Weil er einen Mann liebte, wurde Pfarrer Friedrich Heinrich Klein 1942 während des nationalsozialistischen Terrorregimes zu einer Gefängnisstrafe verurteilt und später unter dem Deckmantel der Frontbewährung in den Tod geschickt. Statt ihren Bruder zu schützen, hat ihn die damalige Kirchenleitung seines Amtes enthoben. Über acht Jahrzehnte später forderte der Gemeindekirchenrat der Immanuel-Gemeinde im Prenzlauer Berg, der alten Wirkstätte von Pfarrer Klein, dessen Rehabilitation. Diese bemerkenswerte Initiative hatte nun Erfolg. In einem Gottesdienst anlässlich der Rehabilitierung von Pfarrer Klein, der am 01. September in der Berliner Immanuel Kirche stattfand, wurde des Geistlichen und seines Schicksals gedacht. Dr. Christian Stäblein, Landesbischof der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz (EKBO), ging in seiner Predigt auf die Verfehlung, die die Kirche an ihrem Bruder begangen hat, ein und verlas später die offizielle Rehabilitierungserklärung der Kirchenleitung.
Sowohl in der Erklärung der Kirchenleitung als auch in der Predigt des Landesbischofs wird nicht nur das Unrecht bereut, das Pfarrer Klein seitens der Kirche angetan wurde, sondern darüber hinaus auch das Unrecht, das die Kirche generell Menschen die gleichgeschlechtlich lieben antat und antut. Hierfür findet die Kirchenleitung sehr deutliche Worte, die in dieser Klarheit seitens landeskirchlicher Amts- und Verantwortungsträger*innen viel zu selten ausgesprochen werden. Besondere Aufmerksamkeit verdient der folgende Absatz, in dem es heißt:
"Menschen zu diskriminieren und Menschen wegen ihrer sexuellen Orientierung zu diskriminieren, ist Sünde. Gleichgeschlechtliche Orientierung zu verurteilen ist nicht vereinbar mit dem Bild vom Menschen, wie es die Auslegung der Schrift lehrt. Die evangelische Kirche ist Teil einer langen leidvollen Geschichte der Ausgrenzung und hat Menschen mit gleichgeschlechtlicher Orientierung Schutz und Anerkennung verweigert. Sie hat nicht nur zu dem Unrecht, das auch durch die jeweilige staatliche Rechtsprechung erfolgte, geschwiegen. Sie hat durch Lehre und Praxis Menschen in schwere persönliche, leibliche und spirituelle Not gebracht."
Es ist ein starkes Zeichen die Diskriminierung auf Grund der Sexualität endlich klar als das zu benennen, was sie tatsächlich ist, nämlich Sünde. Theologisch ist diese Einschätzung zweifelsohne keine neue Erkenntnis, trotzdem bleibt es ein nicht zu unterschätzendes Signal, dass sie endlich von einer deutschen Kirchenleitung in dieser Klarheit öffentlich ausgesprochen und vertreten wird. Zu hoffen bleibt nun freilich, dass es sich bei diesen Worten um ein Bekenntnis des Herzens und der Taten und nicht nur um eines der Lippen handelt. Bereits in der Vergangenheit wurde um Vergebung für die Sünden der Kirche an Menschen die gleichgeschlechtlich lieben, gebeten, ohne dass dem nennenswerte Handlungen gefolgt wären. Hier sei an den gescheiterten Versuch erinnert, den der württembergische Landesbischof July unternommen hat. Er konnte in seiner Ansprache keine substanziellen Veränderungen benennen, die Buße und Umkehr seiner Landeskirche glaubhaft gemacht hätten. Stäblein äußert die wichtige Erkenntnis, dass Kirche nicht nur durch Praxis, sondern auch durch Lehre sündigt. Ein Satz, der programmatisch für alle evangelischen Landeskirchen und deren Umgang mit der Schöpfungsvielfalt der Sexualitäten und Geschlechter sein sollte. Wer das als richtig erkannt hat, kann beispielsweise Pfarrer*innen nicht erlauben, dass sie mit Berufung auf diese Lehre, die zur Sünde erklärt wird, Menschen diskriminieren, etwa indem ihnen kirchliche Gesetze das Recht einräumen, gleichgeschlechtlichen Paaren die Trauung zu verwehren, so wie es leider in fast allen evangelischen Landeskirchen immer noch der Fall ist.
Ein gewisses Misstrauen ist angebracht. Trotzdem spricht aus den Worten Stäbleins eine große Demut. Er betont bewusst, dass er und die EKBO sich auf dem Weg der Buße befinden. Darum, so macht er weiter deutlich, ist es auch nicht das Ansinnen der Kirche, mit dem Bekenntnis der Schuld einen Schlusspunkt zu setzen. Viel mehr beginnt der Prozess von Aufarbeitung und Umkehr erst. Das heißt, die Bitte um Vergebung ist keine Bitte, deren wahrer Zweck es ist, sich vor der Öffentlichkeit die Hände reinzuwaschen, nein, sie ist verbunden mit einer Selbstverpflichtung. Konkret will die EKBO bis zum Sommer 2021 ein Bußwort beziehungsweise eine theologische Erklärung erarbeiten, wo das begangene Unrecht behandelt wird. Zudem soll eine wissenschaftliche Aufarbeitung zum Thema Homosexualität und Pfarramt im Bereich der EKBO und ihrer Vorgängerkirchen geprüft sowie eine Anlaufstelle für Betroffene und deren Angehörige eingerichtet werden.
Deutlich zu kritisieren ist an der Erklärung jedoch, dass dort zwar ausdrücklich begrüßt wird, dass Menschen ihre Diskriminierungserfahrungen thematisieren, gleichzeitig aber suggeriert wird, dass solche Erfahrungen gegenwärtig nur noch, so wörtlich, "vereinzelt" gemacht werden. Hier stünde es der Kirchenleitung gut an, die eigenen Worte ernst zu nehmen und die Haltung der Demut nicht vorschnell zu verlassen. Wenn das Thematisieren, von dem in der Erklärung die Rede ist, im Sinne eines Zuhörens der Verantwortlichen gemeint ist, dann sollte das Ergebnis dieses Zuhörens nicht schon, bevor es begonnen hat, beendet werden. Mit anderen Worten: Ob die Erfahrung der Diskriminierung nur noch vereinzelt gemacht wird, das kann, wenn überhaupt, nur die gewonnene Erkenntnis nach einem solchen Prozess des Zuhörens sein. Ansonsten werden die, die reden wollen, durch ein vorschnelles Urteil derer, die aus einer Machtposition heraus sprechen, erneut zum Schweigen gebracht. Insofern wäre es sicher auch angebracht, die wissenschaftliche Aufarbeitung des Unrechts an Menschen, deren Identität nicht dem Bild der heteronormativen Zwangsschablone entspricht, über das geplante Maß auszuweiten. So sollte die gegenwärtige Diskriminierungssituation aller Kirchenglieder bezüglich Sexualität, Geschlecht, aber auch anderer Kategorien untersucht und daraus Maßnahmen einer aktiveren kirchlichen Anti-Diskriminierungspolitik abgeleitet werden.
Die wissenschaftliche Aufarbeitung des begangenen Unrechts muss auch in einem weiteren Punkt dringend ergänzt werden. Richtiger Weise bekennt Stäblein die Schuld zu Zeiten des NS-Terrorregimes geschwiegen zu haben. Dies ist allerdings nur ein Teil der kirchlichen Schuld. Es ist nicht allein die Feigheit, nicht laut geschrien zu haben, dort wo entrechtet, gefoltert und gemordet wurde, die der Kirche vorzuhalten ist. Der noch größere Schuldanteil der Kirche liegt darin, dass sie durch ihre eigene homosexuellenfeindliche Lehre der heteronormativen Sexualitäts- und Geschlechterideologie des NS-Regimes mit den Boden bereitet hat. Sich dieser Verstrickung bewusst zu werden, könnte die EKBO auf ihrem Weg zur Buße ein gutes Stück voranbringen. Aus den Ergebnissen einer solchen Forschung könnten Konsequenzen gezogen werden, die die Kirche künftig besser davor bewahren, sich an der Verbreitung menschenverachtender Ideologien zu beteiligen, Konsequenzen, die sie befähigen, sich diesen Ideologien mit all ihren Mitteln entgegen zu stellen. Dies ist in einer Zeit, in der wir wieder verstärkt erleben, dass neu-rechte Bewegungen versuchen ihr Tun mit Verweis auf den christlichen Glauben zu begründen und Einfluss auf die Kirchen zu nehmen, ganz besonders wichtig.
Am Ende der Erklärung heißt es: "Wenn ein Glied am Leib Christi leidet, leidet der gesamte Leib". Ein Satz, der auf den Punkt bringt, warum Diskriminierung, egal welcher Art, immer alle Menschen, die Jesus Christus nachfolgen, angeht. Und es ist ein Satz, der den Versuch, das legitime Streben, nicht diskriminiert zu werden, als Partialinteresse zu verbrämen, entlarvt als Verweigerung der Solidarität. Sicher werden wir nie alles Leid auf dieser Welt beenden können, aber als Christ*innen sind wir aufgerufen, Leid dort zu mindern wo wir es sehen. Gut, dass sich die EKBO dieser Aufgabe annimmt. Gott, der Herr stärke ihre Verantwortlichen und alle anderen Glieder für dieses segensvolle Werk.