Intersexuelle oder intergeschlechtliche begabte Menschen sind, vereinfacht gesagt, so geschaffen, dass ihre Geschlechtlichkeit, nicht in die starren Kategorien männlich und weiblich eingeteilt werden kann. Gott hat diesen Geschwistern beispielsweise eine Vagina und Hoden geschenkt oder sie mit XXY-Chromosomen ausgestattet. Bis heute werden Personen, die auf diese Weise geschaffen sind diskriminiert, verfolgt und verstümmelt. Auch in unserer Gesellschaft. Statt sich an die Mahnung unseres Herrn zu halten, die dieser in Jesaja 55 ausspricht, dass seine Gedanken nicht unsere sind, setzten viele, was intersexuell begabte Menschen angeht, alles daran Gottes Gedanken auf den Prüfstand zu stellen. Darf es Intersexuelle überhaupt geben? Darf ihr Geschlecht als Geschlecht gelten? Und soll es in der Geburtsurkunde Erwähnung finden dürfen? Im Ausweis? In der Rechtsprechung? Haben sie wie Männer und Frauen genau so ein Recht auf geschützte öffentliche Räume, wie eigene Umkleiden oder Toiletten? Für uns Christ_innen, die an den Schöpfergott glauben, können das keine legitimen Fragen sein! Gott erschafft intersexuelle Menschen. Punkt. Es steht uns nicht zu, diese Form der Geschlechtlichkeit zu hinterfragen. Um es klar zu benennen: Wer solche Anfragen stellt, der stellt Gott infrage. Wer das tut sündigt. Sogar schwer. Weil er versucht, sich an die Stelle Gottes zu setzen. So wie es etwa Mediziner_innen tun, die die Genitalien intersexuell begabte Menschen pathologisieren, gesunde Geschlechtsorgane amputieren und sie wie Abfall auf den Müll werfen. In einer Gesellschaft, die sich auf Jesus Christus gründet, darf so etwas nicht passieren. Im Leib Christi sind alle willkommen, alle! Und wenn wir mit diesem einfachen Gebot, das zugegeben, für uns nicht immer leicht umzusetzen ist, Probleme haben, dann sollten wir hier unsere Schwäche erkennen, Gott bitten uns hier stark zu machen und nicht darin verfallen, das Problem in dem Anderen zu suchen und ihn darum zu bekämpfen.
Eklatanter Weise entscheiden sich einige Spitzenpolitiker_innen in der CDU für die zweite, unheilvolle der beiden Handlungsalternativen. Mit zutiefst diskriminierenden Sätzen, versuchen sie bewusst, die Würde intersexuell begabter Menschen infrage zu stellen. Wie noch zu zeigen ist, tut sich hier ein krasser Widerspruch auf, zwischen dem Anspruch Christus nachzufolgen und dem Verhalten, dass die CDU-Vorsitzende Annegret Kamp Karrenbauer oder der Junge Union Vorsitzende Tilman Kuban, ihren Geschwistern in Christus gegenüber an den Tag legen. Daher drängt sich Frage auf, ob die CDU noch in der Lage ist, das höchste Gebot, das der Herr, auf dessen Namen sich die Partei beruft, ausgegeben hat, zu erfüllen. Zur Erinnerung, es lautet: "Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele, von ganzem Gemüt und mit all deiner Kraft. Das andre ist dies: Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst" (Markus 12, 30+31).
Christian Fürchtegott Gellert schrieb 1757 in der ersten Strophe seines Liedes:
So jemand spricht: Ich liebe Gott
und hasst doch seine Brüder,
der treibt mit Gottes Wahrheit Spott,
und reißt sie ganz darnieder.
Gott ist die Lieb, und will, dass ich
den Nächsten liebe, gleich als mich.
Am Wochenende wurde Tilman Kuban zum neuen Bundesvorsitzenden der Jungen Union, der CDU-Nachwuchsorganisation, gewählt. In seiner Bewerbungsrede stellte er sich hinter die CDU- Parteichefin Annegret Kramp-Karrenbauer, an der wegen ihrer vor kurzem getätigten diskriminierenden Aussagen über intersexuell begabte Menschen fast allenthalben scharfe Kritik geübt wurde. Er fände es gut, dass sie da nicht eingeknickt sei, erklärte der Politiker. Später kündigte er lautstark an, Klartext reden zu wollen, "wenn sich die Linken in unserem Land hinstellen und lieber für die Schultoilette des 3. bis 312. Geschlechts kämpfen". Aus diesen Sätzen spricht keine Liebe. Weder zu Gott, noch zu seinen Geschöpfen. Vielmehr sind die Worte von Verachtung gegenüber den Geschwistern geprägt, die auf Nächstenliebe in ganz besonderer Weise angewiesen sind. Genau zu dieser Liebe scheint Kuban allerdings nicht willig, vielleicht auch nicht fähig. Die Not intersexuell begabter Menschen nach öffentliche Ankerkennung ihres Geschlechts, die sich selbstverständlich nicht nur, aber eben auch in dem Bedürfnis äußert, eine Toilette aufsuchen zu können, die der eigenen Geschlechtlichkeit entspricht, macht Kuban zu einem parteipolitischen Zankapfel. Das ist verwerflich. Statt linke Politiker_innen zu beschimpfen, sollte er doch fragen, was eigentlich an seiner politischen Haltung nicht stimmt, wenn er intersexuell begabten Menschen nicht einmal ein so elementares Recht, wie eine Schultoilette aufsuchen zu können, zusprechen will.
In seiner Rede macht Kuban auch immer wieder klar, dass es wichtigere Probleme für dieses Land gebe, als über die Rechte intersexuell begabter Menschen zu sprechen. Dieses Haltung erscheint höchst paradox, denn dass diese Thematik über alle Maßen aufgebauscht wird, dass geht ja gerade von Menschen wie Kuban und seinen CDU-Parteikolleg_innen aus. Sie könnten doch genauso gut das Thema selbst voran bringen, endlich die menschenrechtswidrigen medizinischen Eingriffe an intersexuellen Kindern ohne medizinische Notwendigkeit verbieten, die Toilettenfrage auf die eine oder andere Weise lösen, verschiedene Gesetze ändern, Beratungsstellen finanzieren und sich dem, was immer sie auch wichtiger finden, dann in aller Ruhe widmen. Damit wäre allen gedient. Aber das scheint gar nicht das Ziel von Junger Union, CDU und auch nicht der CSU zu sein. So führte deren Innenministerium im letzten Jahr ein unwürdiges Schauspiel darüber auf, welchen Namen das dritte Geschlecht haben soll, statt einfach auf die Expertise der intersexuellen Verbände zu hören, also den Personen, die sich in diese Kategorie künftig einordnen (sollen). Intersexuell begabte Menschen gleichen sinnbildlich gesprochen, einem Stier, der in die politische Arena gezogen und dem willigen Publikum vorgeführt wird. Und hier darf in der Tat gefragt werden, ob die Unionsparteien nicht wirklich wichtigeres zu tun haben, als solch unnötige und selbst inszenierte Kämpfe zu führen und ob sie damit nicht in Wahrheit von ganz anderen Themen, wie etwa der sozialen Spaltung in Deutschland, ablenken wollen.
In der zweiten Strophe von Gellerts Lied heißt es:
Wer dieser Erden Güter hat,
und sieht die Brüder leiden,
und macht den Hungrigen nicht satt,
lässt Nackende nicht kleiden;
der ist ein Feind der ersten Pflicht,
und hat die Liebe Gottes nicht.
Ein hohes und wichtiges Gut ist politische Macht. Sie ermöglicht es, großen Einfluss auf das Leben vieler Menschen zu nehmen. Sie kann zum Guten genutzt, aber auch zum Schlechten missbraucht werden. Nicht umsonst rufen die Mitglieder der Bundesregierung in ihrem Amtseid (so sie diese Option wählen) Gott an, dass er ihnen dabei helfe, ihre Kraft zum Wohle des Volkes einzusetzen, dessen Nutzen zu mehren und Schaden von ihm abzuwenden. Menschen, die in der Nachfolge Jesu stehen, sind aufgefordert, die ihnen von Gott zur Verfügung gestellte Macht im Geiste der Nächstenliebe zu gebrauchen. Und das bedeutet zuallererst, die die zu den Schwächsten in der Gesellschaft gehören zu schützen. Wenn intersexuell begabte Menschen sagen, dass sie darunter leiden, dass sie nicht dieselben universellen Rechte haben, wie alle anderen, dann sind christliche Politiker_innen dazu verpflichtet dieses Leid ernst zu nehmen. Das Leid stattdessen lächerlich zu machen, ist keine verantwortliche Politik. Es ist eher eine Geste des Feudalismus. Und christlich ist sie schon gleich gar nicht. Christus hat sich immer für die Schwachen und Ausgegrenzten eingesetzt. Denen, die nach Gerechtigkeit hungern, weil ihr Geschlecht keine Anerkennung findet, die sollen, im Sinne des Liedes satt gemacht werden. Denen muss um Christi Willen gegeben werden, wonach ihnen verlangt. Das ist der Grund, warum Menschen von Gott in Verantwortung gestellt werden. Wer die politische Macht, die ihm gegeben ist, nicht in diesem Sinne einsetzt, der ist mit Gellert gesprochen ein Feind der ersten Pflicht.
Damit komme ich zur dritten Strophe, die ganz besonders aktuell zu sein scheint:
Wer seines Nächsten Ehre schmäht,
und gern sie schmähen höret;
sich freut, wenn sich sein Feind vergeht,
und nichts zum Besten kehret;
nicht dem Verleumder widerspricht;
der liebt auch seinen Bruder nicht.
Dass die Ehre intersexuell begabter Menschen der CDU-Vorsitzenden Annegret Kramp- Karrenbauer nichts wert ist, hat sie während ihres stark kritisierten Auftritts im diesjährigen Karneval bewiesen. Sie verspottet diese Bürger_innen, für die sie eines Tages vielleicht als Bundeskanzlerin verantwortlich sein wird, vorsätzlich. Besonders schlimm daran ist, dass sie, nachdem intersexuell begabte Menschen wie etwa Lucie Veith vom Bundesverband Intersexueller Menschenn e.V. erklären, sich von Kramp-Karrenbauers Ausfällen beleidigt zu fühlen, nicht etwa umkehrt und zugibt, einen Fehler gemacht zu haben, oder zumindest mit den Betroffenen darüber redet, weshalb sie ihre Äußerungen verletzt haben, also sich, mit Gellerts Worten gesprochen nicht zum Besten kehret. Stattdessen verkündet die CDU-Vorsitzende, dass die Menschen, die Kritik an ihr üben, humorlos seien. Das heißt, Kramp-Karrenbauer beharrt darauf, dass ihre diskriminierenden Worte ein Witz gewesen sind. Sie untermauert damit nichts anderes als den Anspruch, dass sich über die Schwächsten dieser Gesellschaft ruhig lustig gemacht werden darf. Sie fordert damit ein Recht auf Herabwürdigung von Menschen unter dem Deckmantel des Witzes ein. Das ist mit der Nachfolge Christi nicht vereinbar. Sie widerspricht den Verleumder_innen nicht, die intersexuell begabten Personen gleiche Rechte abzusprechen versuchen, sondern macht sich mit ihnen gemein. Bewusst scheint sie die Nähe zu einem rechtspopulistischen Milieu zu suchen. Die Möglichkeit zur Distanzierung schlägt sie endgültig aus, indem sie schließlich die Debatte, die sie selbst verursacht, ohne ein Wort des Bedauerns für beendet erklärt. Und wer solches tut, der liebt, wie Gellert schreibt, auch seinen Bruder bzw. in diesem Fall seine Geschwister nicht und diskreditiert sich damit als Politikerin, die den Anspruch erhebt, christlich zu handeln.
Solange die CDU weiterhin in dieser Weise mit intersexuell begabten Menschen, aber auch mit homo- und bisexuell begabten Geschwistern oder mit Transgendern und Transsexuellen umgeht, wird sie sich fragen lassen müssen, ob das C in ihrem Parteinamen wirklich angemessen oder nicht eher fehlplatziert ist. Ein hoffnungsvolles Signal war es, dass nach Kramp-Karrenbauers entwürdigenden Verspottungen viele Parteien, Medien und NGOs klar gemacht haben, dass ein solcher Umgang mit intersexuell begabten Menschen nicht akzeptabel ist. Das ist gelebte Nächstenliebe, gelebter Einsatz für die Geschwister, wie es Christenmenschen würdig ist. Ich persönlich habe in diesem Konzert leider die lauten Stimmen der Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) und der evangelischen Landeskirchen vermisst. Vielleicht sind die ja beim nächsten Angriff deutlicher zu vernehmen. Glücklicher Weise ist die letztgültige Gerechtigkeit nicht von Menschen abhängig, sondern von Gott, in dem sich Liebe und Gerechtigkeit vereinen.
Für diejenigen, die Gottes Liebe nicht üben wollen, kündigt Gellert in der letzten Strophe seines Liedes an:
Ein unbarmherziges Gericht
wird über den ergehen,
der nicht barmherzig ist, der nicht
die rettet, die ihn flehen.
Doch nicht mit dieser Ankündigung des Gerichtes endet der Texter sein Lied. In den letzten beiden Zeilen schließt er mit einem Gebet, das deutlich macht, dass eine Umkehr zur Liebe Gottes jeder Zeit möglich ist:
Drum gib mir, Gott durch deinen Geist
ein Herz, das dich durch Liebe preist.
Ich wünsche allen denen, die sich in der letzten Zeit so unbarmherzig über intersexuell begabte Menschen geäußert und sich an ihnen versündigt haben, dass Gott ihre Herzen zur Liebe bekehren möge.