Der Kabarettist Dieter Nuhr ist mittlerweile bekannt für seine Ausfälle gegen die Gleichberechtigung der Geschlechter und Sexualitäten. So wettert er etwa gegen die zunehmende Repräsentation von Frauen in der deutschen Sprache, macht sich über Homosexualität lustig und versucht die Rechte von transsexuell begabten Menschen gegen die von Geflüchteten auszuspielen. In seiner Sendung Nuhr im Ersten vom 9. Mai 2019 erreichte die Polemik, die der Komiker hierbei an den Tag legt, einen neuen Höhepunkt. Dort versucht Nuhr Kritik an der akademischen Geschlechterforschung zu üben. Das Bemerkenswerte an seinem Auftritt ist, dass er hierbei jene Argumentationsmuster benutzt und bedient, die von Rechten und religiösen Fundamentalist_innen gegen die Gender Studies vorgebracht werden. Nuhr überschreitet an diesem Abend die Grenze zum Rechtspopulismus deutlich.
Zentraler Gegenstand seines Unmutes ist eine Studie des Umweltbundesamtes (UBA) mit dem Titel Gendergerechtigkeit als Beitrag zu einer erfolgreichen Klimapolitik. An jeder Untersuchung kann selbstverständlich Kritik geübt werden, auch im Rahmen von Comedy. Die Wissenschaft selbst lebt ja vom Austausch der Argumente. Allerdings sollten Bewertungen, wenn sie den Anspruch erheben angemessen zu sein, immer auf dem Verständnis dessen worüber mensch spricht beruhen. Genau dieses grundlegende Prinzip ignoriert Nuhr jedoch. So erklärt er zu der Frage, worum es denn in der Untersuchung, die er da angreift, überhaupt gehe: "Worum geht es? Ich kann es Ihnen auch nicht genau sagen." Eigentlich hat er sich damit als legitimer Redner bereits disqualifiziert, denn wie will er eine Studie kritisieren, deren Inhalt er nicht begreift? Nuhr sieht darin allerdings offenkundig kein Problem. Vielmehr bringt er mehrere Zitate aus dem Papier und brüstet sich anschließend damit, deren Bedeutung nicht zu erfassen. Daran ist aber, so lässt er das Publikum weiter wissen, nicht seine mangelnde Kenntnis der Materie schuld, sondern der Umstand, dass es sich bei der Veröffentlichung um "verschwurbelten Strunzkrunz-Firlefunz" handle. Dies ist ein gängiges rechtspopulistisches Argumentationsmuster. Der Geschlechterforschung wird unterstellt, sie produziere entweder gar kein Wissen oder aber unnützes. Als Beweis hierfür werden Publikationen herangezogen, deren Inhalt sich dem Verständnis Fachfremder entzieht. So berichtet etwa die rechtspopulistische Autorin Birgit Kelle in einem Interview mit dem Merkur, dass eine Studie mit dem Titel Soziologische Explorationen zur (Neu)Kodierung der Geschlechterdifferenz am Beispiel Schönheitschirurgie von der Deutschen Forschungsgesellschaft (DFG) gefördert werde. Kelle moniert das und begründet dies damit, dass sie nicht mal die Fragestellung der Untersuchung verstehe.
Hier wird der folgende Anspruch formuliert: Wissenschaftliche Untersuchungen sind nur dann wert- und sinnvoll, wenn sich ihre Erkenntnisse dem Laien ohne größere Mühen erschließen. Dies widerspricht allerdings fundamental den Prinzipien von Wissenschaft. Selbstverständlich ist es möglich, dass ich eine Untersuchung aus einer mir fremden Disziplin lese und deren Mehrwert sofort erfasse. Aber dieses Prinzip kann kein universelles Gütekriterium für die akademische Wissensproduktion sein. Es gibt bahnbrechende Forschungsarbeiten aus der Medizin, der Physik, der Theologie oder der Musikwissenschaft, deren Bedeutung ich nicht, auch nach mehrmaligem Lesen, begreifen kann. Das liegt ganz einfach daran, dass mir schlichtweg das Hintergrundwissen oder anders gesagt, die Bildung fehlt, um es zu verstehen. Darum mussten die Verfasser_innen ja auch lange studieren, um an den Punkt zu gelangen, auf einem Niveau forschen und publizieren zu können, das dem Unqualifizierten nicht mehr ohne Weiteres zugänglich ist. Ich kann nicht erklären, was im Körper passiert, wenn einer Person mit Herzinfarkt ein lebensrettendes Medikament verabreicht wird, aber darum stelle ich doch nicht den Wert dieser Arznei infrage. Wenn Forschung an dem Horizont von Dieter Nuhr oder Birgit Kelle halt machen würde, dann könnten wir die Wissenschaft einstellen. Entlarvend ist besonders, dass die Rechtspopulisten diesen Anspruch der Verständlichkeit an die Naturwissenschaften in der Regel auch gar nicht stellen. Sie messen bewusst mit zweierlei Maß. Mit dieser Strategie versuchen sie nur die akademische Geschlechterforschung und andere Disziplinen, deren Erkenntnisse ihrer eigenen Ideologie widersprechen, zu diskreditieren.
Nuhr bemerkt bei seinem Auftritt, dass die Studie ausschließlich von Frauen verfasst wurde, und fügt dem die kritische Zwischenbemerkung hinzu: "… so viel zum Thema Gendergerechtigkeit." Hierin zeigt sich ein zweites Argumentationsmuster des Rechtspopulismus. Nicht das produzierte Wissen an sich wird zum Gegenstand der Kritik gemacht, sondern die Attribute der Personen, von denen die Erkenntnisse stammen. Frauen haben lange darum gekämpft Zugang zu den Universitäten zu erlangen und ihre Perspektive in die männlich geprägte Wissenschaft einzubringen. Ein Beispiel dafür ist etwa, dass in der Medizin der männliche Körper lange als Normalfall galt, die Frau hingegen als ein, oft nicht beforschter, Sonderfall. Mit teilweise fatalen Folgen für ihre Gesundheit. Eine völlige Gleichberechtigung herrscht an den Hochschulen noch lange nicht. Das Geschlecht spielt weiter eine große Rolle, die darüber entscheidet, wer Legitimität für sein Wissen beanspruchen darf und wer nicht. Das lässt sich schon daran ablesen, dass gerade mal ein knappes Viertel der Professuren mit Frauen besetzt sind und ihre Quote um so mehr abnimmt, je prestigeträchtiger eine Professur ist. Männer, die Wissenschaft aus männlicher Perspektive machen und patriarchale Strukturen reproduzieren, werden weiterhin als erwünschte Normalität hofiert, während Frauen, die Kritik an diesem System der Generierung von Wissen üben, nicht als legitime Wissensproduzentinnen gelten. An der Fortschreibung dieses Machtverhältnisses wirkt Nuhr mit seiner Bemerkung über die allein weibliche Verfasserinnenschaft der Untersuchung mit. Daran kann auch sein Eingeständnis nichts ändern, dass an der Studie auch ein Mann beteiligt war. Diesen Widerspruch in der eigenen Argumentation negiert der Kabarettist indem er den männlichen Mitverfasser persönlich angreift und erklärt, dieser sei mutmaßlich ein Mann, es könne aber auch "ein postsexueller Veganer gewesen sein, gefangen im Körper eines feministischen Hutmachers.“ Darunter liegt die Suggestion, dass ein Mann, der an einer solchen Untersuchung mitwirkt, wohl eher kein richtiger Mann ist. Nuhrs Worte wirken hier wie eine Zurechtweisung. Es ist paradox: Einerseits moniert der Kabarettist die mangelnde geschlechtliche Ausgewogenheit der Autor_innen der Studie, anderseits greift er eben jene Person an, die diese vermeintlich gewünschte Vielfalt gewährleistet. Wenn Nuhr wirklich mehr Geschlechtergerechtigkeit in der Wissenschaft möchte, dann könnte er selbst einen Beitrag dazu leisten und solche persönlichen Tiefschläge gegen engagierte Wissenschaftler unterlassen. Ob dies allerdings wirklich Nuhrs Wunsch ist, darf angesichts seines Auftrittes stark bezweifelt werden.
Die Zuschauer_innen und auch die ARD sollten genau prüfen, ob sie solch offensichtlich rechtspopulistischen Argumentationen, die hier unter dem Deckmantel der Comedy vorgetragen werden, wirklich Raum geben wollen. Nuhr weist in seinem Auftritt darauf hin, dass dieser "Bullshit", so bewertet er die Studie, aus unseren Steuergeldern finanziert wird. Ich weise darauf hin, dass Nuhrs Sendung aus öffentlichen Gebühren bezahlt wird und stelle infrage, ob wir damit die Verbreitung von Rechtspopulismus finanzieren sollten. Andere Einnahmequellen zu finden, dürfte Nuhr indes nicht schwerfallen. Mit seinen Auftritten kann er sicherlich viele Bierzelte, insbesondere die der AfD, füllen.