Fußballnationalspieler Leon Goretzka erzielt den Ausgleichstreffer. Sekunden danach wendet er sich den Fans im Block der ungarischen Gegenmannschaft zu und symbolisiert in ihre Richtung mit seinen Händen ein Herz. Das Zeichen ist seine Antwort. Eine Antwort auf jene, die nicht nur bei diesem Spiel immer wieder durch rassistisches, homo-, bi-, und transfeindliches Verhalten auffallen. Dieses Bild von der gerade zurückliegenden Fußballeuropameisterschaft (EM) der Herren ging in den kommenden Tagen durch die Medien. Mich erinnert die Szene an einen Satz, den Paulus an seine Glaubensgeschwister in Rom richtet: "Lass dich nicht vom Bösen überwinden, sondern überwinde das Böse mit Gutem" (Römer 12,21).
Gott lehrt uns Gutes vom Bösen zu unterscheiden. So heißt es beim Propheten Micha: "Es ist dir gesagt, Mensch, was gut ist und was der HERR von dir fordert: nichts als Gottes Wort halten und Liebe üben und demütig sein vor deinem Gott" (Micha 6,8). Von Jesus Christus erfahren wir im Evangelium des Matthäus, dass wir an den Früchten, die die Taten der Menschen hervorbringen, erkennen können, ob es sich dabei um etwas Gutes handelt oder nicht (Matthäus 7,16). In der Geschichte der Menschheit hat die Verfolgung von Personen, die gleichgeschlechtlich lieben oder solchen, die nicht dem Geschlecht entsprechen, das ihnen bei ihrer Geburt zugewiesen wurde, noch nie etwas Gutes hervorgebracht. Die Früchte dieser Taten sind nichts anderes als Not, Verzweiflung, Elend, Folter, Tod und Mord. Zum neuesten Akt dieser Schreckensgeschichte zählt ein Gesetz der ungarischen Regierung, das es unter anderem verbietet, jungen Menschen jegliche Inhalte zugänglich zu machen, die die romantische Liebe zwischen Menschen gleichen Geschlechts darstellen. Praktisch bedeutet das, dass beispielsweise Jugendliche, die in der Schule wegen ihrer Homosexualität gemobbt werden, sich nicht einmal einen Ratgeber oder einen Roman kaufen oder geschenkt bekommen dürfen, der ihre Situation aufgreift und ihnen Mut, Hoffnung oder Trost spendet. Unzählige Heranwachsende werden auf diese Weise systematisch entrechtet und immer weiter in die Verzweiflung getrieben. Mit dieser Regelung tut die Regierung um Viktor Orbán das Werk des Bösen. Das Gesetz zeugt weder von Liebe noch von Demut. Wer Liebe kriminalisiert, sündigt.
Wenn Paulus uns mahnt, dass wir uns nicht vom Bösen überwinden lassen sollen, dann tut er das aus gutem Grund. Paulus weiß darum, dass wir in einer Welt leben, in der Gottes Herrschaft zwar bereits angebrochen ist, aber in der gleichzeitig auch immer weiter die Mächte des Bösen auf uns einwirken. Als Menschen stehen wir deshalb immer wieder neu vor der Herausforderung, nicht dem Bösen anheimzufallen. Das menschenfeindliche Gesetz der ungarischen Regierung hat in Europa einen Sturm der Entrüstung losgetreten. Mittlerweile prüft sogar die Europäische Union deshalb ein Vertragsverletzungsverfahren gegen das Mitgliedsland einzuleiten. Auch die Fußballeuropameisterschaft der Herren wurde von dieser Auseinandersetzung überschattet. Der Rat der Stadt München wollte ein klares Signal der Solidarität mit denen setzen, die unterdrückt werden. Darum beantragte das Gremium beim europäischen Fußballverband, der Union of European Football Associations (UEFA), das Stadion in dem die Partie Ungarn gegen Deutschland stattfinden sollte, in den Farben des Regenbogens anzustrahlen. Der Regenbogen ist ein Zeichen für die gewollte Gleichberechtigung der Sexualitäten und Geschlechter. Was darauf hin begann, war seitens der UEFA ein Schauspiel, dessen Charakter an Unwürdigkeit kaum zu überbieten ist. Die UEFA lehnt den Antrag des Münchner Stadtrates ab mit der Begründung, dass dies ein politisches Signal sei und die UEFA der politischen Neutralität verpflichtet wäre. Gleichzeitig färbt die UEFA ihr eigenes Logo auf ihrem Twitter-Account in die Farben des Regenbogens ein und erklärt, dass der Regenbogen "kein politisches Symbol, sondern ein Zeichen unseres [der UEFA] Engagements für eine vielfältigere und integrativere Gesellschaft" ist. Wenige Tage danach begrüßt der Verband dann auch Werbung verschiedener Firmen, die in Regenbogenfarben auf den Banden des Fußballfeldes während der EM-Spiele erscheint. Kurz darauf untersagt die UEFA dann aber eben diese zuvor noch so hoch gelobte Werbung in Staaten mit anti-homosexueller und Anti-Transgesetzgebung. Das Böse hat viele Gesichter, die Gier nach Geld und Macht zählen zweifelsohne dazu. Die Verantwortlichen der UEFA scheinen beidem erlegen zu sein. Der Verband will allen gefallen. Sein Image in den Staaten, die die Gleichberechtigung der Geschlechter und Sexualitäten gesetzlich schützen, aufpolieren, ohne dabei aber bei Regierungen, wie denen in Ungarn oder Polen, die genau dies negieren, im Ansehen zu sinken. Um Menschen und deren Würde scheint es den Vorständen der UEFA dabei zu keiner Zeit zu gehen. Ihnen ist das Schicksal derer, die gerade in Ungarn entrechtet werden, offenkundig egal. Der einzige Zweck des ganzen Gebarens ist schlichtweg der Versuch, einen maximalen finanziellen und politisch-partikularistischen Profit zu erzielen. Der völlige Glaubwürdigkeitsverlust wird als Kollateralschaden hingenommen. Christus warnt uns im Gleichnis vom Nadelöhr ausdrücklich vor dieser Art von rücksichtlosem Profitstreben, denn der Heiland weiß, dass dies nicht zum Guten führt (Markus 10,17-27). Die Verantwortlichen der UEFA haben sich vom Bösen überwinden lassen. Sie vollführen den Kotau vor Orbán und anderen Regierungen, die die Menschenrechte mit Füßen treten. Dabei hat der Verband viel mehr als seine Glaubwürdigkeit eingebüßt. Viel schwerer wiegt, dass seine Vorstehenden die Würde derer, die unter dem ungarischen Gesetz leiden, zu etwas Verhandelbarem, zu einer Ware gemacht haben.
Als Menschen, die Jesus Christus nachfolgen, sind wir dazu aufgerufen anders zu handeln. Überwinde das Böse, fordert uns Paulus auf. Und dieses Überwinden, so sagt er weiter, sollen wir nicht in irgendeiner Weise tun, sondern mit den Mitteln des Guten. Im März habe ich die Diskussion über ausbleibende Coming-outs in der Fußballbundesliga der Herren und auch die Rolle, die der Deutsche Fußball-Bund (DFB) dabei spielt, hier in diesem Blog kritisch analysiert. Der DFB betreibt meines Erachtens nach keine glaubwürdige Politik, die es männlichen Fußballprofis, die gleichgeschlechtlich lieben, ermöglicht, ihre Beziehungen genau so offen zu leben, wie es jene, die eine Partnerin haben, ganz selbstverständlich tun können. Nichtsdestotrotz hat Manuel Neuer bei der EM ein starkes Zeichen für Akzeptanz und Vielfalt gesetzt. Der Kapitän der deutschen Fußballnationalmannschaft der Herren trug während der Spiele eine Kapitänsbinde in Regenbogenfarben und das ist weit mehr als reine Symbolpolitik. Wenn es um die Frage geht, warum sich Spieler, die homosexuell lieben, nicht outen, dann heißt es immer wieder, dies läge vor allem daran, dass sich diese dann anti-homosexuellen Beleidigungen auf dem Platz aussetzen müssten, denen sie nicht gewachsen wären und vor denen sie auch ihre Mannschaftskollegen nicht schützen könnten. In dieser Debatte setzt Manuel Neuer nun einen Kontrapunkt. Die Diskussion über das ungarische Gesetz ist aufgeheizt. In ganz Europa. Das heißt nicht nur außerhalb des Stadions, sondern auch drinnen. Mitten in dieser Situation streift sich Manuel Neuer eine Kapitänsbinde über, die für die Rechte derer steht, die so massiv unterdrückt werden. Er geht mit den Farben des Regenbogens aufs Feld. Stellt sich in das Tor. In seinem Rücken toben in der ersten Halbzeit Menschen von denen zum Teil eben jene symbolische Gewalt, der Hass, die Beleidigungen und Schmähungen ausgehen, gegen die die Kolorierung der Kapitänsbinde ein Zeichen setzt. Manuel Neuer hält das alles aus. Und das tut er nicht nur für seine Spielerkollegen, die all dies so sehr fürchten, dass sie sich nicht outen. Manuel Neuer tut das auch für die, die in Ungarn und anderen Ländern wegen ihrer Liebe, ihrer Sexualität, ihres Geschlechts verfolgt werden. Der Kapitän ist ein Vorbild gerade auch für jene Heranwachsenden, denen das ungarische Gesetz die Vorbilder nehmen will. In der Fußballzeitschrift KICKER erklärt der Nationalspieler: "Wir möchten […] den Menschen zeigen, dass es außerhalb des Fußballs wichtige Dinge gibt, auf die wir hinweisen und hinter denen wir stehen. Wir sind für viele Kinder und Jugendliche Vorbilder". Das was Manuel Neuer in diesem Stadion getan hat, das ist nicht nur solidarisch, das ist nicht nur ein Akt, dem höchster Respekt zu zollen ist, sondern das entspricht auch zu tiefst christlichen Werten. Manuel Neuer hat die Last anderer auf sich genommen so wie es im Doppelgebot der Liebe heißt: "Einer trage des andern Last, so werdet ihr das Gesetz Christi erfüllen" (Galater 6,2). Abgerundet wird das Ganze von Leon Goretzka, der den Gesichtern derer, die ihren Hass verbreiten, mit dem Herz, als Zeichen der Liebe begegnet.
Manuel Neuer und Leon Goretzka haben sich nicht vom Bösen überwinden lassen. Im Gegenteil, ganz im Sinn des Paulusbriefes haben sie Wege gefunden, das Böse mit Gutem zu überwinden. Beide haben das umgesetzt, indem sie mit ihrem Handeln genau das tun, was die UEFA nur vorgibt. Sie leben Respekt, Akzeptanz und Solidarität. Sie vergelten nicht Böses mit Bösem, sondern zeigen Liebe und werden so zu einem Segen für andere (1. Petrus 3,9). Mit ihrem mutigen Handeln haben Manuel Neuer und Leon Goretzka ein Zeugnis dafür gegeben, wie wir, die in der Nachfolge Christi stehen, den Worten des Römerbriefes ganz konkret folgen können, auf das auch wir ein Segen werden.
Herr Jesus Christus, zeige uns wo wir Gefahr laufen uns von den Werken des Bösen überwinden zu lassen. Schenk uns den Heiligen Geist, damit wir erkennen können, wie wir stattdessen das Böse mit dem Guten überwinden können. Segne alle, die dafür eintreten, dass die Vielfalt der Geschlechter und Sexualitäten, die du geschaffen hast, sich entfalten kann. Gib uns dafür Mut und Stärke und ein festes Herz in dir. AMEN.