeitet heute im Öffentlichen Dienst. "Wenn ich in der Sauna erzähle, dass ich Theologie studiert habe, dann sorgt das oft erst einmal für Verwunderung, aber dann nehmen mir die Gesprächspartner auch ab, dass da also ernsthaft etwas dahinter steckt hinter meinem Christsein", sagt Christian. Wer aber nicht auf solch einen "professionellen" Hintergrund verweisen kann, der (oder die) brauche durchaus eine gewisse Standfestigkeit in manchen Gesprächen, stellten die Teilnehmer seines Workshops "Als Christ in der Szene" fest: Neben dem Zutrauen in das eigene Glaubensverständnis sei auch der Respekt vor anderen Glaubensauffassungen und Weltanschauungen wichtig. Oft sei die ablehnende Haltung der Gegenüber auf die unverarbeiteten Missstände in den Kirchen, religiöse Verletzungen und Traumata sowie evangelikale Ablehnung zurückzuführen. Es sei daher wichtig, selber als ehrlich interessierter Dialogpartner aufzutreten und von dem eigenen Leben und der eigenen religiösen Praxis zu sprechen. So entstehe beim Gegenüber ein anderes, positives Bild, wie Queersein und Christsein zusammengehen können. Auch in der queeren Szene könne es dann zu Momenten kommen, in denen deutlich wird: „Wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind, da bin ich mitten unter ihnen.“
So gilt das Credo von Ellen und Steffi Radtke also nicht nur mit Blick auf Queers in Kirche und Gesellschaft, sondern auch auf Christ:innen in der queeren Szene: Einfach ganz normal anders sein. Amen!