Frauen(gleichstellungs)arbeit hat Tradition in den evangelischen Kirchen in Deutschland. In den letzten Jahren haben sich viele Fachstellen für Frauenarbeit zu Gender-Beauftragungen verändert. Die bayerische Gleichstellungsbeauftragte wurde zur Beauftragten für Chancengerechtigkeit.
Am Rande der Tagung der bayerischen Landessynode spreche ich mit ihr über Queers und Gendergerechtigkeit in den evangelischen Kirchen.
WS: Barbara, Chancengerechtigkeit ist ein sehr breiter Begriff. Wie beschreibst du deine Zuständigkeit?
Barbara Pühl: Ich verstehe mich als Ansprechpartnerin für alle Interessengruppen, die in unserer Kirche von Diskriminierung oder Benachteiligung betroffen sein können.
WS: Also von Menschen mit Behinderung bis hin zu Transgender?
Barbara Pühl: So kann man das sagen – alle Bereiche von Diversität miteingeschlossen. Da stoßen dann natürlich zum Teil auch ganz unterschiedliche Interessen aufeinander: Wenn ich in einem Text Gendergerechtigkeit durch inklusive Sprache oder das Gender-Sternchen zum Ausdruck bringe, dann verträgt sich das nicht unbedingt mit dem Interesse von Menschen mit psychischen Einschränkungen an Texten in leichter Sprache. Das Schlimmste wäre in so einer Situation, dann einfach wieder zum generischen Maskulin zurück zu kehren. Ich versuche dann, die unterschiedlichen Bedürfnisse irgendwie in Ausgleich miteinander zu bringen und in dem Fall darauf zu achten, in welchem Kontext der Text zum Tragen kommen soll Das ist nicht der einfachste Weg, aber meist ein reflektiert gangbarer Weg.
WS: Wie gelingt es dir dabei, abzuwägen oder zu gewichten?
Barbara Pühl: Wichtig ist, die unterschiedlichen Bedürfnisse und Empfindsamkeiten miteinander ins Gespräch zu bringen – das geht nur mit einem weiten Verständnis von Inklusion und getragen von der Überzeugung, dass Vielfalt etwas von Gott Bejahtes und Positives ist, gerade auch in der Kirche.
WS: Bedeutet so ein weites Verständnis von Inklusion dann nicht notwendigerweise immer sofort Kompromiss?
Barbara Pühl: Oft läuft es dann um der praktischen Umsetzung willen tatsächlich auf einen Kompromiss hinaus. Aber nicht notwendigerweise. Der Ansatz ist ja ein positives Verständnis von Vielfalt zu haben. Das heißt, es geht nicht um Gleichmachung und nicht um faule Kompromisse zugunsten einer vermeintlichen Einheit. Es geht um das gerechte Miteinander des Verschiedenen. Das fordert letztlich Toleranz und Kompromissbereitschaft von allen. Für meine Arbeit heißt das, genau hinzuschauen und wahrzunehmen, wo und wie Diskriminierung erfahren wird. Der Perspektivwechsel hilft dann, andere mitzunehmen und neue Wege zu gehen.
WS: Zum Beispiel?
Barbara Pühl: Ich fand die Diskussion über die Trauung gleichgeschlechtlicher Paare bei der Herbsttagung 2018 sehr gelungen. Da hat so ein Perspektivwechsel stattgefunden, da haben viele wahrgenommen, wie Diskriminierung erlebt und erfahren wird. Das hat dazu geführt, dass sich beide Seiten als Menschen wahrgenommen haben, die intensiv darum ringen, ihren christlichen Glauben zu leben. Keine Seite hat der anderen am Schluss mehr den Glauben abgesprochen. Dieser Prozess hat dazu geführt, dass auch viele Synodale dem Papier zugestimmt haben, die Vorbehalte gegen eine „Trauung für alle“ hatten. Den Kompromiss, dann unterschiedliche Begriffe zu verwenden, halte ich persönlich für tragbar.
WS: Chancengerechtigkeit für Queers – wie sieht es damit aus in der bayerischen Kirche?
Barbara Pühl: Ich merke schon, dass diese Frage nicht unbedingt oben auf liegt in unserer Kirche. Sie taucht immer wieder mal auf, so wie bei der Diskussion um die Trauung, aber kirchenpolitisch spielt sie keine entscheidende Rolle. In der Evangelischen Jugend ist das anders, da sind Gender-Fragen sehr präsent und da ist es selbstverständlich, dass Queers mit dazu gehören. Aber eine Arbeitshilfe zu Trans- und Intergender wie in Hessen-Nassau wird es in Bayern wohl so schnell nicht geben. Dabei merke ich – und merken wir auf Ebene der EKD -, dass da gerade in den Personalabteilungen sehr große Unsicherheit herrscht.
WS: Bei den österreichischen Protestanten gibt es einen offen schwulen Superintendenten (Regionalbischof)…
Barbara Pühl: Das, glaube ich, wird in Bayern noch etwas dauern – Kulturen ändern sich nur langsam.
WS: Wie kannst du als Beauftragte zu diesem Kulturwandel beitragen?
Barbara Pühl: Als Beauftragte für Chancengerechtigkeit muss ich mich in bestimmten Situationen einfach zur Anwältin der Perspektive der Benachteiligten machen. Das kann ich, wenn ich mit den Interessengruppen gut vernetzt bin. Und weil zu meiner Aufgabe auch die Vernetzung mit den kirchenleitenden Gremien gehört, kann ich dort Akteure der Veränderung gewinnen.
WS: Also Haltungen verändern?
Barbara Pühl: Ja, wir brauchen so einen Kulturwandel. Wenn ich von der Gottebenbildlichkeit jedes Menschen überzeugt bin, dann darf es in der Kirche keinerlei Diskriminierung aufgrund irgendeines Persönlichkeitsmerkmals geben.
Aber der Kulturwandel muss sich dann auch in den Strukturen und in der Praxis niederschlagen: Wenn ich Inklusion will, muss ich Rampen für Menschen mit Rollstuhl bauen und mein Programm so gestalten, dass sie auch wirklich mitmachen können.
WS: Was rätst du Queers in den evangelischen Kirchen?
Barbara Pühl: Auf jeden Fall dabei bleiben, wir haben einen sehr guten Weg hinter uns! Geht auf eure Gender- oder Chancengleichheitsbeauftragten zu, sucht euch Verbündete und versucht, so wie ich das vorhin beschrieben habe, andere mitzunehmen. Das geht nicht ohne Kompromisse, aber wir gewinnen alle dadurch. Wir sind dann wirklich eine Kirche der Vielfalt!
Dr. Barbara Pühl ist seit September 2017 Beauftragte für Chancengerechtigkeit der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern. Sie war wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Ludwig-Maximilian-Universität München und Frauenbeauftragte der dortigen theologischen Fakultät und hat intensiv über Inklusion in der religiösen Bildung geforscht und gelehrt.