Als "verspätetes Weihnachtsgeschenk" sind sie in vielen Medienberichten bezeichnet worden - die erste Corona-Impfungen, die vor allem Senior*innen am 27.12. bekommen haben.
Die Verheißungen haben sich erfüllt - schneller als erwartet ist der erste Impfstoff auf dem Markt. Viele Menschen hatten schon das ganze Jahr 2020 hindurch große Hoffnungen auf ihn gesetzt. Ein frühes Gespür für Not-Wendendes und hohe Professionalität haben ein Mainzer Unternehmen an die Spitze der Impfstoff-Liferanten katapultiert.
Wie anders sah und sieht das doch mit einem HIV-Impfstoff aus! Ähnlich wie im Fall von SARS-CoV2 begannen Forscher*innen ebenfalls sehr bald, nachdem deutlich geworden war, wie gefährlich das HI-Virus ist, damit, an Impfstoffen zu forschen. Seit mehr als zwanzig Jahren hört die Welt nun regelmäßig die vermeintlich frohe Botschaft "Ein Impfstoff ist in Sicht!". Doch immer wieder folgte auf die Verheißung Enttäuschung. Den letzten herben Rückschlag vermeldete die AIDS-Forschung Anfang Februar dieses Jahres, also kurz, bevor ein anderes Virus sich zu einer weltweiten Pandemie entwickeln sollte: Eine vielversprechende Phase 3 Studie in Südafrika war abgebrochen worden, weil sich in der Gruppe der Geimpften mehr Menschen mit HIV infiziert hatten als in der Placebo-Gruppe! (Link)
Übereilt freilich wäre es, nun zu behaupten, dass die unterschiedlichen Erfolge bei Corona- und HIV-Impfstoffen doch mal wieder auf das Schönste zeigen, wie der Kapitalismus funktioniert: Die Pharma-Industrie habe einfach nicht genügend Interesse an einem HIV-Impfstoff, da dieser ja vorwiegend Menschen im globalen Süden und Minderheiten zugute käme.
Hendrik Streeck hat als Virologe immer wieder die Entwicklung der Corona-Pandemie kommentiert. Eigentlich forscht er aber seit vielen Jahren an der Uni Bonn zu HIV-Impfstoffen. Im Interview mit David Beck und Franziska Ehrenfeld vom SWR erklärt er, warum die Geschwindigkeiten so unterschiedlich sind:
Das HI-Virus mutiere noch viel schneller als SARS-CoV2, es gebe daher weltweit unzählige, sehr unterschiedliche Varianten des Virus. Wir wissen aber aus der Diskussion um die vor Kurzem in Großbritannien aufgetauchte Corona-Mutante, wie schnell Forscher*innen vor der Frage stehen können, ob ihr Impfstoff auch gegenüber dieser neuen Mutation wirkt. Bei HIV muss ein Impfstoff daher gegen möglichst viele Varianten (und zukünftige Mutationen!) Wirkung entfalten - eine Herausforderung für jede Entwickler*in!
Außerdem stehen Forscher*innen in der für die Zulassung entscheidende Phase 3 der Erprobung bei HIV-Impfstoffen im einem ungleich größeren ethischen Dilemma als bei der Forschung an Corona-Impfstoffen: In dieser Phase geht es darum, die Wirksamkeit an einer möglichst breiten Personengruppe zu erproben - normalerweise an einigen 10.000 Proband*innen. Der eine Teil der Proband*innen erhält den Impfstoff, der andere ein Placebo. Nach einer bestimmten Zeit wird untersucht, ob sich die Zahl der Infektionen in der Placebo-Gruppe signifikant von der in der Gruppe der Geimpften unterscheidet. Anders gesagt: Die Placebo-Gruppe wird bewusst einem erhöhten Risiko ausgesetzt. Die Phase 3 Tests der Corona-Impfstoffe waren und sind so angelegt, dass bei der Auswahl der Proband*innen darauf geachtet wird, dass sie zu keiner Hochrisiko-Gruppe gehören - und daher schwere oder tödlich verlaufende Krankheitsfälle möglichst ausgeschlossen werden. Doch was bedeutet die Zugehörigkeit zu einer Placebo-Gruppe im Falle von HIV, bei dem eine Infektion unbehandelt in allen Altersklassen tödlich verläuft und auf jeden Fall mit lebenslangen Folgen verbunden ist? Viele Forscher*innen schrecken daher aus nachvollziehbaren ethischen Gründen vor der entscheidenden Phase 3 Erprobung zurück...
Hendrick Streeck macht in dem erwähnten Interview den Anschein, dass er nahe davor ist, einen Phase 3 Versuch zu wagen - in Tierversuchen hat der Bonner Impfstoff offenbar eine sehr gute Wirksamkeit gezeigt. Vielleicht kann ja auch diese Verheißung im nächsten Jahr in Erfüllung gehen!
Für alle, die über die Jahre gelernt haben, mit HIV zu leben, gibt es übrigens dennoch eine frohe Botschaft: Eine HIV-Infektion ist keine Kontraindikation für eine Corona-Impfung - und sofern sie gut therapiert ist, auch kein Grund für eine negative Triage, wie die Deutsche Aidshilfe betont.