„Wir geben nicht auf!“
Ein Buch über gläubige LSBTIQ in Russland.
Dr. Kerstin Söderblom
Vom 15. bis zum 18. November 2018 sollte eigentlich das diesjährige Forum für christliche Lesben, Schwule, Bi* und Trans* Menschen (LSBT) in Osteuropa und Zentralasien in Jerewan/Armenien stattfinden. Aufgrund von Gewalt, Vandalismus und Todesdrohungen musste es abgesagt werden.

Auch ich war zu diesem Osteuropäischen Forum in Jerewan/Armenien angemeldet. Ich sollte einen Workshop über die queere Re-Lektüre eines Bibeltextes halten. Zudem sollte zeitgleich ein Treffen des Osteuropäischen Mentoringprojekts des Europäischen Forums für christliche LSBT Gruppen stattfinden. Ich arbeite in diesem Mentoringprojekt als Mentorin mit.

Seit über einem halben Jahr arbeiten die Veranstalter und Veranstalterinnen an den Vorbereitungen der Konferenz und des Mentoringtreffens. Sie haben Podiumsdiskussionen, Plenardebatten, Workshops und Gottesdienste vorbereitet, Vortragende gewonnen und Räume organisiert. Seit 2004 wird diese Konferenz für osteuropäische und zentralasiatische christliche Lesben, Schwule, Bi*, Trans*, Inter* und Queere Menschen (LSBTIQ) einmal im Jahr in einem anderen osteuropäischen Land, wie der Ukraine, Estland, Moldawien, Rumänien und Russland, durchgeführt. Einfach war die Organisation dieser Tagungen auch bisher noch nicht. Aber abgesagt werden musste noch keine dieser Konferenzen.

All die Vorbereitungsarbeit im Vorfeld der Konferenz war umsonst. Und warum? Weil politische Oppositionsparteien es geschafft haben rechtsnationale, extremistische und fundamentalistische Kräfte in Armenien zu mobilisieren. Diese haben mit Hilfe von Vandalismus, Gewalt und Todesdrohungen Angst verbreitet und friedliche Solidaritätsarbeit für LSBTIQ diskreditiert und lahmgelegt. Die Oppositionsparteien hoffen mit diesen Aktionen ihre Chancen auf Gewinn der anstehenden Wahlen am 9. Dezember zu erhöhen.

Ich bin schockiert, fassungslos und entsetzt, wie wenig es braucht, um konstruktive und friedliche Menschenrechtsarbeit für Minderheiten zu zerstören. Weder von der Polizei noch von der armenischen Regierung gab es Unterstützung für die verantwortliche Nichtregierungsorganisation „New Generation“ aus Jerewan. Das Auto des Vorsitzenden der Nichtregierungsorganisation Sergey Gabrielian wurde demoliert, nicht beteiligte Touristen, die fälschlicherweise für Teilnehmende der Konferenz gehalten wurden, wurden zusammengeschlagen. Die Organisatoren bekamen Todesdrohungen. Und Polizei und Regierung taten … nichts.

Dabei hatten die Menschen große Hoffnungen in die neue Regierung unter dem neuen Premier Nikol Paschinian gesetzt, die sich seit Frühjahr 2018 für ein demokratisches Armenien einsetzt und mit der sogenannten "samtenen Revolution" im In- und Ausland von sich reden gemacht hat. Wenn es um gewalttätige rechtsnationale Kräfte im eigenen Land geht, die sich durch scharfe Homo- und Fremdenfeindlichkeit profilieren, scheint die neue Regierung aber zu kapitulieren. Sie traut sich nicht dagegen zu halten, da sie sich davor fürchtet als „westlich dekadent“ und als Verräter von traditionellen osteuropäischen Werten beschimpft zu werden. Statt Minderheiten zu schützen, schaut die Regierung lieber weg und macht gar nichts. Das ist frustrierend und lebensgefährlich für Minderheiten in Armenien. Kein guter Start für die neue demokratische Entwicklung des Landes. 

Die Veranstalter haben dazu in der Presseerklärung zur Absage der Osteuropäischen und Zentralasiatischen Konferenz Folgendes geschrieben:

„Armenien steht ein langer Weg demokratischer Veränderungen bevor. Das Land ist Mitglied von Menschenrechtsinstitutionen wie dem Europarat, und wir rufen die Machthabenden auf, sich bewusst zu sein, dass Respekt und Schutz aller Bürgerinnen und Bürger eine Conditio sine qua non ist. Wir vertrauen auf die Weisheit und die Liebenswürdigkeit der Menschen in Armenien und bieten ihren in diesen Herausforderungen unsere Solidarität an. Armenien nennt sich mit gutem Recht das erste christliche Land der Welt. Wir erinnern alle Menschen, besonders die Armenierinnen und Armenier daran, dass Gewalt nicht zu den wahren christlichen Tugenden gehört, Akzeptanz, Liebe, Respekt, Vielfalt und Solidarität dagegen sehr wohl.“

Des Weiteren betonen die lokalen und internationalen Organisatoren der Konferenz, dass es im nächsten Jahr wieder eine Osteuropäische Konferenz für christliche LSBTIQ geben wird. Sie lassen sich von Todesdrohungen, Hass und Gewalt nicht einschüchtern. Sie werden sich weiterhin für Respekt und für die Einhaltung der Menschenrechte für alle einsetzen und den betroffenen Minderheiten einen sicheren Ort für Austausch, Solidarität und Gebet ermöglichen.

„Wir geben nicht auf!“, rufen sie all denen zu, die ihre Arbeit lahmlegen wollen.

Nur einige Tage nach der Absage der Konferenz in Armenien musste am 9. November auch in Moskau/Russland die 5. bis dahin jährlich stattfindende Regenbogenkonferenz für LSBTIQ Familien und ihre Freundinnen und Freunde abgesagt werden.

Auch diese Konferenz war von den Veranstaltern, der Gruppe „Resource LGBTQIA Moscow“, schon seit langem geplant worden und sollte in privaten Räumen in Moskau stattfinden. Yulia Malygina, die Leiterin von Resource LGBTQIA Moscow, hatte in den Tagen vor der Konferenz eine steigende Anzahl von Hassmails über soziale Medien erhalten. Aufgrund von massiven Drohungen und Übergriffen gegenüber zwei Mitorganisatoren entschieden sich die Verantwortlichen die Bewilligung der Räume für die Konferenz zurückzuziehen. Die kurzfristige Suche nach Raumalternativen war zunächst erfolgreich. Es gelang einen Teil der Seminare stattfindenzulassen, bevor auch der neue geheime Standort durch Trolle veröffentlicht wurde. So musste die Konferenz aufgrund von weiteren Drohungen und Pfeffersprayattacken gegenüber Mitorganisatoren schließlich ganz abgesagt werden. Die Gefahr von weiteren Übergriffe war zu groß.

Die Konferenzbeiträge wurden daraufhin zum Teil als Lifestream im Internet verbreitet. Das Vorbereitungsteam der Regenbogenkonferenz ist enttäuscht und geschockt. Denn seit einigen Jahren konnte die Konferenz bisher in privaten Räumen stattfinden. Aber die allgemeine Gewaltbereitschaft gegen LSBTIQ scheint stetig anzuwachsen. Hacker und Trolle, die sich in angeblich geschützte Onlineräume einschleichen, werden immer professioneller und setzen alles daran, LSBTIQ Arbeit zu behindern oder gar zu zerstören. Dennoch sagen auch hier die Veranstalter und Organisatorinnen:

„Wir geben nicht auf!“

Auch ich und viele andere werden mit aller Kraft weiter mit unseren christlichen Schwestern und Brüdern in Osteuropa und Zentralasien zusammenarbeiten und sie unterstützen, wo wir können. Ich hoffe darauf, dass auch christliche Kirchen in Europa und darüber hinaus ihren christlichen Schwestern und Brüder in Armenien, Russland und anderswo beistehen, die aufgrund ihrer sexuellen Orientierung und Genderidentität verfolgt, beleidigt und angegriffen werden.

Das Europäische Forum Christlicher LSBT Gruppen ruft am Ende der oben genannten Presseerklärung ebenfalls zur Unterstützung auf:

„Wir rufen alle Institutionen der Demokratie und der Menschenrechte auf, unseren Protest in dieser Situation laut und deutlich zu unterstützen, und dies gegenüber der armenischen Regierung deutlich zu machen.
Wir rufen auch alle Kirchen und religiösen Gemeinschaften und Gläubigen auf, am 18. November, dem geplanten Abschlusstag der abgesagten Konferenz in Armenien, eine Gebetswache zu halten und für die LSBTI Menschen in Armenien zu beten, für ihre Sicherheit, ihre Freiheit und ihre Rechte.“

Für mehr Informationen zu den Vorkommnissen in Armenien lesen Sie bitte die gesamte Presseerklärung.

Zu den Vorkommnissen in Moskau und Russland insgesamt lesen Sie bitte die Informationen von Human Rights Watch.