Auf einer Konferenz der Southern Baptists wurde 2017 das so genannte "Nashville Statement", eine Abhandlung über Sexualität und Geschlechtsidentität verabschiedet. Die Unterzeichner beriefen sich auf die Gottgewolltheit der biologischen Geschlechter und auf die traditionelle Ehe. Dieses Statement hat 2017 in den USA für Aufregung gesorgt. Neben zahlreichen Befürwortern und Unterstützerinnen der Erklärung gab es auch Gegeninititativen, die das Nashville Statement kritisierten und eine eigene Erklärung veröffentlichten. Zu den promineten Kritikerinnen gehörte unter anderem Nadia Bolz-Weber, eine bekannte lutherische Pfarrerin aus Denver in Colorado. Sie verfasste als Antwort das so genannte „Denver Statement“, in dem sie der Nashville Erklärung Punkt für Punkt eine inklusive und queer freundliche Erklärung entgegensetzte.
Es hat zwei Jahre gedauert, bis das Nashville Statement ins Niederländische übersetzt wurde. Nun ist der Streit darüber in den Niederlanden angekommen.
Die konservative christliche Nashville Erklärung ist in den Niederlanden Anfang Januar 2019 zwar von 200 Gläubigen unterzeichnet worden. Gleichzeitig wurde sie dort von vielen Seiten mit Befremden aufgenommen. Zum Kontext:: Im Jahr 2001 wurde in den Niederlanden die gleichgeschlechtliche Ehe als erstes Land legalisiert. Das Land ist mehrheitlich offen gegenüber queeren Lebensformen eingestellt. Dagegen gelten nur 15 Prozent der Bevölkerung als gläubig. Unter diesen gibt es allerdings eine starke evangelikale Minderheit, die das Nashville Statement unterstützt. Aus Protest dagegen haben Lesben, Schwule, Bi- und Trans-Menschen (LSBT), Angehörige und Freundinnen Regenbogenfahnen von Regierungsgebäuden, Unternehmen, Kirchen und christlichen Bildungseinrichtungen gehisst, um gegen die Erklärung von Nashville zu protestieren.
Ich habe den protestantischen Pfarrer Wielie Elhorst aus Amsterdam zu den Ereignissen befragt. Wielie Elhorst ist zugleich Co-Präsident des Europäischen Forums christlicher LSBT Gruppen. Er engagiert sich in den Niederlanden für eine inklusive und queerfreundliche Theologie und offene und regenbogenfreundliche Gemeinden.
Söderblom: Lieber Wielie Elhorst, Du bist Pastor der protestantischen Kirche in den Niederlanden und Co-Präsident des Europäischen Forums christlicher LSBT-Gruppen. Worum geht es in der Debatte um die Nashville-Erklärung in den Niederlanden?
Elhorst: Es geht hauptsächlich um die Härte der in dem Statement verwendeten Worte. In der Erklärung wird eine klassische christliche Ansicht über Sexualität, Ehe und Geschlechtsidentität vorgelegt. Es wird ganz klar gesagt, dass jeder, der sich dieser Ansicht widersetzt, irrt und in Sünde lebt. Es heißt, Homosexualität könne „geheilt“ werden, eine ehe könne nur zwischen einem Mann und einer Frau geschlossen werden und Trans-Menschen seien verwirrt und täuschten sich. Diese Worte beleidigen und beschädigen viele LSBT Menschen, insbesondere solche, die sich konservativen protestantischen Gruppen und Gemeinden zugehörig fühlen.
Söderblom: Warum wurde diese Aussage in den Niederlanden zwei Jahre nach ihrer ursprünglichen Veröffentlichung in den USA plötzlich zu einem so heißen Thema?
Elhorst: Weil die niederländische Version am Wochenende vom 5. und 6. Januar veröffentlicht wurde. Die ursprüngliche Erklärung war nur in kleinen Kreisen bekannt. Aber niemand hat es für möglich gehalten, dass sie in den Niederlanden so unkritisch aufgenommen würde. Die Erklärung ist sehr amerikanisch, beeinflusst von religiösen Rechten weltweit. Letztere versuchen, die Debatte über Sexualität und Geschlechtsidentität ideologisch in ihrem Sinne zu prägen. Zudem behaupten sie, dass Menschen sich für ihre Sexualität und Geschlechtsidentität entscheiden können. Diese Behauptungen reflektieren in keinster Weise bisherige wissenschaftliche Erkenntnisse in den Niederlanden. Sie stimmen auch nicht mit den Debatten überein, die wir in den letzten zehn Jahren geführt haben.
Söderblom: Was ist Deine persönliche Meinung zu den Behauptungen und wie hast Du auf die aktuellen Ereignisse in den Niederlanden reagiert?
Elhorst: Jeder hat natürlich ein Recht auf seine Meinung, auch im Bereich des öffentlichen Lebens. Aber ich hoffe, dass die Leute darüber nachdenken, was sie „da draußen“ sagen und in Vorträgen und Predigtenpräsentieren.
Meine Gedanken zum Inhalt: Die Erklärung verweigert und verwirft alle theologischen und bibelwissenschaftlichen Forschungsergebnisse der letzten Jahrzehnte. Diese helfen, Sexualität und Geschlechtsidentität besser verstehen zu lernen, auch im Hinblick auf die Welt, in der wir leben. Die Erklärung bezieht sich zudem auf keinerlei fundierte biblische Hermeneutik. Ich sorge mich um die Auswirkungen der Erklärung auf Menschen, die aus konservativen reformierten und evangelikalen Gemeinschaften kommen. Untersuchungen zeigen, dass junge Menschen in diesen Gemeinden, die entdecken, dass sie lesbisch, schwul, bi* oder trans* sind, häufiger an Selbstmord denken als andere Jugendliche.
Söderblom: Was erwartest Du von den beteiligten Akteuren?
Elhorst: Selbstreflexion und ein Überdenken ihrer Positionen. Ich erwarte, dass sie aufwachen und die Wirklichkeit einer veränderten und komplexeren Welt des 21. Jahrhunderts erkennen. Ich fordere sie auf, sich auf substanzielle Bibelauslegungen einzulassen und sie in ihrer Meinungsbildung zu berücksichtigen.
Söderblom: Ist die Erklärung von Nashville für ganz Europa von Bedeutung, und wenn ja, was kann das Europäische Forum christlicher LSBT tun?
Elhorst: Die Sprache der Erklärung spiegelt die international verwendete Terminologie konservativer und fundamentalistischer Gruppierungen wider. Die Art und Weise, in der konservative Gruppen weltweit und auch in Europa ihre Reihen schließen, ist sehr besorgniserregend. Sie werden von Organisationen (mit viel Geld) unterstützt. Sie versuchen, die Gestaltung von Inklusions- und Nichtdiskriminierungsgesetzen der EU in den Mitgliedsländern zu beeinflussen und die Verabschiedung von Resolutionen im Europarat zu verhindern. Darüber hinaus beeinflussen sie in aggressiver Weise die öffentliche Meinung in ihrem Sinne, wie man in Ost- und Mitteleuropa beobachten kann.
Seit Juli 2016 ist das Europäische Forum christlicher LSBT Gruppen im Europarat vertreten. Durch unsere Präsenz versuchen wir, eine konstruktive Brücke zwischen den Menschenrechten von LSBT und den Religions- und Glaubensfreiheitsrechten zu schlagen. Ziel ist es, Kompromisse zu schließen und alternative Gesprächsnarrative zu entwickeln. Es wäre hilfreich, wenn alle Mitgliedsgruppen des Europäischen Forums christlicher LSBT Gruppen in ganz Europa das Leben religiöser LSBT Menschen stärker sichtbar und hörbar machen, mit allen Freuden und Nöten. Mitglieder sollten sich stärker an den öffentlichen Debatten beteiligen. Darüber hinaus sollten Kontakte zu Gemeinden und Kirchen verstärkt werden, um einen Perspektivwechsel einzuleiten und die öffentliche Meinung besser über die Lebenswirklichkeit von LSBT zu informieren. Dann müssen wir auch keine Angst mehr vor der Nashville-Erklärung haben.