Trans* und Kirche
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Reicht es aus, wenn Sexualethik und Pastoral sich nur auf das biologische Geschlecht fokussieren? Die AG Schwule Theologie e.V. versuchte mit ihrer Jahrestagung 2020 den Blick zu weiten.

Conchita Wurst am Kreuz? Jesus in Frauenkleidern? - Nein, das Intro-Bild zeigt die Heilige Kümmernis. Ihre Verehrung reicht zurück bis ins 14. Jahrhundert. Für Gerhard Schreiber von der TU Darmstadt ein deutliches Zeichen dafür, dass zumindest in der Volksfrömmigkeit über lange Zeit non-binäre Phänotypen keineswegs anstößig waren.

Die Geschichte der Heiligen Kümmernis (oder Wilgefortis aus virgo fortis, starke Jungfrau) ist schnell erzählt: Die Tochter eines heidnischen Königs bekehrt sich zum Christentum und sträubt sich gegen ihre Zwangsverheiratung durch den Vater. In ihrer Not fleht sie zu Christus, er möge ihr doch einen Bart wachsen lassen und sie dadurch so entstellen, dass kein Mann sie mehr anrührt. Ihr Gebet wird erhört, die Hochzeit platzt - und der erboste Vater beschließt, dass seine entstellte Tochter denselben Tod sterben soll wie ihr Heiland, zu dem sie gefleht hat. Bis in die Zeit der Aufklärung hinein war die Kümmernis eine offenbar recht beliebte Heilige.

In der Diskussion um die Stellung von Trans*Menschen in den Kirchen kommt die Heilige Kümmernis nun langsam,, aber sicher wieder zum Vorschein. Erinnert sie doch daran, dass nicht das biologische Geschlecht oder die primären Geschlechtsmerkmale die Heiligkeit einer Person ausmachen, sondern ihre Haltung zu Christus. Der eine oder andere Transmann mag sich so wohl in der Transition mit dieser vergessenen Heiligen identifizieren...

Unter dem Tagungstitel "Jenseits von Mann und Frau" nahm die AG Schwule Theologie e.V. es sich in diesem Jahr vor, die Binarität von Mann und Frau einer theologischen Kritik zu unterziehen.. Breiten Raum nahm während der Tage im Waldschlösschen vom 9. bis 11. Oktober freilich zunächst die Begriffsbestimmung ein: Was ist eigentlich Trans*? Die Referierenden waren sich einig, dass es bei Trans* zunächst um das biologische Geschlecht gehe und nicht um die sexuelle Orientierung. Der Begriff "Transgender" sei daher zutreffender als die Bezeichnung "Transsexuelle". Trans* Coming Out beginnt mit der Erfahrung, im falschen biologischen Körper zu leben. Ein Transmann kann dann sowohl schwule als auch heterosexuelle Kontakte und Beziehungen leben - oder auch bisexuelle. Trans* und Queer sei daher nur insofern eine sinnvolle Schnittmenge, als beides die Heteronormativität des Zusammenlebens hinterfrage. Die eben beschriebene Differenzierung macht auch deutlich, dass Trans* und Inter noch einmal zwei unterschiedliche Zuschreibungen sind, da Intersexuelle sich keinem biologischen Geschlecht eindeutig zuordnen (lassen).

Welche kuriosen und lebensfernen Folgen die Fokussierung auf das biologische Geschlecht nach sich zieht, machte Gerhard Schreiber anhand der römisch-katholischen Ehe-Kasuistik deutlich, die ich hier gar nicht im Detail wiedergeben kann. Wie umgekehrt eine trans*wertschätzende Pastoral und Sexualethik aussehen könnte, blieb weitgehend offen. Ausgangspunkt dafür könnte auf jeden Fall die Einsicht sein, dass vor Gott jedes Leben "wunderbar gemacht" ist, wie der Beter des 139 erkennt (v. 14). Und queere Seelsorger*innen, die als solche erkennbar sind, könnten wir Trans*Menschen zu Ansprechpartner*innen werden, denen sie aufgrund der eigenen Auseinandersetung mit ihrer Geschlechtlichkeit vertrauen, wie Mari Günther vom Bundesverband Trans* betonte. Vielleicht sollte die Heilige Kümmernis Einzug in die queeren Pfarrbüros halten...

Weblinks:
Gerhard Schreiber
Bundesverband Trans*
Predigt von Wolfgang Schürger zu Psalm 139 anlässlich der Tagung
AG Schwule Theologie e.V.