130 Teilnehmerinnen waren am Wochenende des dritten Advents anlässlich der Lesbentagung zum Thema "Home sweet home. Wo finden lesbische und queere Frauen* Heimat? zur Evangelischen Akademie nach Bad Boll gekommen. Das Thema hatte einen Nerv getroffen. In Zeiten von Flucht, Migration und pluralen Identitäten ist die Suche nach Orten, die Sicherheit, Anerkennung und emotionale Nähe bieten, bedeutsam. Gleichzeitig verknüpfen Rechtspopulisten, identitäre und rechtsnationale Gruppierungen den Heimatbegriff mit völkischen und rassistischen Blut-und-Boden-Ideologien, wie es die Nationalsozialisten im Dritten Reich getan hatten. Der Heimatbegriff ist folglich umstritten, emotional aufgeladen und ambivalent.
In Vorträgen und Podiumsdiskussionen diskutierten die Teilnehmerinnen engagiert über den Heimatbegriff. Sie fragten sich, ob es für Lesben und queere Frauen* in kirchlichen Kreisen und darüber hinaus überhaupt Heimat geben kann. In Workshops vertieften die Teilnehmerinnen das Thema mit Hilfe von Gesprächen in Kleingruppen über politische, kulturelle und geografische Grenzverläufe, über alternative Wohnprojekte, Popmusik, Theater, Gender-Performance und sichere Orte in und im Umfeld von Religionsgemeinschaften. Auch im Abschlussgottesdienst wurden vielfältige Heimatvorstellungen beleuchtet. Unter dem Motto „Heimat, liebe Heimat – Wo finde ich zu mir?“ gab es inhaltliche Impulse, Musik, Gebete und eine kreative Zeit, die die Themen Aufbruch, Umbruch und Geborgenheit fokussierten.
Im ersten Hauptvortrag fragte sich Stephanie Kuhnen, Journalistin und Autorin aus Berlin, skeptisch, ob der Heimatbegriff angesichts von Rassismus, Antisemitismus, Homo- und Transfeindlichkeit nicht ganz abgelehnt werden müsste. Denn Heimatideologien seien fruchtbarer Nährboden für rechtsnationales und rechtspopulistisches Gedankengut. Sie plädierte dafür, Heimat durch Teilhabe, Anerkennung und Zugehörigkeit zu ersetzen.
Reingard Wagner, Pädagogin und Beraterin aus Hamburg, sprach in ihrem Vortrag über Altersarmut und kleine Renten vieler Lesben und queerer Frauen*. Deshalb sei es schwierig, im Alter altersgerechte und regenbogenfreundliche Heimaten zu finanzieren und zu gestalten. Viele Frauen, die in den siebziger und achtziger Jahren in autonomen Frauen- und Lesbenprojekten engagiert waren, haben dabei oft wenig bis gar kein Geld verdient. Es müssten daher noch viel mehr queere und alternative Wohnprojekte angeboten und finanziell unterstützt werden.
In meinem Vortrag zeigte ich, dass gläubige und religiös interessierte Lesben und queere Menschen oftmals in dreifacher Weise heimatlos sind. 1. In säkularen queeren Kreisen werden sie häufig nicht ernst genommen, für naiv oder verrückt erklärt oder offen abgelehnt, wenn sie noch etwas mit kirchlichen Institutionen zu tun haben. 2. In kirchlichen Kreisen gelten Lesben und queere Menschen immer noch vielerorts als sündig oder nicht gottgewollt. 3. Wenn Betroffene im kirchlichen Umfeld zu Wort kommen, sind es lange Zeit vor allem schwule Männer gewesen. Lesben und queere Frauen* waren wenig sichtbar und kaum anerkannt. So gründeten sie in den achtziger Jahren lesbische und queere Netzwerke, wie das Maria und Martha Netzwerk, Labrystheia, Lesben und Kirche und das Netzwerk Katholische Lesben. Sie wurden für viele zu Heimatinseln im Niemandsland.
Ich plädierte dafür, dass es wichtig ist, dass sich säkulare und religiös orientierte queere Netzwerke und Verbände nicht gegeneinander ausspielen lassen. Alle haben das gleiche Recht auf Anerkennung, Teilhabe und den Schutz der Menschenrechte. Ob atheistisch, gläubig, spirituell interessiert oder zugehörig zu ganz unterschiedlichen Religionsgemeinschaften. Darüber hinaus ist es in kirchlichen Kreisen notwendig, Heimatakteur*innen zu finden, die sich für queerfreundliche Schutz- und Begegnungsräume einsetzen, so wie das vielerorts bereits getan wird.
Bei allen kontroversen Einschätzungen und Diskussionen stand am Ende der Tagung eins für die meisten Teilnehmerinnen fest: Die Lesbentagungen in Bad Boll sind sichere und regenbogenfreundliche Veranstaltungen. Die Tagungen sind ein zeitlich begrenzter Heimatort. Sie ermöglichen einmal im Jahr intensive Begegnungen, Debatten, Andachten, Gottesdienste und die Gewissheit, dass die Teilnehmerinnen so sein dürfen, wie sie sind. Vielen Dank dem gesamten ehrenamtlichen Vorbereitungsteam, der Studienleiterin Claudia Schmengler und der Evangelischen Akademie Bad Boll, die seit 34 Jahren trotz mancher Anfeindungen loyale Gastgeberin der Tagungen ist.
Zum Weiterlesen:
Fatma Aydemir, Hengameh Yaghoobifarah, Eure Heimat ist unser Alptraum, Berlin 2019
Dunya Hayali, Haymatland, Wie wollen wir zusammenleben? Berlin 2018
Stephanie Kuhnen, Lesben raus! Für mehr lesbische Sichtbarkeit, Berlin 2017