"Was darf man überhaupt noch sagen?" Dieser Ausspruch ist häufig zu vernehmen, wenn diskriminierende Sprache als solche benannt, kritisiert und/oder ersetzt wird. Jüngstes Beispiel hierfür ist die öffentliche Diskussion nachdem die Firma Knorr beschlossen hat, eines ihrer Produkte künftig nicht mehr mit dem antiziganistischen Begriff "Zigeunersauce" zu bezeichnen. Neben vielen zustimmenden Reaktionen hat dieser Schritt auch ein Echo des Unverständnis ausgelöst, das in der eingangs zitierten Frage kulminiert. Nicht nur im Bereich des Rassismus sind solche Phänomene zu beobachten, auch im Feld des Geschlechts und der Sexualität trifft mensch sie häufig an. Etwa dann, wenn moniert wird, dass nicht alle Geschlechter in der Sprache gleichermaßen repräsentiert sind. Verwiesen sei hier auf die erbitterten Diskussionen um den Gender-Star. Oder aber, wenn das Adjektiv "schwul" benutzt wird, um Dinge dadurch abzuwerten, also wenn beispielsweise von einem "schwulen Auto" die Rede ist, um zu signalisieren, dass dieses Fahrzeug von schlechter Qualität ist. Werden die Akteur*innen solcher Sprechakte auf den diskriminierenden Charakter ihrer Äußerung hingewiesen, reagieren sie oft mit der Frage: "Was darf man überhaupt noch sagen?", was den Ball wieder zurück spielt an diejenigen, die Kritik üben. Doch was soll diese Frage bedeuten und wie ist darauf angemessen zu antworten? Hierzu ist es zunächst einmal wichtig, sich genau anzuschauen, was die Person, die fragt, was denn noch sagbar sei, damit bezweckt.
Die juristische Antwort auf die Frage ist relativ simpel. In Deutschland darf jeder Mensch fast alles sagen und dafür sei unserem Herrn gedankt, denn es ist bei Weitem nicht in jedem Land so. Die Meinungsfreiheit deckt hierzulande bis auf ganz wenige Ausnahmen, worunter die Tatbestände der Beleidigung oder der Volksverhetzung fallen, im Grunde beinahe jede Äußerung ab. Das heißt, solange ich meine Nachbarin nicht gerade als "Drecksau" tituliere oder gar den Holocaust leugne, kann ich alles sagen, was ich will. Nun gibt es neben der juristischen allerdings noch eine weitere zentrale Instanz, die regelt, was in unserer Gesellschaft sagbar ist und was nicht. Gemeint ist die Instanz sozialer Anerkennung bzw. ihr Gegenpart die soziale Sanktion. Die Instanz der sozialen Sanktion straft nicht über manifeste Strafen, wie Geldzahlungen oder Freiheitsentzug, sondern über Missbilligung. Genau diese Missbilligung scheint in der überwiegenden Zahl der Fälle, in denen die Frage nach dem was denn noch gesagt werden darf der eigentliche Ausgangspunkt zu sein. Daher müsste die Frage, die hier verhandelt wird, korrekter heißen: Was darf ich noch sagen, ohne dafür Missbilligung oder Kritik zu erfahren?
Es gibt mindestens zwei Gruppen von Menschen, die diese Frage stellen und das mit sehr verschiedenen Motiven. Die erste Gruppe formuliert sie schlichtweg als einen Vorwurf. Ein Vorwurf, der beinhaltet, vermeintlich nichts mehr frei sagen zu dürfen und grundlos in der freien Meinungsäußerung eingeschränkt zu werden. Was nicht den Tatsachen entspricht, denn diese Menschen verwechseln ihr Recht auf freie Meinungsäußerung mit dem Wunsch danach alles sagen zu dürfen ohne dafür kritisiert zu werden. Während Ersteres ein legitimes und unangetastetes Recht ist, ist das Zweite unhaltbar, weil es die Meinungsfreiheit des anderen beschneidet, ich habe dies bereits in einem eigenen Artikel ausführlich dargelegt. An einem Dialog sind die Angehörigen dieser ersten Gruppe oft nicht interessiert. Sie wollen keine Klärung, sondern einfach ohne jede soziale Sanktion weiter diskriminieren. Die aufgeworfene Frage, nach dem was sie noch sagen dürfen, gemeinsam zu erörtern, macht mit diesem Personenkreis meines Erachtens nur sehr begrenzt Sinn. Denn wer eine Frage nicht als Frage, sondern als Vorwurf formuliert, der will nur eine Bestätigung seiner Position hören und keinen ernsthaften Dialog eingehen, der zu einem Überdenken seiner Einstellung führen könnte.
Es existiert jedoch auch eine zweite Gruppe und die scheint die Frage, was sie denn noch sagen darf, ernster zu meinen. Es sind Menschen, die tatsächlich irritiert darüber sind, dass mensch mehr oder weniger plötzlich nicht mehr "Zigeunersauce" sagt, statt von "Bürgern" von "Bürger*innen"spricht oder das Adjektiv "schwul" nicht länger zur Abwertung von Dingen nutzt. Oft kommt es zwischen dieser zweiten Gruppe und denen, die sie kritisieren, zu einer sehr kurzschlussartigen und stereotypen Reaktionsabfolge. Die eine Seite erklärt diejenigen, die die Äußerungen getätigt haben, seien von ihrer Einstellung her rassistisch, anti-homosexuell, frauenfeindlich etc.. Die anderen fühlen sich davon angegriffen, ja sogar beleidigt, denn sie verorten solche Einstellungen nicht bei sich und können sie auch zu den von ihnen gemachten Äußerungen nicht in Beziehung setzen. Am Ende kommt es zu keinem klärenden Dialog, sondern nur dazu, dass beide Seiten in Unverständnis und Zorn für den jeweils anderen auseinander gehen.
Ich kann eine gewisse Orientierungslosigkeit in der Frage, was denn überhaupt noch gesagt werden darf, ohne dafür soziale Missbilligung zu kassieren, grundsätzlich erst mal nachvollziehen. Ich hatte das Privileg, mich in meinem Studium mit Phänomenen wie Rassismus, anti-genderistischen und homosexuellenfeindlichen Ideologien intensiv auseinandersetzen zu können. Viele Menschen hatten dieses Privileg nicht. Auch wenn es mittlerweile vereinzelte Leuchtturmprojekte wie Schule ohne Homophobie oder Schule ohne Rassismus gibt, ist unser Schulsystem bis heute immer noch eines, das Vorurteile und Stereotype eher fördert als sie aktiv zu bekämpfen. Die Defizite des Schulsystems sind dabei keine Singularität, nein, sie sind Ausdruck einer Gesellschaft, die immer noch auf Mechanismen gründet, die Menschen auf Grund ihres Geschlechts, ihrer Herkunft, der Tönung ihrer Haut und vielem mehr ausgrenzt und sich dessen in weiten Teilen weder gewahr werden will, noch die Geschichte dieser Diskriminierung aufzuarbeiten bereit ist. Einen Beleg hierfür bietet der Blick auf das was diese Gesellschaft als Spitzenpositionen definiert. Warum gibt es im Deutschen Bundestag fast keine Schwarzen? Wo sind Frauen in den Aufsichtsräten DAX- notierter Unternehmen? Wo sind die Profi- Fußballspieler, die Männer lieben?
Ist also mangelnde Bildung der Schlüssel? Kann die Antwort auf unsere Frage sein: Bilde dich nur, dann weißt du auch, was du sagen darfst und was nicht? Und können Bildungsdefizite vielleicht sogar eine Entschuldigung für ausgrenzende Äußerungen sein? Hier ist zu allererst festzuhalten, dass selbstverständlich auch Äußerungen, die nicht in einer bewussten rassistischen, oder wie auch immer gearteten abwertenden Absicht formuliert werden, selbstverständlich diskriminierende Aussagen bleiben. Es kommt nicht auf die Intention, sondern auf die Wirkung an. Trete ich jemanden auf den Fuß, dann empfindet die Person, die getreten wurde, ja auch dann Schmerzen, wenn es sich dabei um ein Versehen handelt. Und es nützt der Getretenen in ihrem Schmerz dann recht wenig, wenn ich schlicht erkläre, dass ich sie ja gar nicht absichtlich treten wollte und die Sache damit als erledigt betrachte. Der Schmerz ist da. Hilfreich ist es zu verstehen, wie das passieren konnte, dafür um Verzeihung zu bitten und zu überlegen, wie es in Zukunft vermieden werden kann. Das heißt, um wieder auf Rassismus und ähnliche Phänomene zurückzukommen, diejenigen, die wirklich keine rassistischen Absichten haben, sollten Interesse zeigen, ihre rassistischen Äußerungen künftig einzustellen. Das ist ja auch der Maßstab, an dem sich messen lässt, ob der ausgrenzende Sprechakt wirklich nur unbewusst und tatsächlich nicht so gemeint war.
Soll das nun also heißen, dass ich mich in alle möglichen diskriminierenden Diskurse einlesen muss? So könnte nun die Gegenfrage derer lauten, die nicht mehr wissen, was sie noch sagen dürfen, ohne soziale Sanktionen zu riskieren. Die Antwort hierauf lautet: Nein oder nein, nicht unbedingt. Sicherlich kann es nicht schaden, beispielsweise Kenntnis darüber zu haben, dass beispielsweise das Wort oder besser die Kategorie "Neger" eingeführt wurde, um Menschen auf diese Weise systematisch zu entmenschlichen, ihnen also den Status als ebenbürtige Geschöpfe abzusprechen und sie wie Tiere zu versklaven, zu misshandeln, zu foltern, zu vergewaltigen und zu ermorden. Das ist wichtig zu wissen, weil genau dieser Versuch der Entmenschlichung mit jedem neuen Gebrauch des Wortes wieder evoziert wird. Einen ganz ähnlichen Mechanismus, wenn auch mit anderen Konsequenzen, hat die Erfindung des Subjekts des "Homosexuellen" hervorgebracht, weshalb ich mit dieser Personenbezeichnung auch zunehmende Schwierigkeiten habe. Also: Ja, Bildung ist ein wichtiger Faktor und er kann helfen, aber nein, Bildung ist nicht das Allheilmittel. Der Apostel Paulus schreibt im ersten Brief an die Gemeinde in Korinth: "Und wenn ich prophetisch reden könnte und wüsste alle Geheimnisse und hätte alle Erkenntnis und allen Glauben, so dass ich Berge versetzen könnte, und hätte die Liebe nicht, so wäre ich nichts." (1. Korinther 13, 2). Vor dem Hintergrund dieses Zitates sei an hochgebildete Menschen erinnert, deren Sprache und Einstellungen von Rassismen, Anti-Genderismen etc. nur so strotzen. Der zentrale Faktor ist also nicht das Wissen, sondern die Liebe.
Letztlich ist es das, was denen, die unsere hier behandelte Frage stellen, zu antworten ist: Wenn du wissen willst, was du noch sagen darfst, dann solltest du nicht dich selbst in den Mittelpunkt dieser Frage stellen, sondern die andere Person. Und um das zu tun, mach dir zu allererst klar, wer die andere Person, wer dein Gegenüber ist: Ein geliebtes Kind Gottes. Und diesem Kind, deinem Geschwister, sollst du versuchen mit eben der Liebe zu begegnen, die der Schöpfer dir entgegenbringt. Es geht also nicht darum, eine von außen aufgezwungene Regel zu befolgen, die es nur erst einmal mit dem Geist zu verstehen gilt und für deren Einhaltung du dann ohne Sanktion bleibst. Es geht um eine Veränderung deines Herzens. Es geht darum von der Frage danach was darf ich noch sagen zu der Frage danach, was ich aus Liebe zu meinen Geschwistern nicht mehr sagen will zu gelangen. Damit das gelingen kann, hat uns unser Herr und Heiland Jesus Christus in der Bergpredigt einen wichtigen Leitsatz gegeben: "Alles nun, was ihr wollt, dass euch die Leute tun sollen, das tut ihr ihnen auch! Das ist das Gesetz und die Propheten" (Matthäus 7,12). In unserer Alltagssprache wird dieses Zitat, die sogenannte Goldene Regel, oft in die folgende leichter verständliche Form übertragen: "Was du nicht willst, dass man dir tu, das füg auch keinem anderen zu". Jesus gibt uns hier die eine klare und genial einfache Weisung bezüglich der Frage, was wir sagen beziehungsweise tun dürfen oder sollten, ohne andere dadurch zu verletzen.
Als ich noch ein Kind war und die "Negerküsse" aus den Regalen verschwanden und durch Schokoküsse ersetzt wurden, da habe ich noch nicht verstanden, wieso das geschieht. Es war mir auch nicht so wichtig, ich konnte mit den Schokoküssen gut leben und habe auch schon früher nicht zu den Menschen gehört, deren Seelenheil scheinbar davon abhängt, diese Süßigkeit in der alten rassistischen Weise zu benennen. Anders ging es mir, als ein Junge aus meiner Klasse, ich muss etwa 14 gewesen sein, einen Film, der am Wochenende im Fernsehen gelaufen war, als "Schwuchtel-Film" titulierte. Ja, das tat weh. Denn es traf mich. Hier wurde eines meiner innersten Wesensmerkmale, nämlich die Art, wie ich liebe und begehre in abschätziger Weise zu verbrähmen versucht. Und das war bei Weitem nicht das erste und einzige Mal, dass ich solche Erlebnisse hatte. Doch so schmerzhaft diese Erfahrungen auch gewesen sind, so dankbar bin ich Gott für sie auf eine gewisse Weise. Nein, ich werde nie nachempfinden können, wie es ist wegen meiner Hauttönung oder wegen meines weiblichen Geschlechts diskriminiert zu werden, aber trotzdem weiß ich, eben auf Grund der Diskriminierung, die ich selbst erlebt habe, wie es ist, wegen eines bestimmten Merkmales meiner gottgegebenen Geschöpflichkeit angegangen zu werden.
Es liegt ein Segen darin, sich seiner eigenen verletzlichen Stellen gewahr zu werden. Diese Stellen können ganz unterschiedlich sein. Es ist letztlich nicht relevant, um welche körperlichen, psychischen, religiösen, sozialen, ökonomischen, sprachlichen, ethnischen oder welche Eigenheiten der Person auch immer es sich handelt. Wichtig ist, dass jeder Mensch, egal wie normkonform er nach außen auch wirken mag, Aspekte aufweist, die ihn verletzlich für Diskriminierung machen. Wenn du aus diesem Wissen und den damit verbundenen Erfahrungen nun die Empathie entwickelst, dass es deinem Gegenüber genau so gehen kann -, wenn auch aus anderen Gründen - , dann kannst du zu einer neuen Herzenshaltung gelangen, die den anderen in seiner Verletzlichkeit annimmt. Dafür brauchst du kein halbes Studium der Kolonialgeschichte oder psychiatrischer Sexualitätsdiskurse, sondern kannst einfach annehmen, dass es Menschen gibt, die verletzt werden können, genauso wie du, und es wird dir ein Anliegen des Herzens werden, ihren Forderungen nachzukommen, das was sie immer wieder verletzt wegzunehmen. Du bist dann an dem Punkt, für den anderen das zu tun, von dem du möchtest, dass es auch dir getan werden soll, so wie es uns Jesus Christus sagt. Ich wünsche uns allen, dass wir ein solches Herz entwickeln können. Gott stärke uns dafür.