Die zehn Mentees des Mentoringprogramms des Europäischen Forums christlicher LSBT Gruppen (Europäisches Forum) kommen aus Russland, Polen, Ungarn, Kroatien, Armenien und Aserbaidschan. Die zehn Mentorinnen und Mentoren kommen aus der Schweiz, den Niederlanden, aus Estland, England und Deutschland. Anfang Februar 2018 haben sie sich in Mzcheta bei Tiflis in Georgien für ein verlängertes Wochenende getroffen. Thema: Die Auftakt- und Einführungsveranstaltung für die zweite Runde des Mentoringprogramms für christliche Lesben, Schwule, Bi- und Transsexuelle, die in Osteuropa leben. Die erste Runde hat von 2015 bis 2016 stattgefunden.
Die osteuropäischen christlichen Mentees haben einerseits mit homo- und transfeindlichen Regierungen und Gesellschaften zu tun. Sie werden bespuckt, angefeindet, kriminalisiert und verfolgt. Andererseits haben sie mit aggressiv gegen sie predigenden Kirchen zu tun. Nicht nur die Römisch Katholische und die Russisch Orthodoxe Kirche sprechen sich in Osteuropa offen gegen Lesben, Schwule, Bi- und Transsexuelle (LSBT) aus, sondern auch die Protestantischen Kirchen und die Freikirchen.
Was für eine Herausforderung so zu leben: Schwul , lesbisch, bi, trans, queer und gleichzeitig gläubig. Ich selbst bin eine der Mentorinnen und habe den Erfahrungen und Lebensgeschichten der Mentees zugehört. Ich war erschüttert über einige der Berichte. Wie können Menschen andere Menschen nur so verunglimpfen, sie beschimpfen und beleidigen, ohne dass sie sie kennen? Wie können sich Menschen christlich nennen und mit der Bibel in der Hand gegen andere Gläubige so hasserfüllt und menschenverachtend reden und handeln? Das passt für mich überhaupt nicht zusammen. Ich bin wütend auf das, was meine christlichen Schwestern und Brüder in ihren osteuropäischen Heimatländern erleben müssen. Und ich bin stolz auf sie, weil sie versuchen das Beste daraus zu machen.
Auch in Georgien ist die Situation für LSBT nicht einfach. Sie werden in Georgien zwar nicht kriminalisiert und verfolgt. Aber verunglimpft und gedemütigt werden sie schon. Allen voran ist die Georgische Orthodoxe Kirche dafür verantwortlich. Seit dem Zerfall der Sowjetrepubliken und ihrer kommunistischen Ideologie ist die Georgische Orthodoxe Kirche sehr mächtig. Sie genießt Verfassungsrang und Steuerfreiheit und wird staatlich gefördert. Was die orthodoxen Priester predigen, gilt als gesetzt und wird geglaubt. So auch deren Aussagen Homosexualität sei Sünde und werde von Gott verdammt. Entsprechend werden säkular aktive LSBT in Georgien öffentlich beschimpft. Und in der Vergangenheit wurden sie bei Veranstaltungen sogar angegriffen. Das ist der Grund, warum die meisten Georgischen LSBT Aktivisten nichts mit Kirchen oder überhaupt mit Religionen zu tun haben wollen. Das bedeutet aber auch, dass den religiösen Wortführern komplett das Feld überlassen wird, wenn es um so genannte moralische Werte und Vorstellungen im Hinblick auf Familien- und Lebensformen geht.
Dieses Dilemma wurde während des Wochenendes bei einem Treffen mit Wortführern der Georgischen Nichtregierungsorganisation „Identoba“, einer Georgischen Menschenrechtsorganisationen für LSBT in Tiflis angesprochen. Einer der Wortführer, Levan Berianidze, bestätigte, dass sie ihre Energie lieber auf andere Menschenrechtsaktivitäten wie HIV-Prävention und staatliche Gleichberechtigung richteten als mit verbohrten Kirchenleuten über Familien- und Beziehungsformen zu diskutieren. Dass dadurch gläubige LSBT in Georgien allein gelassen werden, war ihnen bis dahin noch nicht in den Sinn gekommen. Sie wollten daher ihre Strategie gegenüber kichlichen und religiösen Gruppierungen noch einmal kritisch überdenken und mit dem Europäischen Forum zukünftig hinsichtlich religiöser Themen gegenbenenfalls kooperieren.
Während des Wochenendes in Georgien sind die Teilnehmenden des Mentoringprogramms zusammen gewachsen. Wir haben uns unsere Lebensgeschichten erzählt. Wir haben über Glauben, Zweifel und Verzweiflung gesprochen. Wir haben die biblische Josefsgeschichte miteinander gelesen, queer ausgelegt und unsere Gedanken dazu geteilt. Wir haben viel über interkulturelle Kommunikation und Stereotypen gelernt, miteinander Gottesdienst und Abendmahl gefeiert und getanzt. Und das alles in wenigen Tagen.
Das wichtigste war für mich die Offenheit aller Beteiligten, die warmen Blicke, das herzliche Lachen und die vielen kleinen und großen Gesten, mit denen wir uns beschenkt haben. Genauso war es: wir haben uns gegenseitig beschenkt. Im Gottesdienst haben wir uns gesegnet. Und wir haben uns Herzenswärme geschenkt, obwohl - oder gerade weil - so viele Beteiligte im Alltag Vorurteile, Hass und Gewalt ertragen müssen. Diese Hingabe und Zuwendung haben allen gut getan. Gerade denjenigen, die in ihren Heimatländern aus Angst vor Aggression und Gewalt schnell in Deckung gehen müssen. Dafür dankt das Europäische Forum auch der Arcus Foundation, die das Mentoringprojekt finanziell unterstützt.
Was für eine Wohltat sich gegenseitig zu unterstützen und zu segnen, sich Gutes zu wünschen und aufeinander aufzupassen. Was für ein Geschenk, eineinhalb Jahre miteinander auf Augenhöhre zu lernen, zu arbeiten und zu wachsen. Für die Zweiertandems in den monatlichen Skypeanrufen und den gegenseitigen Besuchen genauso wie für die gesamte Gruppe. Sie wird sich noch einmal im November 2018 in Erewan/Armenien treffen und zum Abschluss des Mentoringprogramms im nächsten Sommer in London. Ich freue mich auf die gemeinsame Reise und fühle mich schon jetzt reich beschenkt.