Als Transgender* Pfarrer*in sein in einer evangelischen Kirche? In deutschen protestantischen Kirchen Realität. Als Transgender* an einer Abendmahlsfeier teilnehmen in der Lutherischen Kirche in Lettland oder an einer Eucharistiefeier in der römisch-katholischen Kirche in Polen? Das könnte lebensgefährlich werden...
Die Unterschiede sind groß in Europa - nicht nur in den Kirchen: Während Queers in dem einen Land selbstbewusst und selbstbestimmt leben können, sehen sie sich in einem anderen Land Diskriminierung und Repressionen ausgesetzt, sobald sie offen auftreten. ILGA-Europe, das Lobby-Netzwerk von mehr als 600 europäischen Regenbogen-Organisationen veröffentlicht seit 2011 jedes Jahr einen Europäischen Regenbogen-Index ("Rainbow Europe"), der diese Unterschiede sichtbar macht. Für ILGA ist diese Regenbogen-Landkarte eine wichtige Unterstützung bei der Lobbyarbeit für queere Menschenrechte: Regierungen mit Vorbildfunktion werden gestärkt, anderen werden ihre Defizite deutlich vor Augen geführt - und sie erhalten Hinweise, wie sie die Menschenrechtslage von Queers verbessern können.
Das Europäische Forum der christlichen LGBTQ-Gruppen (EF) hat bei seiner Jahreskonferenz Anfang Mai 2021 nun RICE vorgestellt - nein, kein Reis in Regenbogenfarben (mit dem zu werfen vielleicht bei queeren Trauungen möglich wäre), sondern den Rainbow Index of Churches in Europe. Ein Team von Forscher*innen um Rein Brouwer und Heleen Zorgdrager von der Universität Amsterdam hat anhand von 47 Indikatoren eine Landkarte zusammengestellt, auf der rasch erkennbar ist, wie inklusiv sich die einzelnen Kirchen gegenüber Queers verhalten. An der Spitze des Rankings steht keine deutsche protestantische Kirche, sondern die Lutherische Kirche Schwedens!
Das verwundert so wenig wie manch anderes auf der Regenbogen-Landkarte: In vielen Fällen decken sich die Länder-Beurteilungen von ILGA mit den Ergebnissen von RICE: Die skandinavischen Länder stehen auch bei ILGA an der Spitze - und in Ländern, die insgesamt eher homophob geprägt sind (wie Ungarn oder Lettland), ist selbst in den protestantischen Kirchen keine Akzeptanz für Queers zu finden.
Auffallend ist freilich, dass die römisch-katholischen Diözesen bzw. Bischofskonferenzen gerade in den bei ILGA als positiv bewerteten Ländern deutlich hinter der Länderwertung zurück bleiben. Die Autor*innen der Studie betonen aber, dass insbesondere seit der Aussage von Papst Franziskus im Oktober 2020, dass Homosexuelle ein Recht hätten, in einer Familie zu leben (so z.B. in der ZEIT vom 21.20.2020), Bewegung in die römisch-katholische Kirche gekommen sei. In Deutschland konnten wir das ja vor gut einer Woche bei den Segnungsgottesdiensten eindrücklich erleben! Diese Grenzüberschreitungen einiger Priester, Bischöfe und Diözesanräte seien wichtig, da sie wiederum für andere, zurückhaltendere Diözesen zur Infragestellung oder zum Vorbild werden.
Solche strategischen Empfehlungen finden sich zu jeder der Konfessionsfamilien - für queere Kirchenpolitik sind sie unendlich wertvoll, wie ich meine. Für die römisch-katholische Kirche heißt das, den Dialog mit LGBTQ*-Personen zu stärken und sich auf der Basis der Würde jedes Menschen stärker im Kampf gegen gesellschaftliche Diskriminierung von Queers zu engagieren. Die Autor*innen der Studie sind offenbar davon überzeugt, dass solches Engagement dann auch in die Kirche hinein abfärbt.
Auch die protestantischen Kirchen haben freilich noch Aufgaben zu erledigen. Ganz oben in dem Forderungskatalog stehen hier die Inklusion von Trans- und Inter-Personen sowie ein adäquater Umgang mit Sexualität und Gender in der kirchlichen Jugend- und Bildungsarbeit. Auch ein öffentliches Schuldbekenntnis stehe in den meisten protestantischen Kirchen noch aus.
Für alle, die sich für mehr Inklusion von Queers in ihren Kirchen engagieren, lohnt es sich, nicht nur einen Blick auf die Regenbogen-Landkarte zu werfen, sondern tatsächlich die ausführliche, englischsprachige Zusammenfassung der Studie mit ihren strategischen Empfehlungen und Forderungen zu lesen!