Statements geben ab: Eva Kaderli, Co-Präsidentin Zwischenraum Schweiz und Co-Präsidentin Dachverband Regenbogenfamilien. Irène Schwyn, evangelisch-reformierte Gemeindepfarrerin und ehemaliges Vorstandsmitglied des European Forum of Lesbian, Gay, Bisexual and Transgender Christian Groups (EF). Änn M. Dällenbach, queere Theologin. Priscilla Schwendimann, LGBT-Pfarrerin der evangelisch- reformierten Kirche Stadt Zürich. Sowie die Allies: David Jaeggi, Pfarrer Evangelisch-methodistische Kirche (EMK) Schweiz, der freikirchliche Wurzeln hat und unter anderem den Blog sola gratia betreibt. Ellen Tedaldi, Pflegefachfrau, Unterstützerin der LGBT- Community mit reformiertem Hintergrund. Und Pfarrer Michel Müller, Kirchenratspräsident der reformierten Kirche im Kanton Zürich.
ALBRECHT: Was bedeutet das Ergebnis der Volksabstimmung für Dich persönlich? Und welche Bedeutung hat es für die Menschen in der Schweiz?
KADERLI: Es bedeutet mir unglaublich viel, dass 64% der Schweizer Bevölkerung Ja gesagt hat. Heute könnte ich alle umarmen. Mein Land sieht meine Beziehung als gleichwertig zu heterosexuellen Partnerschaften, ich darf meine Sara heiraten. Was für ein historischer Moment nach 20 Jahren des Kampfes für diese Menschenrechte. Ich bin überzeugt, dass dieses Ja zur Ehe für alle ein wichtiges Signal ist für alle Menschen, die sich im Coming Out befinden. Nämlich die Botschaft: es ist gut, wie Du bist, deine Beziehung ist rechtlich geschützt, Du darfst deine:n Freund:in heiraten und nicht diskriminiert werden.
SCHWYN: Im Moment bin ich vor allem froh und erleichtert. Ich war zwar recht optimistisch bezüglich der Abstimmung, aber das Resultat steht jeweils erst fest, wenn die Stimmen ausgezählt sind. Ich bin auch froh, dass eine komplette Ehe, mit genau den gleichen Rechten und Pflichten wie bei gegengeschlechtlichen Ehepaaren zur Abstimmung gestanden hat, und so durchgekommen ist. Eine "Ehe light" hätte bei mir einen sehr schalen Geschmack hinterlassen (zur Debatte stand im Vorfeld auch eine Version ohne Zugang zur Fortpflanzungsmedizin und ohne das Recht auf gemeinsame Adoption). Umso mehr freut mich das deutliche Ja bei der Abstimmung. Besonders schön ist es, dass alle Kantone zu der Vorlage „Ja“ sagten. Ländliche Gegenden ebenso wie städtische, alle Sprachregionen, Gegenden mit unterschiedlicher konfessioneller Prägung. Von nun an werden auf rechtlicher Ebene Beziehungen unabhängig vom Geschlecht der Beteiligten gleich behandelt.
Und ganz persönlich: ich freue mich darauf, in Zukunft gleichgeschlechtlichen Paaren, die kirchlich heiraten wollen, einfach sagen zu dürfen: ja, selbstverständlich geht das.
DÄLLENBACH: Für mich persönlich bedeutet das klare Ja mit Ständemehr (Mehrheit der Kantone) sehr viel, die LGBTQIA+ Bewegung, der Regenbogen, sind in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Das Parlament hat nach acht Jahren Beratung die Gesetzesgrundlage geschaffen, gegen die das Referendum ergriffen wurde. Ergriffen vor allem aus (politisch) konservativen und freikirchlichen Kreisen. Anders als 2005 bei der Abstimmung über die eingetragene Partnerschaft hat kein einziger Stand (Kanton) abgelehnt. Es gibt also anders als meistens keinen Stadt-Land-Graben. Für uns als "Regenbogen Community" bedeutet die rechtliche Gleichstellung das Ende eines Zustandes des "Zwangsoutings" ("aha, sie leben in einer eingetragenen Partnerschaft") und ein besserer Schutz von Kindern in Regenbogenfamilien.
SCHWENDIMANN: Die Abstimmung bedeutet mir unendlich viel, weil sie mit einer so großen Deutlichkeit angenommen wurde und zwar über alle (!) Kantone hinweg. Es zeigt, dass das Ja aus der Mitte der Gesellschaft kommt und das berührt mich zutiefst. Dieses Ja drückt aus: Wir wollen als Gesellschaft gleichgeschlechtliche Paare gleich behandeln wie heterosexuelle Paare. Sie sollen die gleichen Rechte und Pflichten haben. Endlich müssen wir uns nicht mehr zwangsouten bei Angabepflicht des Zivilstandes und erhalten wie Heteropaare eine erleichterte Einbürgerung, Hinterlassenenrente und vieles mehr!
JAEGGI: Ich persönlich habe zusammen mit meiner Familie damit gerechnet, dass die Abstimmung mit einem Ja endet. Gleichzeitig haben wir am Wahlsonntag gezittert und uns dann sehr gefreut über das klare Resultat. Ich merke in meinem Freundeskreis von LGBTQ Menschen, wie wichtig das positive Abstimmungsresultat für sie ist als Zeichen der Anerkennung ihrer Lebensform. Und das zu Recht.
Nun wird es etwas Zeit brauchen, bis die Ehe für alle normal wird und sich auch in den (Frei-) Kirchen der Widerstand auflöst. Dort wird es zwar noch viel Zeit brauchen. Ich beobachte aber schon heute, wie gleichgeschlechtliche Lebensformen bei jungen Menschen bereits gar keine Frage mehr darstellen. Es ist normal, weil man mit LGBTQ Menschen unterwegs ist, sie kennt und eine Beziehung hat.
TEDALDI: Mit dem Ergebnis hatte ich gerechnet. Dass es in meiner Stadt (St. Gallen) mit 70,2% so klar und deutlich ausfiel, hat mich besonders gefreut. Das Ja zur Ehe für alle ist ein wichtiger Schritt in Sachen Gleichberechtigung.
MÜLLER: Für mich persönlich ist es eine große Genugtuung, dass mein Engagement in der Kirche für die Anliegen der LGBTIQ-Community auch vom Schweizer Volk gutgeheißen wurde. Dass sich ausgerechnet die Kirche, die ja die Liebe Gottes verkündigt, in dieser Frage so schwer getan hat (und am Beispiel der Freikirchen und Katholiken noch immer tut) beschädigt meiner Meinung nach unsere Glaubwürdigkeit in der Verkündigung arg. Liebe ist Liebe, dafür habe ich mich eingesetzt, und damit liegen wir richtig! Für die Menschen in der Schweiz ist es ein wichtiges Zeichen der Akzeptanz verschiedener und vielfältiger Lebensentwürfe, und es war, glaube ich, mitten in der Covid-Aufregung auch wieder mal etwas Verbindendes!
ALBRECHT: Welches Ereignis (oder welche Situation) hat Dich in der zurückliegenden Diskussion über die Ehe für alle besonders bewegt?
KADERLI: Es sind verschiedene, positive wie negative. Die Frau, die mir auf dem Marktplatz Gotteslästerung vorwirft, meine Familie, die fast alle Nein gestimmt haben, Senior:innen, die mich auf demselben Marktplatz ermutigen und äußern, dass das schon lange eine Selbstverständlichkeit sein müsste. Familien, die ich als Hebamme betreue und die mir ihre Ja Stimme versicherten, Menschen aus unserer EMK (Evangelisch-methodistische Kirche) Gemeinde, die auf ein Ja hofften und dies uns auch so kund taten.
SCHWYN: Was für mich erschreckend war: wie tief das Bild der heteronormativen Kleinfamilie als Ideal nach wie vor in den Köpfen sitzt. Die Gegner:innen der Vorlage haben eine sehr emotionale Kampagne mit dem Argument des Kindeswohls geführt, und damit durchaus Menschen erreicht. Aber: zeitweise hätte man meinen können, es gehe bei der Abstimmung um eine Vorlage zur Fortpflanzungsmedizin. Fortpflanzungsmedizin ist ein Gebiet, in dem ich selbst durchaus meine Fragen und Bedenken habe. Dass bei den Argumenten aber völlig ausgeblendet wurde, dass die meisten Paare, die fertilitätsmedizinische Techniken nutzen, gegengeschlechtlich sind, wurde kaum erwähnt. Ich kam mir öfters vor, als würden da Stellvertreter-Debatten geführt: Leute, die grundsätzlich gegen Fortpflanzungsmedizin sind, aber nicht hinter bestehendes Recht in Bezug auf heterosexuelle Paare zurück können, versuchen die Ausweitung auf Frauenpaare zu verhindern, und Leute, die eigentlich grundsätzlich gegen die Ehe für gleichgeschlechtliche Paare sind, argumentieren mit den Kindern. Ich wünsche mir, dass bei der Frage nach dem Kindeswohl, die Kinder im Mittelpunkt stehen, und nicht das Bild, das die Eltern nach außen abgeben.
DÄLLENBACH: Ich durfte zusammen mit einer Juristin den Pro Standpunkt vertreten auf einem Podium in Thun. Zwei EVP Politiker (der eine ist auch einer der Co-Geschäftsführer der Schweizerischen Evangelischen Allianz) vertraten die Nein-Seite. Das Publikum waren vor allem junge Leute, viele noch gar nicht stimmberechtigt. Diese jungen Menschen waren extrem engagiert, sie gingen mit und stellten gute Fragen. Am berührendsten waren die Gespräche nachher - das persönliche Interesse, die Erfahrungen nach ihrem Outing, das "Unverständnis" der Argumente, dass Kinder mit zwei Vätern oder zwei Müttern "benachteiligt" sind. Die Nein-Seite argumentierte ja vor allem mit dem Kindeswohl und gegen die Samenspende für lesbische Paare. "Mein Vater ist nie da - lieber zwei Mütter, die mich wirklich wollen". "Ich bin ein 'geplatztes Kondom' - ich hätte lieber zwei Väter, die mich wirklich gewollt haben". Ich trug bei meinen Auftritten meist mein "Bad Theology Kills" Shirt. Mir geht es auch um das Kindeswohl, und zwar um Kinder und Jugendliche, die hören müssen, dass Gott sie nicht so annimmt, wie sie geschaffen sind, wie sie empfinden, wie sie lieben. Da das Referendum stark von (frei)kirchlichen Kreisen getragen wurde, war es mir extrem wichtig, als queere Theologin laut und deutlich zu sagen, dass Gott alle Menschen geschaffen hat (von männlich bis weiblich und inter und trans) und ihre Beziehungen segnet - auch diejenigen, die von einigen Kirchen abgelehnt werden.
SCHWENDIMANN: Der Zusammenhalt und die große Opferbereitschaft der Community und der Allies hat mich überwältigt. So oft haben mir Menschen geschrieben oder angerufen und gesagt: "Priscilla, ich könnte dir bei x oder y noch helfen". Das hat mich so berührt. Oder dass Menschen Hunderte von Stunden investiert haben, unentgeltlich, für die Produktion des Ehe-für-alle-Songs, oder der ganzen Kampagne, einfach so. Genial. Danke.
JAEGGI: Ich fand es sehr irritierend, dass aus evangelikalen Kreisen im Abstimmungskampf nur noch auf das Kindeswohl eingegangen wurde. Die gleichgeschlechtliche Lebensform an sich wurde nicht mehr thematisiert. Damit wurde der Anschein erweckt, als wären gleichgeschlechtliche Lebensformen gar kein Problem und es gehe nur um das Kindeswohl. Faktisch ist das aber einfach nicht korrekt, weil Homosexualität nach wie vor als Sünde gesehen wird in diesen Kreisen. Hier hat man m.E. nicht redlich argumentiert, auch wenn es von der SEA (Evangelische Allianz Schweiz) damit begründet wurde, dass man gesellschaftlich anschlussfähig argumentieren wolle und das gehe nur über das Kindeswohl. Die Argumentation wurde als Kontextualisierungsleistung verstanden, weil man selber gemerkt hat, dass eine Argumentation gegen gleichgeschlechtliche Lebensformen in keiner Weise mehr anschlussfähig ist. Gleichzeitig wurde man damit seinen eigenen Glaubensüberzeugungen m.E. untreu und hat suggeriert, dass Homosexualität in Freikirchen kein Problem darstelle.
Was mich ebenfalls irritiert hat, war die ungemein starke Hervorhebung der Vaterrolle als es ums Kindeswohl ging. Hier habe ich mich als hetero-Vater schließlich gefragt, ob ich selbst diesen hohen Ansprüchen an den Vater eigentlich genügen kann. Da wurde ein Idealbild von Familie entworfen, das kaum lebbar ist und das ich problematisch sehe.
Sehr gefreut habe ich mich über alle Impulse für ein Ja zur Ehe für alle, die aus meiner eigenen Kirche (EmK) gekommen sind: online Beiträge, Gründung eines Seelsorgenetzwerkes für LGBTQI+, Beteiligung an der Pride Zürich und Biel etc..
TEDALDI: Ich habe immer wieder gehört und gelesen, dass Homosexualität "unnatürlich" sei. Das hat mich bewegt. Menschen glauben zu lassen, dass ihre Beziehungen nicht in Ordnung und ihre Gefühle ein Versehen der Natur seien; zu sagen dass es "wichtig" sei, diese Menschen deshalb zu ermahnen, zu erniedrigen, zu beschuldigen und zu verletzen - das ist unnatürlich!
MÜLLER: Als es vor zwei Jahren möglich wurde, dass die Evangelisch-reformierte Kirche Schweiz beschloss, dass gleichgeschlechtliche Liebe Ausdruck der geschöpflichen Fülle sei und daher gleichberechtigt, fand ich das ein ganz bedeutendes Ereignis. Alle Abgeordneten hatten zugestimmt.
ALBRECHT: Erwartest Du vom Ergebnis der Volksabstimmung auch eine Veränderung in den christlichen Kirchen? Welche Veränderungen wünschst Du Dir hier?
KADERLI: Es wird bestimmt eine Veränderung geben. Die Kirchen, vor allem die reformierte Kirche, haben sich in der ganzen Kampagne als viel offener und einladender gezeigt. Das wird dann hoffentlich LGBT Menschen, die von ihren Gemeinden verstoßen wurden, wieder Hoffnung geben und die Versicherung, dass sie von Gott geliebt sind, so wie sie sind. Vielleicht finden Queers dadurch wieder zu einem Glauben an Gott und ihre Gnade zurück. Ich wünsche mir, dass Christ:innen die Liebe zu Jesus und zum Nächsten ins Zentrum stellen und nicht das nackte Wort.
SCHWYN: Vieles ist bereits im Vorfeld der Abstimmung geschehen. In der Evangelischen Kirche Schweiz (EKS) waren die Diskussionen in den letzten Jahren zum Teil turbulent, aber gerade das hat viel in Bewegung gesetzt. Einerseits ein klares und breit abgestütztes Votum seitens der Kirche zugunsten der Gesetzesvorlage, über die wir jetzt abgestimmt haben. Mit der Ja-Parole (Abstimmungs-Empfehlung) für die Abstimmung, mit Podiumsdiskussionen und Beiträgen in den kirchlichen und allgemeinen Medien hat die EKS sehr wohl zur Meinungsbildung beigetragen.
Andererseits ist auch das Bewusstsein geschärft worden, dass dieses Eheverständnis nicht von allen in der Kirche geteilt wird. Es sind konstruktive Prozesse im Gang, wie Kirchen mit dieser Situation sorgfältig umgehen, damit sie möglichst sowohl den Mitarbeitenden mit einem anderen Eheverständnis wie auch den Gemeindemitgliedern in gleichgeschlechtlichen Beziehungen gerecht werden. Vor zehn Jahren war die Reaktion oft: das haben wir doch zur Genüge diskutiert, das hat sich doch erledigt. Ausgrenzungserfahrungen wurden als Ausrutscher abgetan. Die Diskussionen im Vorfeld der Abstimmung haben gezeigt: es ist ein Thema, die Kirche muss aktiv werden. Die Prozesse sind im Gang.
Spannend werden sicher auch die Diskussionen auf internationaler Ebene in der christkatholischen (altkatholischen) Kirche um den Sakramentscharakter der gleichgeschlechtlichen Ehe. Die Synode in der Schweiz befürwortet dies grundsätzlich.
DÄLLENBACH: Es wird weiterhin zwei Positionen geben - die "traditionelle", die die Schöpfungsordnung betont, Ehe als Mann-Frau-Verbindung definiert und die Homosexualität kritisch sieht und diese Beziehungen nicht segnet. Es tut mir weh, wenn diese Position als "christlich" oder "biblisch" bezeichnet wird, weil es mir und den Vertreterinnen der anderen Position den Glauben abspricht. Ich sehe "Queerness" als Schöpfungsvariante, Gott liebt Diversität, Vielfalt, Freiheit. Wichtig ist mir, dass wir ehrlich sind, nicht sagen, alle sind willkommen, aber wir segnen eure Beziehung nicht, ihr dürft nicht leiten und wir begleiten euch auf dem Weg zum "Ziel", einer hetero Ehe mit "natürlich gezeugten" Kindern. Ich werde kämpfen für ein Verbot von Konversionstherapien, für das dritte Geschlecht, für trans Rechte. Ich freue mich über Christ:innen, die über ihren Schatten springen, die die Begegnung mit queeren Menschen wagen, die mit uns reden statt vor allem über uns, die uns zuhören, die auch unseren Schmerz aushalten. In der LBGTQIA+ Community gibt es viele Verletzungen, auch die Abstimmungskampagne hat einerseits Gräben aufgerissen - und gleichzeitig auch Begegnungen ermöglicht, Aha Erlebnisse. Ich bin Theologin, ich liebe Argumente und Gespräche, aber letztlich geht es um Beziehungen, um Begegnungen.
SCHWENDIMANN: Die evangelisch-reformierte Kirche, welcher ich angehöre, hat sich bereits 2019 für die Ehe für alle ausgesprochen. Das freut mich sehr. Ich hoffe, dass diese bald auch kirchenrechtlich in allen Kantonen umgesetzt wird. Desweiteren wünsche ich mir einen fairen Diskurs innerhalb der Kirche im Bezug auf das Thema Queer, bei dem Dinge offen, ehrlich und mit viel Respekt angesprochen werden können. Dazu gehört z.B. die Einführung von Elternzeit und nicht von Vaterschaftsurlaub.
JAEGGI: Ich denke, durch das Abstimmungsresultat werden sich gewisse Fronten noch verhärten. Da gibt es Kirchen, die im EKS (Evangelische Kirchen Schweiz) zusammengeschlossen sind und bei denen eine Segnung gleichgeschlechtlicher Paare bereits jetzt möglich war. Hier wird sich nicht viel ändern, außer dem Wording, dass nun offiziell von einer Trauung gesprochen werden kann. Auf der anderen Seite stehen Freikirchen, die ihre theologische Meinung zur Ehe für alle mittelfristig nicht ändern werden. Ich nehme wahr, dass man sich in eine Ecke gedrängt fühlt und den Niedergang der Gesellschaft zu beobachten meint. Das ist eine denkbar schlechte Position, um die Meinung zu ändern. Ich befürchte, dass man hier vielmehr in eine Abwehrhaltung kommt, ein Stück weit wohl auch in eine Opferrolle. Ich selbst wurde aufgrund meiner positiven Haltung zu LGBTQI Themen als Pastor aus meiner Freikirche entlassen.
An dieser Haltung wird sich nicht viel ändern. Aus Sicht dieser Freikirchen bestätigt die Abstimmung ihren Weg: Die Gesellschaft entwickelt sich weg von ihren christlichen Wurzeln und man selbst will Widerstand leisten und den Dogmen treu bleiben.
Längerfristig sehe ich es so, dass sich der Widerstand auch in Freikirchen auflösen wird, weil gleichgeschlechtliche Lebensformen gesellschaftlich akzeptiert sind und Widerstand von einer nachkommenden Generation schlicht nicht mehr verstanden würde. So konnte man es beobachten bei den Fragen zur Rolle der Frau in der Kirche oder zur Frage der Ehe-Scheidung: Anfangs gab es Widerstand, über die Jahre verflüchtigte sich dieser und irgendwann wird ein neuer Normalzustand erreicht. Dies wird aber noch Jahre dauern. Gleichzeitig wird es wenige Freikirchen geben, die darüber hinaus ihre Gegenposition halten werden. Hier werden sich Gleichgesinnte treffen. Allerdings sehe ich längerfristig die Zahl solcher Kirchen sehr klein und ohne Zukunft (vgl. Brüdergemeinden etc.).
Die EMK als einzige Freikirche im EKS und gleichzeitig als Teil der globalen United Methodist Church nimmt hier eine fragile Mittelposition ein. Viele Pfarrpersonen, VerantwortungsträgerInnen und Gemeinden in der Schweiz stehen der Ehe für alle und gleichgeschlechtlichen Lebensformen offen gegenüber. Andere Gemeinden vertreten einen konservativen Standpunkt. Hier wird es in den nächsten zwei Jahren zu Entscheidungen mit einiger Tragweite kommen, was den weiteren Weg der EMK betrifft. Persönlich erlebe ich als Pfarrperson mit offener Haltung eine kirchliche Gemeinschaft, in der ich meine Meinungen frei äußern darf und darin auch Unterstützung erfahre.
TEDALDI: Jene Kirchen, die Homosexualität als Veranlagung betrachten, werden ihre Türen weiterhin für alle Menschen öffnen. Die Kirchen, die Homosexualität hingegen als Gesinnung sehen, werden weiterhin unbarmherzig handeln. Ich wünsche mir mehr Offenheit und Liebe. Was für ein Gottesbild haben Menschen, die glauben, dass Gott uns auf eine Weise einschränkt, die keinen Zweck hat, sondern lediglich einem bestimmten Prinzip dient?
MÜLLER: Die Abstimmungskampagne wurde seitens der Kirchen fair geführt (es waren andere Kreise, die sehr primitiv agierten), das war ein wichtiger Schritt zur Versöhnung. Es könnte gelingen, dass sich die Kirchen in der Schweiz darob nicht spalten. Im Übrigen hat gerade die reformierte Kirche vielen jungen Leuten gezeigt, dass sie für ihre Anliegen offen ist. Kirche ist nicht einfach Kirche und immer konservativ! Ich freue mich daher auch auf kirchliche Trauungen für Alle!