Zum Leonore-Preis: Der Preis wird alle zwei Jahre für einen feministisch-theologischen Beitrag vergeben. Der Preis ist benannt nach der Kirchenhistorikerin und langjährigen Direktorin der Evangelischen Akademie Arnoldshain Leonore Siegele-Wenschkewitz (1944-1999). Er dient der Auszeichnung von Beiträgen, die in besonderer Weise die feministische Theologie oder die Gender Studies in der Theologie fördern. Seit einigen Jahren gibt es auch einen Nachwuchspreis, der in diesem Jahr an Anne Milia Charlotte Herion für „Ökofeminismus.Interkulturell–theologische Perspektiven“ verliehen wird. Herzlichen Glückwunsch!
Ich selbst habe Leonore Siegele Wenschkewitz auf mehreren Tagungen der Akademie Arnoldshain erlebt. Sie war leidenschaftliche Streiterin für eine feministische Theologie, die inklusiv und gendersensibel forscht und lehrt. Gleichzeitig hat sie antijudaistische Tendenzen einiger feministischer Veröffentlichungen in den neunziger Jahren scharf kritisiert. Darüber hinaus setzte sie sich für die Gleichberechtigung von Lesben, Schwulen, bisexueller, trans*-, intergeschlechtlichen und queeren (LSBTIQ) Menschen ein. Sie hat es mit ermöglicht, dass die erste christliche Lesbentagung 1985 an der Akademie in Arnoldshain stattfinden konnte. Die Tagung wurde damals von Herta Leistner, Monika Barz und Ute Wild geleitet und fand im Anschluss daran jährlich an der Evangelischen Akademie in Bad Boll statt.
Zum Buch: Das Buch ist geprägt von kleinen Geschichten, die etwas davon erzählen, wie sich queere Menschen in Deutschland, Europa und weltweit im christlich religiösen Umfeld solidarisch unterstützen. Die Geschichten zeigen, wie sie darum kämpfen sich von Häme, Erniedrigung und Ausgrenzung zu befreien und wie sie trotz Diskriminierung nicht aufgeben, sich für Respekt und Gleichberechtigung für alle einzusetzen. Aus diesen Geschichten wurde mein persönliches Motto „Hopespeech statt Hatespeech!“ Rede von Hoffnung und nicht von Hass. Dieses Motto liegt auch meiner Tätigkeit als Bloggerin in den sozialen Medien zugrunde.
Aufgrund dieses Engagements wurde ich Anfang 2015 gefragt, ob ich als lesbisch-feministische und befreiungstheologisch engagierte Theologin für die damals neue Rubrik „kreuz & queer“ des Online Magazins evangelisch.de zu queer theologischen Themen bloggen wollte.
Seit März 2015 blogge ich nun regelmäßig im Wechsel mit Matthias Albrecht, Rainer Hörmann, Katharina Payk, Nulf Schade-James und Wolfgang Schürger in dieser Rubrik. Ich schreibe über Themen der christlichen Welt aus queerer und über Themen der queeren Welt aus christlicher Perspektive.
Persönliche Erfahrungen, Gespräche mit interessanten Persönlichkeiten und biblisch-theologische Geschichten spielen für mich dabei eine große Rolle. Aus diesen Geschichten, Porträts und Kommentaren ist im Laufe der Jahre eine stattliche Anzahl von Texten entstanden. So nahm ich das fünfjährige Bestehen von „kreuz & queer“ im März 2020 zum Anlass, meine bisherigen Blogbeiträge zu sichten und nach Themen zu sortieren. Hinzu kamen einige Essays, Vorträge und Workshop-Impulse, die ich aus lesbisch-feministischer und queerer Sicht im Laufe der letzten Jahre verfasst hatte. Es entstand die Idee, meine Texte im Jubiläumsjahr von „kreuz & queer“ zu veröffentlichen.
Im Sommer 2020 erschien das Buch in dem kleinen niederländischen Verlag „Esuberanza“ (ital., Euphorie, Überschwang). Es entstand ein Sammelband aus theologischen Miniaturen, biblischen Re-Lektüren, Gedankenbruchstücken, Interviews mit queeren und queer unterstützenden Menschen, Rezensionen und kritischen Zeitzeug:innenberichten. Die Beiträge gründen auf meinen persönlichen Erfahrungen und auf meiner langjährigen Beschäftigung mit feministischen, befreiungstheologischen und queeren Themen. Sie sind meine Herzensthemen.
Gegliedert ist das Buch in folgende Kapitel:
1. Queere Bibel Re-Lektüren
2. Queer biografische Porträts
3. Queer gedacht: Vorträge und Essays
4. Queer in Kirche und Gesellschaft
5. Queer und international
6. Queer getagt
7. Queer rezensiert.
Die Texte geben einen Einblick in die verschiedenen Baustellen und Herausforderungen queeren Nachdenkens über theologische und kirchenpolitische Themen vor allem im deutschsprachigen Kontext.
Dass ich nun für die „Queer theologischen Notizen“ den Leonore–Preis erhalte, freut mich riesig. Ich sehe damit nicht nur meine persönliche Forschungsarbeit und mein langjähriges ehrenamtliches Engagement in diesem Bereich geehrt, sondern auch die gesamte Arbeit in der hier vorliegenden Rubrik „kreuz & queer“ von evangelisch.de. Insofern ist die Preisverleihung auch ein Preis für das Blogger-Team der Rubrik „kreuz & queer“ und ihres zuständigen Redakteurs Markus Bechtold.
Seit über dreißig Jahren engagiere ich mich in (lesbisch-)feministischen und befreiungstheologischen Gruppen und Netzwerken in Deutschland und in Europa. Mein Ziel ist die Anerkennung und Gleichstellung aller Menschen in Kirche und Gesellschaft, unabhängig von ihrer Herkunft, Hautfarbe, Geschlechtsidentität, von ihrem Alter, ihrer körperlichen Befähigung, Religionszugehörigkeit und sexuellen Orientierung. Aufgrund meiner Lebensgeschichte als lesbische Theologin und Pfarrerin liegt mir das Thema Anerkennung und Gleichberechtigung LSBTIQ Menschen besonders am Herzen. Es ist zu meinem Schwerpunktthema geworden. Angetrieben durch die Einsicht: Wenn die Betroffenen sich nicht um gleichberechtigte Teilhabe und Deutungshoheit im Hinblick auf die kontroversen Debatten in theologischen und kirchlichen Kontexten bemühen und ihre eigenen Perspektiven und Positionen in die Diskurse eintragen, dann wird es niemand für sie tun.
Jahrzehntelang habe ich mich, wie viele andere, an den so genannten „Clobber-Texts“ (Totschlagverse gegen Homosexualität wie z.B. Leviticus 18,22 und Römer 1, 18-32) und den „Texts of Terror“ (Begriff der Alttestamentlerin Phyllis Trible über sexistische und gewaltverherrlichende Texte) abgearbeitet. Ich tue es auch weiterhin, da es notwendig ist. Aber mein Schwerpunkt hat sich verändert. Statt mich endlos an bibelhermeneutischen und apologetischen Fragen abzuarbeiten und mich für meine Lebensform und meine lesbisch-feministischen und queeren Positionen in der Theologie zu rechtfertigen, arbeite ich lieber an ermutigenden und ermächtigenden Ansätzen der Theologie.
Über (lesbisch-)feministische Theologien und inklusive Theologien der Vielfalt bin ich zur queeren Theologie gekommen. Sie ist vor allem in englischsprachigen Ländern zuhause. Queer theologische Perspektiven im deutschsprachigen Sprachraum bekannt zu machen und ihre Erkenntnisse „barrierefrei“, also leicht verständlich und alltagsbezogen vorzustellen, waren mir in meinem Buch „Queer theologische Notizen“ ein wichtiges Anliegen.
Ich bin dankbar für meine feministischen und befreiungstheologisch engagierten Geschwister im Verein zur Förderung feministischer Theologie in Forschung und Lehre e.V., in der European Society of Women in Theological Research (ESWTR) und in ökumenischen Netzwerken wie Labrystheia, Lesben und Kirche (LuK), Homosexuelle und Kirche (HuK) und im European Forum of Christian LGBT+-Groups. Ihre Erfahrungen und Kämpfe, Erfolge und Rückschläge und ihre Solidarität bereichern und stärken mich seit über 30 Jahren. Ohne sie wäre mein Buch nicht entstanden.
Die vielfältigen Begegnungen und Freundschaften spornen mich an, gemeinsam mit anderen weiter für Respekt und Gleichberechtigung für alle zu streiten, jenseits von Herkunft, Hautfarbe, Alter, Geschlechtsidentität und sexueller Orientierung. Ihre Lebensgeschichten schärfen meinen Blick für interkulturelle und intersektional miteinander verbundene Themen im befreiungstheologischen und im queer theologischen Bereich. Nur gemeinsam können wir die Würde und die Menschenrechte aller Menschen in Kirche und Gesellschaft sichern. Bis dahin ist es allerdings noch ein weiter Weg. Einige Meilensteine und kleine Geschichten auf dem Weg finden sich in meinen Buch.
Festakt zur Preisverleihung
Auf der Webseite der evangelischen Stadtakademie kann man sich noch bis zum 30. Oktober für den Festakt am 7.11.2021 um 14 Uhr in der Evangelischen Stadtakademie in Frankfurt anmelden. Bei der feierlichen Verleihung des Hauptpreises wird die emeritierte Professorin für Feministische Theologie und Gender Studies an der Augustana-Hochschule Neuendettelsau, Professorin em. Dr. Renate Jost, die Laudatio halten. Für die musikalische Begleitung sorgt Bärbel Fünfsinn.
Anlässlich des Doppeljubiläums – der Verein wurde vor 25 Jahren gegründet, seit 20 Jahren verleiht er in zweijährigem Rhythmus den Leonore Siegele-Wenschkewitz-Preis – werden auch frühere Preisträger:innen zugegen sein.
Der Festakt kann auch per LIVESTREAM verfolgt werden. Bitte auch dazu anmelden: www.evangelische-akademie.de
Zum Weiterlesen (bestellbar über Buchhandel und Amazon):
Kerstin Söderblom, Queer theologische Notizen, Nieuwgein/Niederlande: Esuberanza-Verlag 2020