Was war da los?
Eingentlich war es eine tolle Sache. Eine Gruppe der Katholischen jungen Gemeinde (KjG) aus der Region Rottenburg-Stuttgart hat sich am diesjährigen Christopher Street Day (CSD) in Stuttgart erstmals beteiligt. Der KjG Diösesanverband war laut katholisch.de vom 30.07.2018 mit 70 bis 100 Mitgliedern beim Stuttgarter CSD vertreten. Am Ende hat die KjG sogar einen ersten Preis gewonnen. Der Preis wird nach Angaben der fünfköpfigen Jury jedes Jahr an drei Gruppen verliehen,
„die bei ihrer Teilnahme an der Demonstration für Vielfalt, Akzeptanz und Gleichberechtigung besonders herausragende Leistungen zeigen.“
Wie hat die KjG das geschafft?
Mitglieder der Gruppe hatten auf ihren Plakaten ein Zitat von Papst Franziskus abgedruckt. Es lautete:
"Gott hat dich so geschaffen. Gott liebt dich so, und du solltest dich selbst lieben und dir keine Gedanken machen, was die Leute darüber sagen."
Diese Worte hatte der Papst an das Missbrauchopfer Juan Carlos Cruz aus Chile gerichtet. Cruz ist schwul.
Und auf einer Regenbogenfahne stand der Spruch:
„Jesus hatte auch zwei Väter!“
Diese Zitate haben den Veranstaltern und Teilnehmenden des Stuttgarter CSD gut gefallen. Auch die Jury des CSD Preises sah das so. Daher wurde die Auszeichnung der katholischen Jugendgruppe zugesprochen.
Die Reaktionen
Dieser Preis hat in der Folge einiges an medialem Echo produziert. Nach Veröffentlichungen auf www.katholisch.de und www.bento.de/queer gab es unzählige Kommentare, Jubelrufe und Empörung.
Laut Miriam Lay, der Diözesanleiterin der KjG in der Region Rottenburg-Stuttgart, waren die Reaktionen unterschiedlich. Die einen freuten sich über die Aktion und den Preis und waren stolz auf die jungen Leute. Aus der queer Community gab es Applaus aber auch kritische Kommentare. Sie richteten sich vor allem gegen die Institution der katholischen Kirche, die offiziell immer noch sehr homo- und transfeindlich agiere und deshalb von vielen kritisch gesehen wird.
Die Mitglieder vom Global Network of Rainbow Catholics kritisieren beispielsweise, dass die katholische Kirche ihre Mitarbeitenden im Haupt- und Ehrenamt aufgrund ihrer sexuellen Orientierung und Genderidentität weitweit nach wie vor diskriminiert und ihnen Gleichberechtigung vorenthält. Aus der katholischen Kirche selbst gab es ebenfalls unterschiedliche Reaktionen. Viele Mitglieder insbesondere an der Basis haben sich über die Aktion gefreut und sie unterstützt.
Miriam Lay ist selbst auf dem CSD mitgelaufen und begründete dies in einem Interview mit Jan Petter von Bento wie folgt:
„Auch in der katholischen Kirche gibt es Menschen, die lesbisch, schwul, bi- oder transsexuell sind. In der Vergangenheit haben diese Menschen Leid erfahren. Deshalb wollten wir zeigen, dass für alle Platz bei uns ist.“
Die Gruppe hat sich danach aber auch viel Kritik anhören müssen. Noch einmal Miriam Lay in dem Interview :
„Einige sprachen uns das Katholisch-Sein ab, weil wir mit unserer Teilnahme am CSD der traditionellen Haltung der Kirche widersprochen haben.“
Was Lay den Kritikern entgegenhält:
„Unser tiefer Glaube ist das Vertrauen in Gottes Liebe, die keine Grenzen kennt. Deshalb will die KjG, dass die Kirche sich allen Menschen gegenüber öffnet und alle gleich behandelt. Dazu gehört, ihre Lebensrealität nicht nur wahrzunehmen, sondern ernstzunehmen. Wenn zwei Menschen sich lieben, gibt es keinen Unterschied, ob sie hetero- oder homosexuell sind.“
Worum ging es beim CSD Stuttgart eigentlich?
Christopher-Street-Paraden werden jedes Jahr in vielen deutschen Städten und weltweit gefeiert. Ich habe darüber in meinem letzten Blogeintrag berichtet. Die Paraden erinnern an die Proteste von etwa 400 Menschen in New York im Jahr 1969. Sie hatten sich am 28. Juni 1969 erstmals gegen gewalttätige Razzien und homo- und transfeindliche Polizeiübergriffe in der Bar „Stonewall Inn“ in Greenwich Village/New York und an anderen Orten gewehrt. Der Protest ging als die Geburtsstunde der schwul-lesbischen und transidenten Befreiungsbewegung in die Geschichtsbücher ein. Bis heute wird mit jährlich stattfindenden Paraden an diese Proteste erinnert. Und es wird anhand von konkreten Lebensschicksalen aus verschiedenen Ländern gezeigt, dass auch im 21. Jahhundert weltweit noch erschreckend viele homo- und transfeindliche Diskriminierung und Gewalttaten geschehen.
"Expedition WIR"
In Stuttgart hatte der CSD Ende Juli 2018 das Motto "Expedition WIR". Die Verantwortlichen schrieben dazu auf ihrer Webseite:
„Expedition WIR – das ist der Aufbruch in eine Gesellschaft, in die sich alle einbringen können. Niemand vermag dabei konkret zu wissen, wie genau diese Gesellschaft aussehen soll und wie sie aussehen wird. Keine Person, keine gesellschaftliche Gruppe und keine Weltanschauung – denn es gibt keine Blaupause für die Zukunft. Diese Gesellschaft entsteht im Dialog und im gegenseitigen Austausch, gewissermaßen auf Augenhöhe: Verständnis und Nähe bilden sich durch Empathie und die Bereitschaft zum Wechseln von Perspektiven.“
Es geht folglich um eine Weggemeinschaft, die sich auf dem Weg besser kennen- und verstehen lernt. Es geht darum, eine sozial, kulturell und religiös plurale Gesellschaft zukünftig so zu gestalten, dass alle Menschen ihren Platz finden und sich für ein respektvolles Miteinander einsetzen, unabhängig von ihrer Herkunft, Hautfarbe, Genderidentität, unabhängig von Alter, körperlichen Einschränkungen oder sexueller Orientierung. Diese Weggemeinschaft fordert von jedem und jeder Einzelnen die Bereitschaft, Perspektiven zu wechseln und gesellschaftliche Herausforderungen mit den Augen von Anderen wahrzunehmen, auch in kirchlichen Institutionen und religiösen Gemeinschaften. Es geht darum, für Gleichberechtigung und Respekt für alle einzutreten, auch für lesbische, schwule, bi-, trans* und intersexuelle Menschen. Da ist vor allem in der katholischen Kirche, aber auch in anderen religiösen Gemeinschaften, noch einiges zu tun. Umso erfreulicher ist das Engagement der katholischen Jugend aus der Diözese in Rottenburg Stuttgart. Die Jugend macht´s vor. Das macht Hoffnung!