Die "Beziehung einer alten Dame zu ihrem Hund segnen"?
Menschenverachtende Töne in der Diskussion um ökumenische Herausforderungen durch die "Trauung für alle"

„Da könnte man ja gleich die Beziehung einer alten Dame mit ihrem Hund segnen!“, so war die Reaktion der Dekanatssekretärin der Evangelisch-theologischen Fakultät zu Erlangen, als wir im Rahmen einer Fachschaftsveranstaltung über die Stellung von Queers in den Kirchen und mögliche Segnungen gleichgeschlechtlicher Partnerschaften diskutieren wollten. Wir schrieben das Jahr 1989 und standen mithin ganz am Anfang der Debatte über Homosexuelle und Kirche.

Dass ich dieselbe Argumentation nur etwas wissenschaftlich schöner verpackt 30 Jahre später in der Publikation eines EKD-Instituts lesen würde, hätte ich mir damals nicht gedacht. Und es hat mich nachhaltig erschreckt, wie viel Ignoranz und Menschenverachtung Kollegen im Pfarrdienst einer EKD-Kirche heute immer noch an den Tag legen können.

Werner Thiede, außerordentlicher Professor für Systematische Theologie an der inzwischen zum Institut degradierten ehemaligen Erlanger Fakultät, stellt im Materialdienst des Konfessionskundlichen Instituts Bensheim vom Juli/August 2019 Überlegungen zum „Liberalisierten Eheverständnis als ökumenisches Problem“ an und schreibt: „2017 schließlich kam es zum neuesten Schritt von Seiten des Staates: Seither gibt es die sogenannte ‚Ehe für alle‘. Es ist freilich noch nicht die Ehe für wirklich alle: Tiere oder enge Blutsverwandte und Minderjährigen kommen als Ehepartner keineswegs infrage. Jedenfalls handelt es sich um eine fortgesetzte Säkularisierungsbewegung auf ethischem Gebiet (…)“ (MD 4/2019, 79). Die EKD, so konstatiert Thiede, stelle sich „an die Spitze des Umbruchs im Eheverständnis“ und brüskiere damit unverhohlen die Ökumene (ebd.). Diese nämlich wissen, wie die „‘nachhaltige Pflege‘ des traditionsreichen Ehe-Instituts“ zu geschehen habe. Ob er sich damit auf protestantische Kirchenführer in den verschiedenen afrikanischen Staaten bezieht, die nach wie vor Verfolgung und Gewalt gegen Queers für gut befinden, lässt Thiede offen.

Thiede sieht in der Diskussion um die Trauung für alle ein weiteres Zeichen dafür, dass es sich bei der EKD um ein „Schiff ohne Kompass“ handle, das die Wegweisung durch die „im strengen Sinn offenbarungstheologisch“ verstandene Heilige Schrift verloren habe. Diese Wegweisung bedeute, die Heilige Schrift „in ihrer Textgestalt sehr ernst“ zu nehmen und also auch eine historisch-kritische Auslegung biblischer Texte kritisch zu betrachten. Wo Kirche diese Wegweisung aufgebe und sich gar humanwissenschaftlichen Erkenntnissen öffne, da betreibe sie „natürliche Theologie“ und mutiere von einer Christus bekennenden Kirche zu einem „Institut für Religionsphilosophie“ (alle Zitate 80f).

Bei allem Entsetzen über Thiedes Menschenverachtung muss man anerkennen, dass die Diskussion um die Trauung für alle ein ökumenisch brisantes Thema ist – und zwar sowohl mit Blick auf die interkonfessionelle Ökumene als auch mit Blick auf die Nord-Süd-Beziehungen der Kirchen. Die Vizepräsidentin des Lutherischen Weltbundes, die Hamburger Pröpstin Astrid Kleist, hat bei einer von mir moderierten Veranstaltung im Regenbogenzentrum des Deutschen Evangelischen Kirchentages in Dortmund sehr eindrücklich berichtet, wie viel Fingerspitzengefühl solch eine Diskussion braucht, wenn sie von Partner*innen aus dem Süden nicht als kultur-imperialistisch verstanden werden soll. Sie hat auch deutlich gemacht, wie wichtig ein Lernen in Begegnung ist, um vorgefasste Meinungen zu überwinden.

Seit den Auseinandersetzungen an der Erlanger Fakultät vor 30 Jahren habe ich immer wieder gemerkt, dass zu solchen Lernen in Begegnung auch gehört, dass wir Queers akzeptieren, dass es Menschen gibt, die in Frömmigkeitstraditionen stehen, die ihnen eine vorbehaltlose Annahme gleichgeschlechtlich l(i)ebender Menschen schwer machen. Ich konnte und kann mit solchen Menschen gut diskutieren, zusammen arbeiten und zusammen Gottesdienst feiern, solange ich umgekehrt den Eindruck habe, dass diese anerkennen, dass auch wir Queers in unseren Lebensformen in der Nachfolge Jesu leben wollen und unser Leben und Handeln vom Evangelium Gottes leiten lassen.

Wenn Werner Thiede in seinem Beitrag mehr oder weniger unverhohlen eine Rückkehr des deutschen Protestantismus zu einem fundamentalistischen Bibel- und Eheverständnis um der Ökumene willen fordert, so hat der den Charakter ökumenischer Dialoge eindeutig verkannt. Wie es anders gehen kann, macht die Evangelische Kirche von Hessen und Nassau in ihrer Lebensordnung von 2013 deutlich, in der Trauung und Partnerschaftssegnung gleichgestellt werden:

„Die EKHN ist sich bewusst, dass diese Sichtweise in manchen anderen Kirchen abgelehnt wird. Ökumenisch sind Kirchen dadurch, dass sie sich an Jesus Christus ausrichten und sich darin begegnen. Die kulturellen Muster, die auch in Kirchen in Fragen der Geschlechtlichkeit wirksam sind, sind im Leib Christi keine endgültigen Festlegungen. ‚Wer Gottes Willen tut‘, sagt Jesus, ‚ist mein Bruder und meine Schwester und meine Mutter‘ (Mk 3,35). Alle sozialen Festlegungen auf der Grundlage der Zweigeschlechtlichkeit, wie etwa die Verweigerung der Segnung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften, sind deshalb kritisch zu hinterfragen.
Das gilt aber auch für die Überlegungen, die in dieser Lebensordnung begründet werden. Der EKHN liegt viel daran, das ökumenische Gespräch im Geist der Geschwisterlichkeit weiter zu führen, stets wissend, dass Menschen auch irren können und auf den Geist der Wahrheit Gottes angewiesen sind.“ (§258).

Quellen:
Werner Thiede: Liberalisiertes Eheverständnis als ökumenisches Problem, in: Materialdienst des Konfessionskundlichen Instituts Bensheim 04/2019, 76-81.
Die aktuelle Lebensordnung der EKHN (nun mit der vollzogenen Gleichstellung zur Trauung für alle): https://unsere.ekhn.de/themen/lebensordnung.html