Vor knapp drei Wochen hat der Deutsche Bundestag das Gesetz zum Schutz vor Konversionsbehandlungen verabschiedet. Die Reaktionen hierauf fielen unterschiedlich aus. Während etwa der Lesben- und Schwulenverband in Deutschland (LSVD) das Gesetz scharf kritisiert und mit der Note ungenügend bewertet, begrüßen die Lesben und Schwulen in der Union (LSU) den Schritt auf ihrer Facebook-Seite ausdrücklich. Ich habe mich umgehört, was wichtige Vertreter_innen der queer-christlichen Community von dem Gesetz halten, dazu sprach ich mit der evangelikal geprägten Theologin und Menschenrechtsaktivistin Julia Monro, die die Deutsche Gesellschaft für Transidentität und Intersexualität e.V. unterstützt; mit dem Vorstand des Vereins Kreuzweise-Miteinander e.V., dessen Ziel es ist, in Kirche und Gesellschaft Vorurteile gegenüber LSBTTIQ abzubauen; mit Michael, entschiedener Christ, Sohn eines Missionars, Bibelschüler, aktives Mitglied bei Zwischenraum e.V. und ein Mensch, der selbst zwei sog. Konversionstherapien erlebt hat; mit Maike Pfuderer, der stellvertretenden Sprecherin der Bundesarbeitsgemeinschaft Lesbenpolitik von BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie mit dem Vorstandsmitglied von Homosexuelle und Kirche e.V. (HuK), Thomas Pöschel.
Albrecht: Das Gesetz zum Schutz vor Konversionsbehandlungen ist nun verabschiedet und wird bald in Kraft treten. Was glaubst Du wird sich konkret dadurch verändern?
Monro: Ich stelle immer wieder fest, dass es Menschen gibt, denen es gar nicht bewusst ist, dass einige Gruppierungen immer noch versuchen, die sexuelle Orientierung und geschlechtliche Identität als therapiebedürftige Krankheit zu behandeln. Das Gesetz schafft in der Gesellschaft und insbesondere auch bei Kirchenvertretungen ein neues Bewusstsein, dass solche altertümlichen Weltanschauungen einen nachhaltigen Schaden anrichten und dass hier tatsächlich eine reelle Notwendigkeit besteht, solche Maßnahmen zu untersagen. Alleine durch die Tatsache, dass dieses Gesetz nun existiert, wurde ein Problem von Minderheiten zu Tage gefördert, welches oft im Verborgenen blieb. Diese Sichtbarkeit ist ein großer Gewinn für die queere Community. Ich habe von Gruppen erfahren, die den Livestream im Bundestag verfolgt haben und nach der Abstimmung in großem Jubel ausgebrochen sind, weil ein lange bestehendes Leid nun endlich beendet wird. Gleichzeitig verstehe ich es als Auftrag an die Kirchen, sich diesem Thema anzunehmen und korrekt aufzuklären. Wenn man in der Kirchengeschichte zurückblickt, dann waren die Kirchen oftmals die letzte Bastion, wenn es darum ging, Menschenrechte durchzusetzen (Hexenverbrennung, Sklaverei). Es ist traurig, dass es per Gesetz entschieden werden muss. Eigentlich sollte es andersrum sein.
Vorstand Kreuzweise-Miteinander: Der Vorstand des Vereins glaubt nicht daran, dass sich durch das Gesetz viel ändern wird. In entsprechenden Gruppen wird der Begriff "Therapie" durch "Seelsorge" ausgetauscht und dann ungehindert weitergemacht wie bisher. Das Gesetz lässt viel zu viele Ausnahmen zu. Wie bei vielen anderen Angelegenheiten, die die Community betreffen, konnte sich auch hier die Bundesrepublik nicht klar und deutlich dagegen aussprechen, dass Konversionstherapie für alle Bevölkerungsgruppen verboten wird. Alleine der Passus, dass Eltern weiterhin ihre queeren Kinder zu heilen versuchen dürfen, ist ein Affront gegen die sexuelle Selbstbestimmung. Gerade in diesem Alter sind die Kinder auf die Fürsorge und den Beistand ihrer Erziehungsberechtigten angewiesen und dürfen nicht aufgrund ihrer sexuellen Orientierung auf dem Altar von Eitelkeit, Unwissenheit und gesellschaftlicher Miss- und Verachtung geopfert werden.
Michael: Ich glaube es ändert sich bereits etwas. Stimmen von Gegnern werden lauter. Christen am konservativ-rechtem Rand fühlen sich vermehrt in ihrer Meinungsfreiheit eingeschränkt und gehen demonstrieren. Der Verein "Bruderschaft des Weges" setzt sich als Verein in die Schweiz ab. Doch es wird auch mehr über Sinn und Unsinn dieser Handlungen diskutiert und diese werden hinterfragt. Ich finde es sehr gut, dass "Konversionstherapien" nicht beworben werden dürfen.
Pfuderer: Entscheidend ist, dass endlich vom Gesetzgeber anerkannt wird, dass es keine Therapiemöglichkeit gibt. Der Mensch ist, so wie er geschaffen wurde, hetero oder irgendwo im weiten Feld der LSBTTIQ-Welt daheim. Da hilft keine Medizin und auch ganz gewiss kein Gebet! Dreißig Jahre nachdem die WHO erkannt hat, dass Homosexualität keine Krankheit ist, beschließt der Deutsche Bundestag ein Gesetz, dass diese "Therapien" bei Jugendlichen komplett verbietet, bei jungen Erwachsenen bis 26 leider nicht.
Was wird sich aber konkret ändern? Die Traktate der Scharlatane werden in einschlägigen Gemeinden und Kreisen eben nur noch unter der Hand verteilt und hängen nicht mehr am Schriftenständer. Ich fürchte, viel mehr wird sich, zumindest in den finsteren Tälern Württembergs, wo die nächste Beratung für queere Jugendliche oft eine mehrstündige Bahnfahrt entfernt ist, leider nicht ändern.
Pöschel: Es ist ein wichtiger Schritt, dass nach jahrzehntelangem Kampf endlich Konversions"therapien" verboten wurden. Wo keine Krankheit ist, bedarf es auch keiner Therapie. Die "Behandlungen" sind wirkungslos und oft sogar schädlich. Das Bewerben und Vermitteln ist ebenfalls verboten, damit den sie anbietenden Gruppen und Vereinen das Handwerk gelegt wird. Die Signalwirkung, diese Form der Menschenrechtsverletzung zu verbieten, geht aber auch weit über Deutschland hinaus.
Albrecht: Wo siehst Du die größten Mängel an dem Gesetz? Und was wäre aus Deiner Sicht noch zu verbessern?
Monro: Schwierig finde ich besonders die bestehende Altersgrenze. Es ergibt keinen logischen Sinn, weshalb Erwachsene weniger schutzbedürftig sein sollen als U18-Jährige. Es öffnet auch eine Hintertür für unseriöse Behandlungsangebote, die dann regelmäßig die Schuld von sich weisen und sich darauf berufen, die Person habe es selbst gewollt, obwohl die Person vielleicht nur nach Aufklärung suchte und gar keinen Wunsch zur "Umpolung" hatte ... Hier wurde eine Grauzone eingerichtet, bei der am Ende das "Kleingedruckte" entscheidend sein wird und Aussage gegen Aussage steht.
Vorstand Kreuzweise-Miteinander: Der größte Mangel innerhalb dieses Gesetz besteht darin, dass es nicht zu einem klaren Verbot gekommen ist. Die Ausnahmen und Lücken im Gesetz öffnen den Eltern, die mit der sexuellen Orientierung oder einer Variante der Geschlechtsentwicklung ihres Kindes nicht einverstanden sind, Tür und Tor. So ist im Gesetz auch nicht festgelegt, wer die "gröbliche Verletzung" der Fürsorge und Erziehungspflicht in diesem Kontext überwachen soll. In Deutschland wird - gerade im Bereich der Kinder und Jugendhilfe - alles bis ins Kleinste durch Gesetze geregelt. Hier hat der Gesetzgeber eine große Lücke gelassen, indem er versäumt hat, die Jugendämter, Kinderärzte, Erzieher und auch Lehrer in die Pflicht zu nehmen eine Kontroll- und Überwachungsfunktion zu übernehmen.
Michael: Ich selbst habe bis 19 gebraucht, bis ich mir sicher sein konnte, dass meine homosexuellen Neigungen keine Phase, sondern Realität sind. Erst ab diesem Alter habe ich "professionelle" Hilfe gesucht und angenommen, mit dem Ziel heterosexuell zu empfinden, als Basis, um eine Familie gründen zu können. Erst mit 28 konnte ich meine Homosexualität als essentiellen Teil meiner Persönlichkeit anerkennen und Selbstbewusstsein entwickeln. Zu diesem Zeitpunkt habe ich mich bereits acht Jahre lang Konversionsversuchen unterzogen. Ich schließe mich daher der Haltung des LSVD an, welcher fordert das Alter von 18 auf 26 Jahre anzuheben.
Pfuderer: Der entscheidende Mangel ist die Tatsache, dass die Scharlatanerie nicht grundsätzlich verboten wurde. Auch junge Erwachsene stehen oft noch in wirtschaftlicher Abhängigkeit vom Elternhaus und können sich auch dann nicht von allen Zwängen lösen. Hier wurde einfach zu kurz gesprungen oder war es der Kotau der großen Regierungsfraktion vor den Arbeitskreisen der großen Kirchen in ihren Parteien?
Pöschel: Das Gesetz hat sehr eigentümliche Schwachstellen: Eltern dürfen weiterhin queere Kinder zu "heilen" versuchen, wenn sie dabei ihre Fürsorgepflicht nicht gröblich verletzen. Das ist bei der erwiesenen Wirkungslosigkeit bzw. Schädlichkeit solcher Behandlungen ja ein Widerspruch in sich. Bei Erwachsenen dürfen "Therapien" nach deren Zustimmung nach wie vor erfolgen. Ein vernünftiger Mensch würde einer solchen Therapie niemals zustimmen, wer also so beeinflussbar ist, dem wird dadurch auch Gewalt angetan, wovor ihn der Staat eigentlich schützen müsste.
Albrecht: Was wünschst Du Dir, dass die Kirchen und Religionsgemeinschaften jetzt diesbezüglich unternehmen sollten?
Monro: In der Bibel wird leider immer oft auf einzelne Verse verwiesen, womit leider oft großes Unheil angerichtet wird, wenn diese aus ihrem Kontext gerissen werden. Das "Evangelium" bedeutet "frohe Botschaft" und genau diese sollten wir auch vermitteln und sie in seiner Gesamtheit anwenden. Leider wird es oft wie ein Gesetzbuch angewendet um zu erklären, was Nächstenliebe bedeutet. Jesus kam allerdings in die Welt um uns genau das Gegenteil aufzuzeigen, indem er mit seiner praktizierten Nächstenliebe vermittelte, was die Schrift aussagen will. Ich würde mir wünschen, wenn die Religionsgemeinschaften sich genau darauf besinnen könnten, dass die Bibel eben kein Gesetzbuch ist um nicht denselben Fehler wie die Pharisäer vor 2000 Jahren zu begehen. Es wäre eine Schande für die Menschheit, wenn Gott einen weiteren Sohn opfern muss, damit wir genau dieses Prinzip von Gesetzlichkeit und Nächstenliebe endlich begreifen.
Vorstand Kreuzweise-Miteinander: Da es oftmals Kirchen und Religionsgemeinschaften sind, die diese Therapien durchführen, müsste hier von den beiden großen deutschen Kirchen ein striktes Verbot ausgesprochen werden. Dieses müsste sich auch auf die freien Kirchen wie z.B. Baptisten, Mennoniten, und so weiter ausweiten lassen. Die Folgen dieser unsachgemäßen, zerstörerischen und menschenverachtenden Behandlung sind oft lebenslange physische und psychische Störungen bei den betroffenen Personen. Dies ist auch dokumentiert worden. Der physische und psychische Druck, der bei dieser "Therapieform" von Seiten der Glaubensgemeinschaften auf die betreffende Person ausgeübt wird, kann ein gesamtes Menschenleben zerstören.
Die Religionsgemeinschaften sollten also klar und eindeutig feststellen, dass die sexuelle Orientierung und Varianten der Geschlechtsentwicklung eines jeden einzelnen Individuums eine Gottesgabe sind und von niemandem, auch keiner kirchlichen Organisation in Frage gestellt werden dürfen und schon gar nicht "therapiert" werden dürfen. Die Gottesebenbildlichkeit schließt eine Vielfalt auch im Blick der Geschlechtsentwicklung ein. Das muss noch viel stärker betont werden. Vorreiter und Vorbild ist da derzeit die evangelische Kirche von Hessen und Nassau, die eine Broschüre mit Sachinformationen zum Thema erarbeitet und veröffentlicht hat.
Michael: Konversionstherapien haben noch nie funktioniert, im Gegenteil - sie haben viel Schaden angerichtet. Aus meiner Erfahrung ändern Menschen vor allem dann ihre Haltung zu fremden Themen, wenn sie Menschen begegnen, die konkret davon betroffen sind. Es fällt leicht jemanden zu verurteilen, den man nicht kennt; von dem man nur gehört hat. Daher würde ich mir wünschen, dass Gemeinden direkt auf queere Christen zugehen und den Austausch suchen. Es werden beispielsweise Lesungen angeboten vom Sammelwerk Nicht mehr schweigen, welches subjektive Erfahrungsberichte erzählen lässt.
Pfuderer: Für Kirchen und Religionsgemeinschaften ist dieses Gesetz bindend. D.h. die Traktate gehören nicht in die Tischschublade zur verdeckten Weiterverwendung, sondern ins Altpapier! Das war ohnehin ihr Platz. Kirchen und Religionsgemeinschaften sollten aber wesentlich weiter gehen. Wir brauchen eine flächendeckende Beratungsinfrastruktur für LSBTTIQ-Jugendliche. Hier können Kirchen und kirchliche Jugendorganisationen Ansprechpartner*innen sein, egal ob in der Großstadt oder auf dem flachen Land oder vor allem auch dort, denn Kirchen gibt es überall. Beratung zum Leben als glücklicher queerer Mensch statt dem Versuch einer unmöglichen Umkehr zum heteronormativen Leben.
Pöschel: Sowohl die evangelische als auch die katholische Kirche in Deutschland haben in ihren Haltungen festgestellt, dass Homosexualität nicht "heilungsfähig" oder heilungsbedürftig sei. Sie dürfen allerdings bei Gruppen und Gemeinden nicht wegschauen, die Konversionstherapien praktizierten. Die HuK versteht homo-, bi- und heterosexuelles Empfinden und Verhalten als gleichwertige Ausprägung der einen menschlichen Sexualität. Sie nimmt verschiedene geschlechtliche Identitäten wie die von trans* und intergeschlechtlichen Menschen und Varianten der Geschlechtsentwicklung als Bereicherung wahr und ruft die Kirchen dazu auf, hier niemanden in Gewissensängste zu stürzen.