Jesus lebt, mit ihm auch ich!
Matthias Albrecht
Ich werde sterben. Und Sie werden es auch. Viele Menschen, auch Christ*innen verdrängen diese simple Wahrheit. Dabei gibt es Grund zur Hoffnung. Jesus Christus bietet uns eine Perspektive über das irdische Leben hinaus. Eine Andacht zur Ermutigung und Erbauung.

Sie habe dem Tod ins Gesicht gelacht, so hieß es einmal über Regine Hildebrandt. Die Politikerin starb im Jahr 2001 an einem Krebsleiden. Dass ein Mensch den Mut findet, dem Tod ins Gesicht zu lachen, das höre ich sehr selten und es beeindruckt mich. Sie seien dem Tod noch mal von der Schippe gesprungen, diesen Ausspruch habe ich hingegen schon häufiger von anderen vernommen. Gemeint sind damit Situationen, in denen Personen dem Sterben extrem nahe waren, doch letztlich überlebten. Unsere Gesellschaft tabuisiert den Tod und das Sterben, daher wundert es mich auch nicht, dass ich den einen Ausspruch viel öfter zu Ohren bekomme als den anderen. Zwischen dem Tod von der Schippe zu springen oder ihm ins Gesicht zu lachen, da liegt ein großer Unterschied. Wer von der Schippe springt, entkommt – und es ist nur menschlich diesen Weg zu nehmen, wenn er uns denn offensteht. Gott will, dass wir uns über dieses Leben freuen, es annehmen und da wo es uns möglich ist auch bewahren. Dem Tod ins Gesicht zu lachen, das bedeutet etwas anderes, es heißt, sich dem Tod zu stellen, also nicht vor ihm, ihn im Rücken wissend, wegzulaufen, sondern sich stattdessen umzudrehen, ihm ohne Scheu in die Augen zu schauen und ihn dann aus einer Haltung der Überlegenheit anzulachen. Diesen Mut haben tatsächlich nur wenige Menschen. Ich weiß nicht, ob ich ihn selbst aufbringen kann. Doch der Osterchoral Jesus lebt, mit ihm auch ich von Christian Fürchtegott Gellert aus dem Evangelischen Gesangbuch ermutigt uns zu eben einer solchen Haltung. In der ersten Strophe des Liedes wird der Tod direkt konfrontiert, wenn es heißt: "Tod, wo sind nun deine Schrecken?". Dabei handelt es sich wohlgemerkt nicht um eine offene Frage. Denn wenn wir im Sinnbild eines direkten Dialoges mit dem Tod als personifizierter Instanz bleiben, dann könnte dieser hierauf tatsächlich einige schwer von der Hand zu weisende Antworten vorbringen. Kriege, wie der, der gerade in Syrien tobt, Pandemien, wie die, die durch das Corona-Virus verursacht wird oder Morde, wie solche, die aus anti-transgeschlechtlichen Ideologien resultieren, könnte der Sensenmann anführen. All die Toten, die an diesen Folgen gestorben sind, erschrecken uns bis ins Mark. Doch Gellert stellt die Frage als eine rhetorische. Das wird daran klar, dass die Frage nicht alleinsteht. Ihr geht in unserem Lied die Aussage voraus: "Jesus lebt, mit ihm auch ich!" Dieser kurze Satz fasst das Ostergeschehen in seiner Bedeutung für uns Menschen zusammen. Jesus ist auferstanden, er hat den Tod überwunden und damit uns allen den Weg zum ewigen Leben frei gemacht. Der dadurch entstandenen Hoffnung kann der Tod nichts, aber auch gar nichts mehr entgegensetzen. Er steht mit leeren Händen da. Muss verstummen. Jesus Christus hat ihn besiegt. Auf diesem Wunder gründet unser christlicher Glaube. Wir haben allen Grund zuversichtlich zu sein, dass wir, wie es weiter in der ersten Strophe heißt, von den Toten auferweckt werden und die Ewigkeit im Licht unseres Heilandes erleben. Das Osterfest will uns diese Hoffnung immer wieder neu vergegenwärtigen. Aus ihr heraus können wir den Mut entwickeln, uns zu dem Tod, der uns alle eines Tages ereilen wird, umzudrehen, ihn überlegen anzulächeln und dann zu fragen: Wo sind nun deine Schrecken?

Heißt das nun, dass wir keine Angst mehr vor dem Tod empfinden sollten? Oder noch schärfer formuliert, es als Christ*innen vielleicht sogar nicht dürfen? Tatsächlich hörte ich bereits das ein oder andere Mal von christlichen Gemeinschaften, die die christliche Botschaft so interpretieren, dass eine solche Angst als Sünde betrachtet wird, weil sie Gott vermeintlich klein macht. Diese Einstellung ist nichts anderes als die christlich-fundamentalistische Art, die Themen Tod und Sterben zu verdrängen. Genau so wie in der säkularen Welt, werden hier natürliche Ängste tabuisiert, nur unter anderen Vorzeichen. Doch eine solche Haltung, entspricht nicht den gnaden- und liebevollen Augen, mit denen uns unser Schöpfer ansieht. Jesus weiß sehr genau, dass die Angst, und damit auch die vor dem Tod, eine menschliche Grunderfahrung ist. So spricht er zu uns im Johannesevangelium: "In der Welt habt ihr Angst; aber seid getrost, ich habe die Welt überwunden" (Johannes 16, 33). Wir dürfen Angst haben! Jesus gesteht es uns ausdrücklich zu. Gleichzeitig verweist er aber auf die Perspektive, die er uns als Kontrapunkt zu unseren Ängsten bietet. Er hat die Welt überwunden, erklärt unser Heiland im selben Satz. Als Resultat seines Überwindens hat er für uns den Zugang zu einer neuen Welt eröffnet, eine Welt in der wir tatsächlich frei von Ängsten leben können, eine Welt in der es den Tod nicht mehr gibt, eine Welt in der wir mit Jesus in Ewigkeit leben können (vgl. dazu auch Offenbarung 21).

So allesverändernd positiv diese Aussicht auch ist, es bleibt, dass wir erst einmal in diese neue Welt gelangen müssen. Und der Weg in diese Welt führt unweigerlich durch den Tod. "Nun ist der Tod mir der Eingang in das Leben", formuliert Gellert es in der letzten Strophe unseres Liedes. Durch das Wunder der Auferstehung Christi hat Gott den Tod einer entscheidenden Umdeutung unterzogen. Der Tod ist seitdem nicht mehr das Ende, sondern der Anfang, ein Neubeginn. Der Tod ist zur Eingangstüre in die Ewigkeit geworden. Viele von uns kennen das: Wir müssen vor einer Türe warten. Hinter der Türe erwartet uns etwas, von dem wir hoffen, dass es für uns gut ausgeht. Das kann beispielsweise die Türe einer Prüferin sein, die uns gleich unsere Note mitteilen wird. Oder es ist die Türe einer Ärztin, die uns Testergebnisse bezüglich unseres Gesundheitszustandes eröffnet. Wie die Situation auch immer konkret aussieht, wir hoffen darauf, dass uns hinter der Türe etwas Positives erwartet. Weil wir ein gutes Prüfungsgespräch hatten. Weil wir uns in den letzten Monaten so fit wie selten gefühlt haben. Oder worauf wir auch immer unsere Hoffnung gründen. In allen Fällen bleibt unsere Erwartung, so berechtigt sie auch immer ist, immer nur eine Hoffnung. Die letzte Gewissheit, was uns hinter der Türe erwartet, die haben wir nicht, die wird sich erst einstellen, wenn wir die Türe durchschritten haben. Dieses Erleben versetzt uns in einen Zustand der Ungewissheit, wir haben dann feuchte Hände, ein mulmiges Gefühl in der Magengrube sowie Sorgen und Ängste hinsichtlich dessen was ist, wenn es doch anders kommt als wir erwarten. Mit dem Übergang vom irdischen zum ewigen Leben ist es nichts anderes. Uns ist bewusst, dass der Tod durch die Auferstehung Jesu seinen Schrecken verloren hat. Wir hoffen, dass Christus uns hinter dieser Türe, die da Sterben heißt, erwartet. Doch wir wissen es nicht. Wir können beim Durchschreiten der Türe nur glauben und hoffen. Das ist eine extreme Situation. Es geht hier schließlich nicht mehr um die Ungewissheit bezüglich einer Schulnote oder unseres Gesundheitszustandes, nein, es geht jetzt um alles, um unsere nackte, bloße Existenz, unser Bewusstsein, unsere Seele. Auch viele Christ*innen stürzt diese Situation in arge Nöte. Leichter kann es uns fallen, wenn wir auf dem Weg des Sterbens nicht allein sind. Wenn uns schon hilft, dass eine Freundin vor der Türe der Prüferin oder der Ärztin mit uns gemeinsam wartet, wie viel mehr tröstet es uns dann erst, wenn ein solcher Mensch an unserem Sterbebett sitzt, um uns zu zuhören, unsere Ängste ernst nimmt, ihnen empathisch begegnet und unsere Hand in den letzten Stunden hält? Unser Leid wird so gelindert. Eben darum haben viele Angst davor allein zu sterben. In den letzten Monaten habe ich immer wieder Geschichten gehört, wo Personen, die an Corona erkrankt waren, ohne ihre Angehörigen völlig isoliert und ohne jeden menschlichen Beistand sterben mussten. Ich stelle mir das schrecklich vor. Auch unter Menschen, die homosexuell lieben, ist die Angst am Ende des Lebens allein zu sein verbreitet. Oft haben diese Geschwister schwere Brüche mit ihren Gemeinden und/ oder Familien erlebt. Die, die für sie da sein sollten, haben sich unbarmherzig von ihnen abgewandt. Dazu kommt, dass die Gesellschaft ihnen über Jahrzehnte erschwert bis unmöglich gemacht hat, Beziehungen zu leben und eigene Familien zu gründen. Am Ende dieser lebenslangen, oft schmerzhaften Einschränkungen steht nicht selten die Einsamkeit (im Alter), verbunden mit der Frage. Wer wird da sein, wenn ich sterbe? Als Christ*innen sind wir dazu aufgerufen, Strukturen zu schaffen, die solcher Vereinsamung entgegenwirken. Aber auch das ist keine Garantie dafür, dass am Lebensende nicht das Gefühl, mit den eigenen Ängsten allein zu sein, entsteht. Auch die intensivste menschliche Zuwendung kann unzureichend sein, wenn es darum geht, Sterbende in ihren Nöten aufzufangen. Vielleicht vermeiden deshalb auch so viele von uns den Kontakt zu Personen, die bald sterben. Mehr als einmal habe ich den völlig absurden Satz "Ich besuche sie, wenn es ihr wieder besser geht" gehört, bezogen auf einen Menschen, der sich längst unaufhaltbar im Sterbeprozess befindet. Hier wird die Konfrontation mit der eigenen Ohnmacht gescheut. Ja, unsere menschliche Fähigkeit Trost zu spenden bleibt begrenzt. Es gibt eine natürliche und unüberwindbare Barriere zwischen Menschen, zwischen mir und meinem Gegenüber. Wir können die Seele des anderen niemals direkt erreichen. Diese Grenze kann nur Christus überwinden. Jesus ist in uns. Er berührt unsere Seele, auch und gerade dann wenn unser Leben zu Ende geht. Der Heiland ist uns näher als es Menschen vermögen. Er versteht unsere Ängste nur zu gut, hat er sie doch am Kreuz selbst erlitten. Darum kann er unsere Seele trösten, wie kein anderer. Und noch mehr wird er tun. Jesus Christus nimmt uns an der Hand, wenn wir, und sei es auch zitternd und zagend, den letzten Schritt hin zu ihm, in sein ewiges Reich gehen. Darauf dürfen wir als Christ*innen fest vertrauen. Und in diesem Sinne ende ich mit den Worten unseres Liedes:

„Welchen Trost in Todesnot, wird er meiner Seele geben, wenn sie gläubig zu ihm spricht: Herr, Herr, meine Zuversicht!“

AMEN