"Bist du jetzt etwa mit einem Flüchtling zusammen?", werde ich manchmal gefragt, wenn ich mit meinem Partner irgendwo auftauche. Viele halten ihn auf den ersten Blick für einen Afrikaner - doch das stimmt nicht, er ist Kolumbianer. Wie die meisten Länder Lateinamerikas hat aber auch Kolumbien in der Kolonialzeit viele afrikanischen Sklav*innen "importiert", rund 20 Prozent der Bevölkerung haben afrikanische Vorfahren.
Aber nein, mein Partner ist kein Flüchtling. Er ist nach Deutschland gekommen, um sich weiter zu qualifizieren und einen Master-Studiengang zu machen. Sein kolumbianisches Diplom wird ihm hier als Bachelor-Abschluss anerkannt - aber vor die Hochschulzulassung hat die deutsche Bürokratie noch die Sprachprüfung gesetzt. Natürlich ist das sinnvoll, denn die Studierenden müssen den Lehrveranstaltungen ja auch folgen können. Allerdings liegt die Hürde mit dem internationalen Niveau C1 schon ziemlich hoch, das ist fast muttersprachlich! So kämpft mein Freund also seit gut einem Jahr mit der Sprachvorbereitung. Die Kurse sind nicht gerade billig, und im ersten Semester sieht die Aufenthaltsgenehmigung auch keine Arbeitserlaubnis vor - die Menschen sollen sich auf das Sprachelernen konzentrieren. Ersparnisse aus einem guten Einkommen als Ingenieur in Kolumbien sind da natürlich schnell aufgebraucht...
"Du bist doch blöd - warum heiratest du nicht einfach einen deutschen Mann? Dann ist alles einfacher...", haben viele Latino-Freunde im letzten Jahr daher immer wieder zu meinem Partner gesagt. Ich kenne viele solche Paare hier in München - die große Liebe am Strand von Recife oder sonst wo in Lateinamerika und dann die schnelle Heirat, um hier zusammenzuleben. In einigen Fällen ging das gut, in anderen endete es in einem großen Drama von überzogenen gegenseitigen Ansprüchen, wechselseitigen Enttäuschungen und Vorwürfen. Der eine gut etabliert in Deutschland, zu Hause in der hiesigen Kultur, der andere fern von der Heimat und womöglich noch ohne gesicherte Existenz - das kann eine Beziehung schnell belasten.
"Mein Freund hat mich bald gedrängt zu heiraten", hat mir ein guter brasilianischer Freund neulich erzählt, "aber mir war es wichtig, zuerst meine eigene Arbeit und mein eigenes Aufenthaltsrecht zu haben. Erst dann habe ich in die Hochzeit eingewilligt." Solche Eigenständigkeit ist wichtig für eine gelingende Beziehung - gerade, wenn es in ihr sowieso ein kulturelles und ökonomisches Gefälle gibt.
Auch mein Partner hat sich diese Eigenständigkeit erarbeitet, seitdem er in Deutschland ist. Das war nicht immer einfach, das bewundere ich an ihm. Nur deshalb konnte ich mich auf eine Beziehung einlassen, denn um die Gefahren der eben genannten Gefälle weiß ich nur zu gut. Und doch gab es dann einen Punkt, an dem ich eben doch über meinen (deutschen) Schatten springen musste: "Ich will mit einem Partner erst zusammen ziehen, wenn ich ihn wirklich gut kenne und mir ganz sicher bin.", habe ich über viele Jahre gesagt - und daher selbst in langjährigen Partnerschaften meine eigene Wohnung gehabt. Wenn aber in einer Stadt wie München der Wohnraum knapp und teuer ist und der Partner plötzlich mit wenig Geld auf Wohnungssuche muss, dann stehen solche alten Überzeugungen in Frage. So wohnen wir nun zusammen - und üben das Miteinander der Kulturen. Bis jetzt gelingt das sehr gut!
Warum ich das in diesem Blog erzähle? Weil ich in den Umbrüchen der letzten Wochen viel darüber nachgedacht habe, welche Werte unser Leben in Deutschland bestimmen: Wie viel bedeutet mir finanzielle Sicherheit? Wie viel bedeuten mir meine eigene Freiheit und der Freiraum einer eigenen Wohnung - auch in einer Beziehung? Wie viel bin ich bereit, für eine Partnerin oder einen Partner aufzugeben? Und nicht zuletzt: Wie bewusst bin ich meiner eigenen kulturellen Prägung und wie offen bin ich, mich auf andere Kulturen einzulassen? Diese Frage gilt dann natürlich nicht nur in einer Beziehung, sondern auch mit Blick auf das Miteinander mit den Menschen, die tatsächlich als Flüchtlinge zu uns gekommen sind... Für mich sind das alles Aspekte der einen, wichtigen Frage, wie Gemeinschaft der Verschiedenen gelingen kann - in einer Partnerschaft, aber auch in unserem Land.