Heterosexualität ist keine Krankheit. Während diese Wahrheit für das Begehren zwischen Frauen und Männern schon immer unhinterfragte Gültigkeit beanspruchen konnte, galt dies für die Homosexualität leider lange Zeit nicht. Die Liebe zu Partner_innen des gleichen Geschlechts ist nicht nur kriminalisiert, sondern auch pathologisiert worden. Erst im Jahr 1992 wurde Homosexualität aus der International Statistical Classification of Diseases and Related Health Problems (ICD) der Weltgesundheitsorganisation (WHO) als Krankheit gestrichen. So wichtig dieser Schritt war, so hartnäckig halten sich die Auswüchse der vergangenen Pathologisierung bis heute. Ein besonders drastisches Beispiel dafür sind die sogenannten Konversionstherapien. Häufig unter anderen Namen angeboten, wird dabei das Ziel verfolgt, homosexuelles Begehren in heterosexuelles Begehren und Verhalten umzuwandeln. Es handelt sich dabei um einen schwerwiegenden und nicht selten hochgradig gefährlichen Eingriff in die Psyche einer Person, motiviert von der, oft christlich-fundamentalistisch begründeten, wahnhaften Idee, jeder Mensch müsse, um Liebe und Partner_innenschaft erfüllt und gottgefällig zu leben, heterosexuell empfinden können. Der Deutsche Ärztetag hat sich klar von solchen Verfahren distanziert und warnt vor ihren Risiken, wie Depressionen, Angsterkrankungen, selbstdestruktives Verhalten bis hin zur Suizidalität. Bundesgesundheitsminister Spahn plant nun, diese Form der Scharlatanerie gesetzlich zu verbieten, so wie es in anderen Ländern längst der Fall ist. Zu diesem Zweck hat er eine Fachkommission ins Leben gerufen, an der neben Vertreter_innen aus dem Gesundheitswesen (Krankenversicherungen, Psychotherapeuten- und Bundesärztekammer), den Bundestagesfraktionen und Nichtregierungsorganisationen wie dem Lesben- und Schwulenverband in Deutschland e. V. (LSVD), der Bundesvereinigung Trans* und dem Verband für lesbische, schwule, bisexuelle, trans*, intersexuelle und queere Menschen in der Psychologie (VLSP), auch die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD), die Deutsche Bischofskonferenz sowie die Zentralräte der Juden und der Muslime in Deutschland teilnehmen.
Dass Kirchen und Religionsgemeinschaften in dieser Fachkommission dabei sind, stößt in weiten Teilen der emanzipatorischen Bewegungen, die sich für die Gleichberechtigung nicht-heterosexueller Menschen einsetzen, auf Unverständnis und Kritik. So schreibt etwa Kriss Rudolph vom Mannschaft Magazin: "Welches Fachwissen bringen diese Herrschaften mit? Abgesehen von jahrhundertelanger Erfahrung, wie man Homo- oder auch Transsexuelle verfolgt und unterbuttert?" Er fragt, welche Interessen die Vertreter_innen geistlicher Institutionen in der Fachkommission verfolgen. Rudolph äußert dabei die Befürchtung, dass die Religionsgemeinschaften danach streben, unter dem Deckmantel der Religionsfreiheit Ausnahmeregelungen zu erwirken, was er, sollte dies tatsächlich der Fall sein, als skandalös bezeichnet.
Die Skepsis bezüglich des Mitwirkens der EKD ist mehr als berechtigt. Schließlich hat die evangelische Kirche in der Tat jahrhundertelang homosexuell begabte Menschen diskriminiert und tut es in Teilen noch bis heute. Hierbei sei exemplarisch auf die in den meisten Landeskirchen anhaltende Ungleichbehandlung gleich- und verschiedengeschlechtlicher Ehepaare bei der Trauung verwiesen. Was nun die Konversionstherapie angeht, so distanziert sich die EKD zwar in jüngster Zeit zumindest zaghaft hiervon, doch diese Distanzierung erfolgt noch so leise und inkonsequent, dass sie wenig überzeugend ist. Beispielsweise ist die Offensive Junger Christen (OJC) als Vertreterin solcher Prozesse nach wie vor völlig selbstverständlich Mitglied im Evangelischen Werk für Diakonie und Entwicklung e.V. der EKD. Eine glaubhafte Ablehnung dieser gesundheitsschädlichen Behandlungen sieht freilich anders aus.
Zu befürchten steht, dass sich die EKD in der Fachkommission nicht wirklich eindeutig für ein Verbot der Konversionstherapie einsetzt. Vielmehr könnten ihre Vertreter_innen aus Sorge, bestimmte Interessengruppen zu verärgern, indifferent agieren. Diese Gefahr sehe ich insbesondere auf zwei Seiten. Einerseits sind da die Fundamentalist_innen innerhalb des eigenen pietistischen und evangelikalen Lagers. Ihnen gegenüber verhalten sich die EKD und die Landeskirchen immer wieder erschreckend konfliktscheu, insbesondere beim Thema anti-homosexuelle und anti-transsexuelle sowie anti-transgeschlechtliche Ideologien. Andererseits bleibt abzuwarten, wie sich die römisch-katholische Kirche einbringt. Sollte diese auf Ausnahmen drängen oder auf andere Weise versuchen, das geplante Verbot aufzuweichen, könnte die EKD das unterstützen. Dies ist ein leider häufig zu beobachtender Reflex: Es wird danach gestrebt, gemeinsam mit der römisch-katholischen Kirche Macht und Einfluss zu bewahren, was sich nach Ansicht der Verantwortlichen vermeintlich nur durch das Vertreten einer gemeinsamen Position erreichen lässt. Dabei bleiben gegenüber diesem strategischen Interesse theologische Grundlagen und auch berechtigte Unterschiede zwischen den beiden Konfessionen bedauerlicher Weise nur allzu oft auf der Stecke. Kaschiert werden solche strategischen Interessen dann durch das Propagieren eines falsch verstandenen Ethos ökumenischer Solidarität. Wer so handelt, der lässt sich allerdings durch einen Geist der Angst leiten, tut also das Gegenteil von dem, wozu wir als Diener_innen Christi berufen sind. Und um es klar zu sagen: Jede Positionierung, die sich nicht rückhaltlos für ein konsequentes und wirksames Verbot dieser sogenannten Therapien ausspricht, ist eine anti-homosexuelle Positionierung und deshalb eine Fortschreibung der Diskriminierung.
Ist hier also der Bock tatsächlich zum Gärtner gemacht worden, so wie es das Mannschaft Magazin und andere suggerieren? Zunächst ist festzuhalten, dass die skizzierten Reaktionen auf die Beteiligung der EKD an der Fachkommission erschreckend und alarmierend zugleich sind. Sie sollten dies auch für die Verantwortlichen in der EDK-Leitung sein! Wenn es um den Schutz von Menschen vor Diskriminierung und Gesundheitsschädigung geht, dann darf die Mitwirkung der EKD in einem solchen Prozess keine Ängste und Befürchtungen dahingehend auslösen, dass letztlich keine wirkliche Abhilfe geleistet wird. Jesus Christus stand immer auf der Seite derer, die Ausgrenzung erfahren haben und seine Kirche kann sich diesem Handeln nur anschließen, wenn sie seine Kirche sein und bleiben will. Die Beteiligung an der Fachkommission kann für die EKD daher eine Chance sein, sich dementsprechend zu verhalten. Eine Chance ein lebendiges, glaubwürdiges Zeugnis davon zu geben, wie die Kirche Christi in diese Welt hineinwirkt. Damit könnte sie auch Glaubwürdigkeit und verlorengegangenes Vertrauen zurückgewinnen, insbesondere bei denen, die Kirche als Schutzraum benötigen und so oft in diesem Bedürfnis enttäuscht wurden.
Kann der Bock also am Ende doch noch das Gärtnern lernen? Nun, ich schätze die Lage als ernst, aber nicht als hoffnungslos ein. In den letzten Jahren gibt es einige hoffnungsvolle Entwicklungen innerhalb der evangelischen Kirchen. Beispielsweise die Gründung eines eigenen Studienzentrums der EKD für Genderfragen in Kirche und Theologie. Landeskirchen wie die Badische, die von Berlin-Brandenburg Schlesische-Oberlausitz und die Rheinische machen sich auf den Weg hin zur Gleichstellung, weg von der Diskriminierung. Dabei sei etwa auf die egalitäre Trauung homo- und heterosexueller Paare verwiesen. Die Landeskirche von Hessen-Nassau gibt eine hervorragende Broschüre zu Transsexualität und Transgender heraus. Der Kirchenkreis Karlsruhe hat sich im Karlsruher Memorandum eindeutig gegen Konversionstherapie ausgesprochen. Aber auch von unten formieren sich Gruppen, wie lesbisch-schwule respektive queere Pfarrkonvente oder die Initiative Regengebogen in der württembergischen Landeskirche. Das alles sind Zeichen der Hoffnung und des Wirkens des Heiligen Geistes.
Die Landeskirchen und die EKD sollten diese Entwicklungen nach Kräften unterstützen bzw. weiter voran treiben. Eine Maßnahme dabei wäre es, sich nicht nur offensiv für das Verbot der Konversionstherapie in der Fachkommission einzusetzen, sondern auch innerhalb der evangelischen Kirche zu prüfen, an welchen Stellen Menschen, ob nun unter dem Namen Konversionstherapie oder nicht, dazu geraten wird, ihr homosexuelles Begehren oder Verhalten zu verändern oder zu unterdrücken. Egal wo dies geschieht, ob in der Seelsorge, in Beratungskontexten oder der Kinder- und Jugendarbeit, und egal durch wen es geschieht, insbesondere durch Pfarrer_innen und Diakon_innen, es muss offiziell unterbunden werden. Außerdem ist es an der Zeit, die Opfer solcher Scharlatanerie um Vergebung zu bitten und auch Wiedergutmachung anzubieten. Auf der anderen Seite könnten die Landeskirchen und die EDK umfangreiche Anti-Diskirimierungs-Programme auflegen, ihr Personal bereits in der Ausbildung für den Umgang mit der Vielfalt der Schöpfung qualifizieren und lernen, wie sie nach innen zu einem sicheren Ort für homosexuell begabte Menschen und nach außen zu einem Bollwerk gegen deren Anfeindung werden kann.
"Wenn wir in Frieden beieinander wohnten, Gebeugte stärkten und die Schwachen schonten, dann würden wir den letzten heilgen Willen des Herrn erfüllen." (Johann Andreas Cramer, 1780)
Herr, stärke Deine Jünger_innen für diese Aufgabe und gib den Verantwortlichen in Deiner Kirchen jeden Tag neuen Mut, neue Kraft und ein neues Fragen nach Dir und Deinem Willen. Amen.