Was war passiert? Auf der Synode der Württembergischen Landeskirche (Kirchenparlament) war im Herbst 2017 ein Kompromissvorschlag von Landesbischof Otfried July abgelehnt worden. Eine Zweidrittelmehrheit wäre dafür notwendig gewesen. Es fehlten zwei Stimmen. Der pietistische Flügel der Synode hatte dagegen gestimmt und damit den bereits äußerst aufgeweichten Kompromissvorschlag blockiert. Ein weitreichender Antrag der "Offenen Kirche - Evangelische Vereinigung in Württemberg", war bereits vorher abgeschmettert worden. Er hätte die Öffnung der Landeskirche für die Trauung von gleichgeschlechtlichen Paaren im Gottesdienst bedeutet. Das aber war der Mehrheit der Synode zu viel. Doch nun ging die Debatte erst richtig los.
Nur kurze Zeit später wurde deutlich: Das Ergebnis der Abstimmung entzweit die Landeskirche mehr als je zuvor. Die einen feierten die Entscheidung als letztes Bollwerk eines konservativen Protestantismus. Viele andere reagierten entsetzt auf das Ergebnis. So haben sich etwa vierzig von fünzig Dekanen, also Leitungskräfte der sog. Mittleren Ebene der Landeskirche, dafür ausgesprochen, dass es kirchliche Segnungshandlungen für gleichgeschlechtliche Paare geben sollte. Rainer Hörmann hat in seinem Blogeintrag auf Kreuz & Queer darüber bereits berichtet. Darüber hinaus haben auch etwa fünfzig Pfarrer und Pfarrerinnen in der Landeskirche laut Stuttgarter Zeitung „den Aufstand geprobt". Sie haben angekündigt, trotz des Verbots der Synode gleichgeschlechtliche Paare auf Anfrage segnen zu wollen. Denn, so erklärt Pfarrer Burkhard Frauer aus Ditzingen der Stuttgarter Zeitung:
„Dadurch, dass nun aber nicht einmal ein Kompromissvorschlag des Oberkirchenrats in der Landessynode durchging, bleibt jede Art einer öffentlichen Amtshandlung für gleichgeschlechtliche Ehepaare in unserer Württembergischen Landeskirche unmöglich. Damit verweigert eine Minderheit einer deutlichen Mehrheit die Gewissensfreiheit, die sie für sich selber beansprucht.“
Auch Gisela Dehlinger ist unzufrieden mit der Synodenentscheidung. Sie ist eine der lesbischen Pfarrerinnen und schwulen Pfarrer, die die Diskussion um die Segnung gleichgeschlechtlicher Paare in der Württembergischen Landeskirche zurzeit ganz genau verfolgen. Sie war bei der Gründung der „Initiative Regenbogen“ dabei. Es ist eine Vereinigung von etwa dreißig evangelischer Kirchengemeinden der Württembergischen Kirche, die offen sind für lesbische Pfarrerinnen und Pfarrer. Ich habe auf Kreuz & Queer darüber berichtet.
Dehlinger hatte sich entschieden, ihre Lebensform auch in der Kirche offen zu leben. Sie hatte das Versteckspielen endgültig satt. Für ihre Offenheit hat sie sowohl Kritik als auch Solidarität erfahren. Am 10. Januar 2018 hat sie sich zu der aktuellen Debatte in der Württembergischen Landeskirche in der Süddeutschen Zeitung geäußert. Für Kreuz & Queer habe ich sie befragt.
Söderblom: Nach der Synode im Herbst 2017 ist die Debatte um die Segnung gleichgeschlechtlicher Paare in der Württembergischen Kirche weiter gegangen. Was ist der Stand der Dinge?
Dehlinger: Was im Oberkirchenrat geschieht, weiß ich nicht. Es heißt, es werde juristisch geprüft, ob der Oberkirchenrat eine Regelung ohne die Synode treffen kann. Aber genaueres ist dazu nicht bekannt. Schwule und lesbische Gemeindeglieder und Kirchengemeinderäte schreiben Briefe an den Bischof und die Synode und machen deutlich, was dieser Beschluss mit ihnen macht, wie sehr er sie verletzt und enttäuscht. Theologiestudierende melden sich bei unserem lesbisch-schwulen Konvent und fragen, wie sie uns unterstützen können. Und die Initiative Regenbogen bekommt neue Mitglieder! Gut finde ich, dass sich jetzt immer mehr heterosexuelle Kolleginnen zu Wort melden, die nicht hinnehmen wollen, dass unsere Kirche so ist, wie sie sich nach dem Synodalbeschluss zeigt: 80% der Dekaninnen haben in einem Appell an den Landesbischof deutlich gemacht, dass es eine kirchliche Amtshandlung zur Segnung von gleichgeschlechtlichen Paaren braucht. Ein Pfarrer hat eine Unterschriftensammlung gestartet, mit der Kolleginnen deutlich machen können, dass sie aus Gewissensgründen einem gleichgeschlechtlichen Paar, das darum bittet, eine Amtshandlung nicht verweigern werden.
Söderblom: Was sind die strittigen Fragen bei diesem Thema?
Dehlinger: Letztlich ist es eine hermeneutische Frage: Wie gehen wir mit der Bibel um, wie legen wir sie aus? Nehmen wir sie wörtlich (aber natürlich nicht alles, sondern nur diese Stellen....), oder interpretieren wir sie in ihrem historischen Kontext. Strittig ist für manche auch, ob es sich bei diesem Thema um eine Bekenntnisfrage handelt. Aus meiner Sicht ist das eine komplette Überhöhung, aber manche möchten es gern so hoch hängen.
Söderblom: Was ist jetzt zu tun?
Dehlinger: Für mich wird in dieser Entscheidung deutlich, dass wir ein Problem in der Landeskirche haben, das weit über das Thema "Öffentliche Segnung von gleichgeschlechtlichen Paaren" hinaus geht. Aus meiner Sicht geht es um die Frage, wie wir mit Verschiedenheit umgehen und ob wir in der Lage sind ‚versöhnte Verschiedenheit‘ zu leben. Dazu bräuchte es jetzt einen Gesprächsprozess auf allen Ebenen (Kirchengemeinden, Kirchenbezirke, Synode, Pfarrerschaft...). Aus meiner Sicht sollte Bischof July das jetzt anregen - und zwar richtig als Prozess mit Zeitplan, Unterstützungsangeboten (Erwachsenenbildung, Gemeindeberatung, etc.), Rückmeldungen usw.
Und dann bräuchte es eine neue Initiative in der Synode. Dass wir in einem Schritt eine völlige Gleichstellung beim Thema Segnung/Trauung bekommen, glaube ich nicht. Das wäre für viele ein zu großer Schritt. Aber ein neuer Antrag für eine öffentliche Segnung wäre gut, und zwar einer, der sich deutlich von dem sog. Kompromissvorschlag, über den im November abgestimmt wurde, unterscheidet. Der war ja unsäglich!
Söderblom: Was wünscht du dir von deiner Landeskirche?
Dehlinger: Eine klare Positionierung gegen Diskriminierung und Ausgrenzung. Nicht nur Worte, sondern Taten. Und letztlich natürlich die völlige Gleichstellung. Das betrifft die Segnungsfrage, das betrifft aber natürlich auch das Zusammenleben im Pfarrhaus, das bei uns ja immer noch "im Grundsatz nicht möglich" ist.