Segnen
Segnung gleichgeschlechtlicher Paare
© Anja Bockius
Die kontroverse Debatte um die Segnung gleichgeschlechtlicher Paare immer noch aktuell.
Segnen heißt im Lateinischen „benedicere“: Gutes sagen, Ja sagen, Wohlbefinden oder Gutes wünschen. Segen betrifft das ganze Leben mit Verstand, Herz und Hand, also mit der gesamten Existenz. Die Geschichte von Abraham und Sara im 1. Buch Mose handelt davon. Sie ist in der kontroversen Debatte um die Segnung gleichgeschlechtlicher Paare immer noch aktuell.

„Ich will dich segnen!“

Mit diesem Segenszuspruch sprach Gott den unsicheren Abraham an. Gott ermutigte ihn seine Heimat zu verlassen und Neues zu wagen. Dabei versprach Gott:

„Ich will dich segnen!“

Abraham hörte Gott zu und ließ sich davon berühren. Der Zuspruch ließ ihn nicht mehr los. Er erzählte seiner Frau Sara davon. Gemeinsam wagten sie es, sich auf Gottes Stimme einzulassen. Sie entschieden sich, Gott zu vertrauen.

Und so gingen sie bewusst die nächsten Schritte. Zunächst mussten sie sich verabschieden. Denn sie ließen ihr bisheriges Leben zurück: ihre Heimat, Verwandtschaft, Nachbarschaft, das Haus ihrer Eltern, ihre Kultur, Sprache und ihr gesamtes soziales Umfeld. Alles, was ihnen bisher Halt und Schutz gegeben hatte und was sie bis dahin gekannt hatten.

Gott rief Abraham und Sara heraus ihrer bisherigen Existenz aus Ur in Chaldäa im Zweistromland zwischen Euphrat und Tigris in etwas Neues, Unbekanntes. Sie wussten nicht, was auf sie zukommen würde. Sie hatten keine Versicherungspolice und keinen Kompass dabei. Und sie hatten keine Sicherheit, dass alles gut gehen und sie gesund ankommen würden in … ja wo eigentlich?

Sie hatten nur eine einzige Brücke zwischen Vertrautem und Neuem. Es waren die Worte, die Abraham von Gott gehört hatte. Ich will dich segnen. Ich will euch segnen und mit euch eure Sippe. Es wird euch gut gehen und ihr werdet Land und Nachkommen haben. So versprach es Gott im ersten Buch Mose (1. Buch Mose 12, 1-3).

Über diese Brücke gingen sie los. Mit Trauer und Sorge, Unsicherheit und Hoffnung im Gepäck. Wie würde es werden auf dem Weg durch die Wüste? Würden sie gesund bleiben? Würden sie Nahrung finden und Gefahren überleben?

Gottes Segen war eng mit ihrem Abschiedsschmerz verbunden. Aber sie wagten es trotzdem. Sie packten ihre Zelte, ihre Viehherde und was sie sonst noch hatten zusammen, und brachen auf. Vielleicht gab es vorher noch ein Abschiedsfest. Vielleicht verließen sie ihr Haus aber auch in einer Nacht-und-Nebel-Aktion. So oder so. Sie öffneten sich für den Segen, den Gott ihnen versprochen hatte.

Sie hätten die Aufforderung auch ablehnen können. Sie hätten in der Geborgenheit der Familie, in der Sicherheit der Sippe und bei den bekannten religiösen Traditionen bleiben können. Doch sie entschieden sich dafür aufzubrechen und dem Neuen entgegen zu gehen. In ihren Herzen klang Gottes Zuspruch:

"Ich will dich segnen!"

Sie gingen dafür weit über ihre Komfortzone hinaus in die Freiheit, in die Gott sie rief. Da gab es Zeiten, in denen sie verunsichert waren, in denen sie zauderten, stöhnten, klagten und nicht sahen, wann, wie und wo sie bloß irgendwann ankommen sollten. Sie machten Fehler, verliefen sich, hatten Hunger und Durst und verfluchten mehr als einmal, dass sie losgegangen waren.

Aber der Zuspruch Gottes war größer als ihr Zweifel. Mit jedem Schritt gingen sie tiefer hinein in die Beziehung mit Gott und seiner lebendigen Segenskraft. Schließlich kamen sie tatsächlich in Kanaan an und bauten sich dort eine neue Existenz auf. Sie bekamen Nachkommen, und es ging ihnen gut. Gottes Segen ging von ihnen über auf ihre Nachkommen und schließlich auf alle Völker der Erde.

Segen ist Gottes Geschenk an die Menschen. Gott spricht den Menschen damit die Fülle des Lebens zu: Gottes Schalom: Frieden, Gemeinschaft und Wohlbefinden als ganzheitliche und kollektive Lebensgrundlage.

In der biblischen Geschichte ist es aber entscheidend, dass der Segen Gottes an Abraham einen zweiten Teil hat:

"Und du sollst ein Segen sein!"

Ich will dich segnen und du sollst ein Segen sein, so heißt es. Oder einfach: Werde ein Segen! Ein Segen sein, ein Segen werden, da geht es um die gesamte Existenz. Es geht ums Empfangen und ums Weitergeben. Und es geht ums Tun. Verantwortlich und fürsorglich handeln in Gemeinschaft, Partnerschaft und für sich selbst. Menschen wird der Segen von Gott geschenkt, um ihn weitergeben zu können. Damit ist Segnen an kein bestimmtes Amt gebunden.

Denn Gottes Segen gehört den Menschen nicht. Folglich können und dürfen sie ihn nicht missbrauchen, um die einen abzusegnen und den anderen Segen zu verweigern, so wie es die Glaubenskongregation des Vatikans gegenüber gleichgeschlechtlichen Paaren im März 2021 getan hat. Und es gibt auch keinen Segen zweiter Klasse.

Segen ist vollumfänglich Zuspruch und Geschenk Gottes an die Menschen. Ob und wie Gottes Segen wirkt, liegt nicht in menschlicher Hand. Menschen können aber im Vertrauen auf die Wirksamkeit des Segens diesen empfangen und an andere weitergeben.

Insofern war die Aktion in zahlreichen katholischen Gemeinden #LiebeGewinnt ein großartiges kirchenpolitisches und theologisches Zeichen. Aber vor allen Dingen auch ein zutiefst menschliches.

Am 10. Mai wurden in über 100 katholischen Kirchen in Deutschland Segnungsgottesdienste gefeiert. Ich war im Segnungsgottesdienst der Katholischen Hochschulgemeinde in Mainz dabei. Einzelne und Paare wurden gesegnet, unabhängig von Familienstand, sexueller Orientierung und Geschlechtsidentität. Uns wurde Gutes gewünscht: körperlich, geistig, seelisch. Das hat allen gut getan.

Es war ein eindrückliches Zeichen gegen die Aussage der Glaubenskongregation, dass gleichgeschlechtliche Paare nicht gesegnet werden dürfen. Denn Gottes Segen ist unverfügbar. Er gehört weder den Kardinälen noch den Bischöfen oder Priestern. Das Subjekt jeder Segenshandlung ist Gott selbst.

Gestärkt durch Gottes Segen können Menschen aktiv dafür sorgen, dass sie selbst zum Segen für andere werden. Wie Menschen Segen weitergeben, ist dabei vielfältig: Liebevolle Gedanken über einen Menschen. Die Hand auf den Kopf oder auf die Schulter legen und ein freundliches Wort sprechen. Eine segnende Geste, ein Segenswunsch. Ein Segenswort kann Menschen heute genauso wie damals Abraham und Sara ermutigen und stärken. Und das ist so wichtig, wenn es darum geht aufzubrechen und Neues zu wagen.

Zum Schluss zitiere ich den Theologen Dietrich Bonhoeffer, Pfarrer und Widerstandskämpfer gegen den Nationalsozialismus:

„Wer selbst gesegnet wurde, der kann nicht anders, als diesen Segen weitergeben, ja, er muss dort, wo er ist, ein Segen sein. Nur aus dem Unmöglichen kann die Welt erneuert werden. Dieses Unmögliche ist der Segen Gottes.“ (Dietrich Bonhoeffer am 8.6.1944 DBW 8, S. 675)

So möge Gottes Segen mit uns allen sein!