Seitdem die ersten Evangelischen Landeskirchen das Trauverbot für gleichgeschlechtliche Paare abgeschafft haben, besteht das ungelöste Problem, wie mit den Pfarrer*innen, umgegangen wird, die sich weigern, eine solche Trauung vorzunehmen. Die meisten Landeskirchen haben in dieser Frage so entschieden, dass sie diesen Geistlichen das Recht zusprechen, nur Paare verschiedenen Geschlechts trauen zu müssen, während sie eine Trauung gleichgeschlechtlicher Paare ablehnen dürfen. Auch in der Badischen Landeskirche, die die Trauung 2016 öffnete, besteht eine solche Regelung. Doch anders als in vielen anderen Landeskirchen, stößt die gesetzliche Legitimierung dieser Praxis in Baden seit langem auf deutliche Kritik. So hat etwa der Stadtkirchenbezirk Karlsruhe und die Fachgruppe Antidiskriminierung der Badischen Landeskirche die Regelung als diskriminierend beanstandet. Auch eine Gruppe von Landessynodalen hat sich dieser Kritik im Vorfeld der letzten Tagung des Kirchenparlamentes im vergangenen Monat angeschlossen und deshalb beantragt, die bisherige Regelung, die sie als "Diskriminierungsprivileg" für Pfarrer*innen bezeichnen, zu streichen. In dem Bericht aus den synodalen Beratungen, wird die Auffassung der Gruppe folgendermaßen wiedergegeben: "Bei der sexuellen Orientierung handele es sich um ein geschütztes Persönlichkeitsmerkmal. Wenn die Durchführung einer Trauung aufgrund dieses Merkmals abgelehnt wird, würde dadurch […] die Würde gleichgeschlechtlicher Paare verletzt".
Doch diese Einschätzung wird nicht von der ganzen Synode geteilt. In dem Bericht heißt es hierzu: "Ob die Ausnahmeregel tatsächlich diskriminierend ist, wird in der Synode allerdings unterschiedlich beurteilt". So fand das Anliegen der Gruppe, die das Diskriminierungsprivileg streichen wollte, am Ende der Beratungen keine Mehrheit. Stattdessen entschied sich die Synode für eine Regelung, die als "Kompromiss" bezeichnet wurde. Bei diesem vermeintlichen "Kompromiss" wurde laut Bericht "auf der einen Seite der Vorbehalt der Pfarrer/innen ernst genommen, die eine Trauung von gleichgeschlechtlichen Paaren begründet nicht durchführen wollen. Auf der anderen Seite wurde aber auch der Grundsatz der Nicht-Diskriminierung betont".
Aber was soll das bedeuten? In dem Zitat wird auf der einen Seite Pfarrer*innen das Recht zugesprochen, die Trauung gleichgeschlechtlicher Paare aufgrund von deren Geschlecht ablehnen zu können. Auf der anderen Seite wird der Anspruch erhoben, dass gleichgeschlechtliche Paare nicht diskriminiert werden dürfen. Das ist ein Widerspruch in sich, denn was soll denn die Ablehnung aufgrund des Geschlechts anderes sein als eine Diskriminierung? Im von der Synode beschlossenen Gesetz fällt dieser Widerspruch vielleicht zunächst weniger offensichtlich ins Auge, wenn dort steht: "Sieht sich die für die Trauung zuständige Person aus persönlichen Gründen nicht in der Lage, diese durchzuführen, meldet sie das Traubegehren der Dekanin oder dem Dekan. Die Dekanin oder der Dekan beauftragt eine andere Person mit der Trauung oder führt diese selbst durch. Ein diskriminierendes Verhalten ist auch im Zusammenhang mit dieser Zuständigkeitsänderung nicht statthaft". Dieser letzte Satz, der die Nichtstatthaftigkeit von Diskriminierung festschreiben will, ist nichts anderes als reine Makulatur. Das wird deutlich, wenn die Frage gestellt wird, was mit den zuvor genannten "persönlichen Gründe[n]" gemeint ist? Der Bericht beantwortet dies frappierender Weise so: "Die Formulierung 'aus persönlichen Gründen' ist bewusst offen gefasst und nicht ausschließlich auf die Frage der Trauung gleichgeschlechtlicher Paare fokussiert". Nicht ausschließlich! Also geht es im Grunde doch zumindest auch genau um diese Paare. Oder vielleicht sogar in erster Linie?
Endgültig paradox wird das Gesetz, die sogenannte Lebensordnung Trauung, schließlich dadurch, dass sie einen Grundsatz allgemeiner Gleichbehandlung bei der Trauung enthält. Der Text dazu lautet: "Alle Paare, die die Voraussetzung zur Trauung erfüllen, sind gleichberechtigt zu behandeln, unabhängig von Geschlecht, der sexuellen Orientierung, der Herkunft, des Alters oder einer Behinderung." So richtig dieser Anspruch ist, so unerfüllbar ist er, legt mensch die eben aufgezeigten weiteren Inhalte des Gesetzes zugrunde. Zusammenfassend gesagt enthält das Gesetz ein allgemeines Gleichbehandlungsgebot, erlaubt dann aber trotzdem Diskriminierung und verbietet sie schließlich wieder. Das klingt nicht nur verwirrend, das ist verwirrend. Hierin offenbart sich die ganze Halbherzigkeit, mit der sich die Badische Landeskirche (und nicht nur sie) weigert, homosexuellenfeindliche Ideologien in ihren eigenen Reihen zu bekämpfen.
Der Kern des Problems liegt offenkundig darin, dass die Synode es gar nicht als diskriminierend bewertet, wenn eine Pfarrperson ein Paar aufgrund von Persönlichkeitsmerkmalen wie der sexuellen Orientierung ablehnt. Denn genau diese Tatsache wird in der Synode ja "unterschiedlich beurteilt". Die Badische Landessynode ist blind für die Diskriminierung von Menschen, die gleichgeschlechtlich lieben. Und aus eben dieser Blindheit heraus resultiert nun ein absolut inkonsistenter Gesetzesentwurf. Der Grad der Blindheit wird besonders deutlich, wenn der Fall des Geschlechts auf andere Persönlichkeitsmerkmale übertragen wird. Stellen wir uns einmal vor, es wäre nicht um die mögliche Ablehnung von gleichgeschlechtlichen, sondern um die mögliche Ablehnung von Schwarzen Paaren bei der Trauung gegangen und die Synode hätte sich diesem Thema auf die gleiche Weise gewidmet. Dann würden wir in dem Bericht solche Sätze lesen: "Hier wurde auf der einen Seite der Vorbehalt der Pfarrer/innen ernst genommen, die eine Trauung Schwarzer Menschen begründet nicht durchführen wollen. Auf der anderen Seite wurde aber auch der Grundsatz der Nicht-Diskriminierung betont." Und konsequent müsste es dann weiter heißen: Ob eine Ausnahmeregel, die es Seelsorger*innen erlaubt, Menschen bei der Trauung aufgrund ihrer Hautfarbe abzulehnen, "diskriminierend ist, wird in der Synode unterschiedlich beurteilt".
Angesichts dessen kann mensch nur zu folgendem Schluss gelangen: Entweder die Synode misst bei der Diskriminierung aufgrund des Geschlechts und der sexuellen Orientierung mit anderen Maßstäben als bei der Diskriminierung aufgrund der Hautfarbe. Oder sie weicht den Begriff der Diskriminierung und den der Gleichbehandlung so auf, dass Pfarrer*innen jetzt aufgrund einer "persönlichen Überzeugung" Menschen auch aufgrund ihrer "Herkunft, ihres Alters oder einer Behinderung" bei der Trauung ablehnen dürfen. In beiden Fällen kann von einem Diskriminierungsverbot keine Rede mehr sein! Wer soll so darauf vertrauen können, dass die Badische Landeskirche ihn vor konkreter Diskriminierung in Schutz nimmt?
Die Badische Landessynode hat einen Versuch unternommen, der von vorne herein zum Scheitern verurteilt war. Gleichgeschlechtlich liebende Menschen nicht zu verletzen, aber auch denjenigen nicht weh zu tun, die glauben, deren homosexuelle Liebe abwerten zu müssen, das ist unmöglich. Wer Diskriminierung verhindern will, der muss denen entgegentreten, die sie ausüben. Und das geht nicht ohne Mut und ohne Konfliktbereitschaft. Anstatt dass die Synode sich an unmöglichen Kompromissen versucht, hätte sie sich lieber die Zeit nehmen sollen, sich für die tatsächliche Diskriminierung von homosexuell begabten Menschen in der Kirche sensibilisieren zu lassen. Es scheint in dem Kirchenparlament wenig Sensibilität dafür vorhanden zu sein, was Ausgrenzung und Abwertung für deren Opfer bedeutet. Dabei ist es doch nicht so schwer, sich vorzustellen, was es etwa für zwei Frauen, die sich lieben, heißt, wenn in ihrer Gemeinde gesagt wird "bei uns werden keine Lesben getraut!" Es heißt doch nichts anderes als "ihr seid hier nicht willkommen!" Dazu kann eine Kirche, die sich in der Nachfolge Christi sieht, und ihre Landessynode, nicht schweigen. Und es ist auch nicht so schwer, sich vorzustellen, was es für zwei Männer, die sich in der eigenen Gemeinde trauen lassen wollen, heißt, wenn der Gemeindepfarrer ihnen die Kirche verweigert. Es heißt doch nichts anderes, als dass ihre Liebe nicht wert sein soll, in dem Gotteshaus gesegnet zu werden.
Viele Landeskirchen, nicht nur die badische, scheinen zu meinen, sie könnten sich schon dadurch von dem Diskriminierungsvorwurf freisprechen, indem sie die Trauung durch eine andere Person ermöglichen. Aber das ist ungefähr so, wie wenn mensch einer jüdischen Frau sagt: "Es ist doch nicht so schlimm, wenn dieses Geschäft Dir als Jüdin keine Waren verkauft. Es gibt doch noch viele andere Geschäfte". Als ob das die Verletzung ungeschehen machen könnte.
Ich höre oft Einwände wie diese: Kann mensch denn Pfarrer*innen dazu zwingen, gleichgeschlechtliche Paare zu trauen? Ist es denn nicht auch für das Paar besser, von einer Pfarrperson getraut zu werden, die dies gerne macht und nicht von einer, der sich innerlich alles dagegen sträubt? Solche Fragen zeigen auf ihre Weise, wie sehr es noch an Sensibilität fehlt für das, was Diskriminierung ist und welches Leid von ihr ausgeht. Selbstverständlich ist es für ein gleichgeschlechtliches Paar besser, von einer Person getraut zu werden, die das aus vollem Herzen tut als von einer Person, die eine tiefe innere Abneigung gegen gleichgeschlechtliche Liebe hat. Aber das Problem, das durch diese Fragen verschleiert wird, ist doch, dass es überhaupt Pfarrer*innen gibt, die so eine tiefe Abneigung gegen Homosexualität haben, dass es ihnen eine offenbar unerträgliche Vorstellung ist, ein gleichgeschlechtliches Paar zu segnen. Aber was ist so schrecklich daran, zwei Männer, die sich lieben, für das gemeinsame Leben zu segnen? Oder was ist so unvorstellbar an dem Gedanken, dass Gott freundlich auf zwei Frauen sieht, die miteinander durch gute und schlechte Tage gehen wollen?
Ein anderer, häufig vorgebrachter Einwand lautet: Mensch kann doch denen, die beim Thema Homosexualität eine "andere Meinung" haben, diese nicht verbieten. Wie so oft sehen sich hier ausgerechnet diejenigen in ihrer Freiheit bedroht, die anderen die Freiheit beschneiden wollen - nämlich dann, wenn mensch ihnen dabei Grenzen setzt. Es geht ja auch gar nicht darum, Meinungen zu verbieten. Aber wer den Pfarrberuf wählt, sollte sich bewusst sein oder werden, dass in diesem Beruf das Gebot der Gleichbehandlung eingeschrieben ist. Wer sich dazu nicht in der Lage sieht, Menschen unabhängig von ihrer Hautfarbe, ihrem Geschlecht, ihrem Alter, ihrer sexuellen Orientierung oder einer Behinderung gleichwertig zu behandeln, der wird sich fragen lassen müssen, ob er sich denn den richtigen Beruf ausgewählt hat. Denn der Pfarrberuf hat eine unhintergehbare seelsorgliche Seite. Und als Seelsorger*in kann keine*r den persönlichen Pfarrdienst nur für verschiedengeschlechtlich liebende Menschen anbieten.
Muss mensch den Mitgliedern der Landessynode nicht zugestehen, dass sie wenigstens versucht haben, einen Schritt weiter in Richtung Gleichstellung zu gehen? Nun, wenn die Landessynode den Satz "ein diskriminierendes Verhalten ist auch in diesem Zusammenhang nicht statthaft" in irgendeiner Weise ernst meint, dann sind der Pfarrperson in der Begegnung mit gleichgeschlechtlichen Paaren künftig offenbar Grenzen gesetzt. Das gilt umso mehr, als die Lebensordnung Trauung ja auch noch ein allgemeines Gleichbehandlungsgebot enthält. Dass die Landessynode es durch die aufgezeigten Widersprüche offen lässt, wo diese Grenzen verlaufen, und offen lässt, ob es ihr ernst ist, dass diese Grenzen auch wirksam gezogen werden, ist scharf zu kritisieren. Aber die Unklarheit, die die Landessynode mit ihrem Beschluss bei gleichgeschlechtlich liebenden Menschen hinterlässt, ist immerhin auch eine Unklarheit, die sie bei Pfarrer*innen mit homosexuellenfeindlichen Einstellungen hinterlässt. Wie die ersteren sich fragen müssen, ob sie in einer konkreten Diskriminierungssituation in ihrer Gemeinde von der Landeskirche geschützt werden oder nicht, so müssen sich letztere jetzt auch fragen, was die Landeskirche ihnen durchgehen lässt und was nicht. Mit anderen Worten: Es kommt nun darauf an, wie das, was die Landessynode beschlossen hat, ausgelegt und umgesetzt wird. Es bleibt zu hoffen, dass in den Kirchenleitungen in Baden und den anderen Landeskirchen die Zahl derer wächst, die eindeutig Partei für die ergreifen, die ihren Schutz benötigen, nämlich für die, die diskriminiert werden. Denn es ist offensichtlich, die evangelischen Landeskirchen haben ein Problem mit Homosexuellenfeindlichkeit, ein so großes, dass es ihnen schwerfällt, offen darüber zu reden. Das ist auch nicht verwunderlich, wenn diese unheilvolle Praxis doch über so viele Jahrhunderte kirchliches Leben und theologisches Denken geprägt hat, mit verheerenden Folgen. Es ist Zeit, das zu ändern.