Wer Nulf Schade-James kennt, wundert sich nicht über die emotionale und kraftvolle Sprache in seiner Autobiografie. So spricht er auch. Direkt und leidenschaftlich. Als engagierter Seelsorger, der sich für Jugendliche auf dem Weg zum eigenen Leben stark macht, als glühender Redner auf Veranstaltungen der HuK (Homosexuelle und Kirche) auf Kirchentagen, Synodentreffen oder Diskussionsveranstaltungen zu sexueller Vielfalt und zu verschiedenen Lebensformen. Genauso begeistert er als Künstler auf der Bühne. Er singt, tanzt, lacht und berührt sein Publikum. Was Nulf Schade-James anpackt, scheint er mit vollem Einsatz zu tun. Laut und öffentlich. So erlebe ich ihn als Kollegin. Dass sein Leben auch Schattenseiten und Krisen kennt, wird in seiner Autobiografie schmerzhaft deutlich.
Nulf Schade-James ist 1958 in Gedern im Vogelsberg geboren. Er ist Pfarrer in der Friedensgemeinde im Frankfurter Gallusviertel und seit über 20 Jahren mit dem US Amerikaner David James verpartnert und verheiratet. Als Greta Gallus, Freifrau von Sodom ohne Gomorrha, war Schade-James jahrelang auf Kabarettbühnen zu bewundern.
Wer sein Buch liest, weiß, dass die schillernde Seite seines Lebens nur die Hälfte der Wahrheit ist. Nulf Schade-James ist eine bemerkenswerte Persönlichkeit des öffentlichen Lebens. Er wurde vom Schwulenmagazin hinnerk im Jahr 2002 auf Position 41 der bedeutendsten schwulen Persönlichkeiten in Deutschland gewählt. Andererseits hatte er als junger Mann und Theologiestundent lange Durststrecken zu überwinden. Fragen quälten ihn: Wer bin ich? Wie will ich leben? Was ist meine Berufung?
Als Nulf Schade-James als junger Mann mühsam begriff, dass er Männer liebte, hatte er lange Zeit eine höllische Angst vor seinem Coming Out. Wie würden seine Familie und seine Freude reagieren? Wie würde sich die Evangelische Kirche in Hessen und Nassau verhalten? Also die Kirche, bei der er als Pfarrer arbeiten wollte? Anfang der neunziger Jahres des 20. Jahrhunderts war eine offene und unterstützende Haltung von evangelischen Landeskirchen in Deutschland noch lange nicht selbstverständlich. Es gab schwule Pfarrer zum Beispiel in der Lutherischen Kirche in Hannover, die von ihren Pfarrstellen suspendiert und in den Wartestand versetzt wurden. Denn ihre Lebensform galt wahlweise als unwürdig, sündig oder für einen Pfarrer als ungeeignet.
Blühte Nulf Schade-James dasselbe Schicksal, wenn er sich vor den Personalverantwortlichen seiner Landeskirche outete? Doch die Verantwortlichen in der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau reagierten unterstützend und suchten gemeinsam mit Schade-James nach machbaren Lösungen. Seine Einstellung in den kirchlichen Dienst war trotz aller Herausforderungen wegen seiner Lebensform nicht gefährdet.
In Schade-James Autobiografie kann man ein Stück neuere westdeutsche Kirchengeschichte zum Thema Homosexualität und Kirche nachlesen. Persönlich formuliert und durch die Brille eines schwulen Theologen eingefärbt. Und dadurch erfrischend konkret. Insofern ist das Buch ein persönliches und engagiertes Zeugnis einer langen und emotionalen Kontroverse. In dieser ging und geht es um nichts weniger als um das Schicksal von Lesben und Schwulen in christlichen Kirchen auf dem Weg ins 21. Jahrhundert. Es ist ein leidenschaftliches Ringen um Gleichberechtigung, um ein würdiges Leben ohne Doppelmoral, Ausgrenzung und Diskriminierung in Kirche und Staat.
Viele Rückschläge gab es auf diesem Weg, Diffamierungen, Ausgrenzungen, persönliche Verletzungen und dramatische Schicksale. Nicht wenige Lesben, Schwule, Bi- und Transsexuelle haben auf diesem Weg den Kirchen den Rücken gekehrt. Sie sind ausgetreten, haben sich enttäuscht zurückgezogen, haben ihr haupt- oder ehrenamtliches Engagement zurückgezogen. Denn sie wurden nicht als gleichberechtigte Gemeindeglieder in christlichen Gemeinschaften angesehen. Es wurde viel diskutiert, übereinander statt miteinander geredet, Moral gepredigt und besser gewusst. In allen Landeskirchen war das Thema ‚Homosexualität und Kirche‘ mehr als einmal Thema in regionalen und überregionalen Kirchenparlamenten (Synoden). Schlussendlich wurde aber immerhin miteinander debattiert: Auf Kirchentagen, auf Synoden und den vorbereitenden Veranstaltungen drumherum. Das war teilweise mehr als in Politik und Gesellschaft über das Thema gesprochen wurde.
Diese Tatsache hat über Jahrzehnte hinweg ein langsames Umdenken in den Kirchen zur Folge gehabt. Die vielen positiven Beschlüsse zu Segnungsgottesdiensten in den evangelischen Landeskirchen bestätigen dies. Auch wenn das kontroverse Streiten und Ringen rund um sexuelle Vielfalt und Lebensformen bis heute anhält.
Auch die berechtigte Feierlaune von vielen Lesben und Schwulen aufgrund der Entscheidung für die ‚Ehe für alle‘, die seit Anfang Oktober 2017 in Deutschland rechtskräftig gilt, hat einen bitteren Beigeschmack. Denn noch immer steht in acht Ländern laut der International Lesbian and Gay Association (ILGA) auf Homosexualität die Todesstrafe (im Iran, in Saudi-Araben, in Jemen und im Sudan, zudem in bestimmten Regionen von Somalia und Nigeria sowie in einigen vom "Islamischen Staat" besetzten Gebieten im Irak und Syrien. In fünf weiteren Staaten steht die Todesstrafe zumindest noch auf dem Papier: Pakistan, Afghanistan, Vereinigte Arabische Emirate, Katar and Mauretanien). In 72 Ländern ist Homosexualität ein Straftatbestand und wird teilweise mit langen Haftstrafen geahndet.
Nulf Schade-James kann auch dazu einiges berichten. Denn er hat als junger Vikar und Theologe zwei Jahre in Kairo gelebt und in der dortigen evangelischen Gemeinde und der deutschen Schule in Kairo gearbeitet. In dieser Zeit war er mit einem jungen Ägypter zusammen. Er musste die Beziehung in seinem Umfeld geheim halten. Zu gefährlich war es, dass die Information in falsche Hände geriet. Diese Beziehung überlebte alle kulturellen und religiösen Hürden in Kairo. Als Schade-James wieder nach Deutschland zurückkam, erlebte er dann die Hürden der deutschen Bürokratie. Eine für die Aufenthaltsgenehmigung eingefädelte Heirat von seinem Freund mit einer deutschen Frau hielt die Beziehung nicht aus.
Dieses Wissen um Ungerechtigkeit, Demütigung und behördliche Abhängigkeiten prägte die theologische Arbeit von Nulf Schade-James fortan umso mehr. Er wurde zum Seelsorger und Mentor für alle, die sich an den Rand gedrängt fühlten, für Ausgegrenzte, Suchende und Verzweifelte. Das offene Auftreten des schwulen Pfarrers, Sängers und Künstlers macht den Menschen Mut. Sie schätzen seine klaren Worte und sein leidenschaftliches Auftreten.
Ich habe Nulf Schade-James einige Fragen zu seinem Buch gestellt:
Söderblom: Was war deine Motivation, das Buch zu schreiben?
Schade-James:
„Meinen Weg als Schwuler in die Kirche wollte ich aufschreiben. Arbeitstitel war und ist bis heute: ‚Ich danke Dir dafür, dass ich wunderbar gemacht bin, wunderbar sind Deine Werke, das erkennt meine Seele‘. Dieser Titel war für meine damalige Beraterin zu lang. Aber unter diesem Titel habe ich das Buch aber geschrieben.“
Söderblom: Was ist die wichtigste Botschaft in deinem Buch?
Schade-James:
„Ich möchte damit zeigen, wie wunderbar Gott ist, vielfältig und bunt. Immer wieder sind wir uns begegnet, immer hatte ich das Gefühl geführt zu werden. Das Buch soll Mut machen aber auch aufrütteln. Seht her, so war es und Gott sei Dank, so wird es wohl nie mehr sein!“
Söderblom: Gab es etwas, das dir beim Schreiben schwer gefallen ist?
Schade-James:
„Über die wirklich intimen Momente habe ich lange nachgedacht. Aber sie sind wichtig, denn so war und ist die Szene.
Nichts ist in diesem Buch erfunden, alles ist wahr.“
Söderblom: Was möchtest du mit deinem Buch erreichen?
Schade-James:
„Ich wünsche mir, dass ein jeder, eine jede, die das Buch liest, lacht und Mut bekommt ihr eigenes Leben zu leben. Wenn der das geschafft hat, dann schaffe ich das auch. Wenn Gott so bunt ist, dann darf auch ich bunt sein. Und noch etwas ist mir wichtig - die Geschichte der Lesben und Schwulen in der Kirche anhand meines Lebens aufzuschreiben.
Gleich am Anfang im ersten Abschnitt des Buchs steht der Satz: ‚Ich glaube, dass ich, genau wie die vielen anderen Frauen und Männer… auch schillernd geschaffen bin.‘ Und auf der letzten Seite: ‚Damit dies nie mehr geschieht, hier bei uns und auf der ganzen Welt, werde ich nicht aufhören… zu beten.' Dazwischen liegt eine Menge Leben.“
Nulf Schade-James hat es viel Gottvertrauen, Mut und langen Atem gekostet, sich seiner Kirche und den Kirchenmitgliedern gegenüber offen und damit auch verwundbar zu zeigen. Er hat im Familien- und Freundeskreis Unterstützung und Solidarität erlebt. Aber er hat auch Beleidigung, Unverständnis und Ausgrenzung erfahren. Verzweifelt war er so manches Mal in seinem Leben. Aber seinen Glauben und sein Gottvertrauen hat er dabei nicht verloren. Im Gegenteil, je länger man die Autobiografie liest, desto mehr erkennt man, dass alle Lebensprüfungen und Krisen seinen Glauben und seinen Lebensmut nur gestärkt haben.
Schließlich hat er auch seine große Liebe kennen gelernt: David James, ein US amerikanischer Soldat, der in Deutschland stationiert war. Seit über 20 Jahren leben sie zusammen. Gemeinsam mit ihrem Ziehsohn pflegen sie ein offenes und gastfreundliches Leben. In ihrem Haus wird viel gefeiert, gelacht und geweint. Lebensfreude, Zuflucht und Herzenswärme kann man beim Ehepaar Schade-James erfahren. Das habe ich selbst schon so einige Male dankbar erlebt.
Die Autobiografie von Nulf Schade-James ist eine liebevolle Hommage an das Leben und ermutigt alle, die jenseits des Mainstreams ihren Platz im Leben suchen. Schade-James ruft ihnen zu: Fürchtet euch nicht! Lebt euer Leben und zeigt euch, so wie ihr seid! Ihr seid geliebt und gewollt! Aufgrund seiner bewegten Lebensgeschichte nimmt man Schade-James jeden Buchstaben dieser Botschaft ab. Er lebt sie mit Charme, Witz und Leidenschaft.
Das Buch ist als Autobiografie und Zeitdokument absolut lesenswert!
Zum Weiterlesen:
Nulf A. Schade-James: Gottes Kleid ist bunt. Wie ein schwuler Pfarrer die Kirche veränderte, 2017