Ich kenne Mark schon seit vielen Jahren. Damals hieß er noch Michaela. Mark ist ein Pseudonym. Seinen richtigen Namen möchte er nicht nennen. Zu viel schlechte Erfahrungen hat er in der Öffentlichkeit schon gemacht.
Ich habe erlebt, wie Mark mit seiner Identität gekämpft hat. Lange Zeit hat er versucht, sich anzupassen und seine Gefühle zu verdrängen. Schließlich hat er Schritt für Schritt zu sich selbst gefunden. Ein langer Weg mit zahllosen Höhen und Tiefen. Mit ärztlicher Begleitung entschloss er sich Hormone zu nehmen und biss sich durch alle Nebenwirkungen durch. Er begann eine Psychotherapie. Erst dann fing er an, seine Entscheidung öffentlich zu machen. Erst Freundinnen und Freunden gegenüber. Dann kamen seine Eltern, Familie und Bekannte an die Reihe. Er hat tolle Reaktionen und Unterstützung erfahren, er hat aber auch Unverständnis und Ablehnung erlebt. Manche Bekannte und Familienangehörige hat er dabei verloren. Seine Zuversicht hat er behalten. Trotz Spießrutenlauf und Rückschläge mit Ämtern, Ärzten, Bürokratie und Verwaltung.
Sein Glaube war ihm dabei eine Stütze, wie er mir erzählt hat. Nicht aber die Kirche. Evangelisch ist er aufgewachsen und konfirmiert. Er hat sogar mal Religionspädagogik studiert. Heute arbeitet er im IT Bereich. Von seiner Heimatgemeinde hat er sich entfernt. Eine neue Gemeinde hat er nicht wieder gefunden. Zu fremd fühlt er sich. Sein Leben, seine Identitätssuche, seine Fragen und Zweifel kamen in den Kirchengemeinden nicht vor, die er kennengelernt hat. Nur bei Gottesdiensten vor Christopher-Street-Day-Paraden und bei Regenbogengottesdiensten fühlt er sich wohl. Da ist er gerne und erlebt sich als gleichwertigen Teil einer internationalen Regenbogenfamilie.
Am wichtigsten sind für ihn andere Männer und Frauen,die sich als transsexuell oder transgender bezeichnen. Mit ihnen kann er sich austauschen. Von ihnen erfährt er Unterstützung. Mit ihnen fühlt er sich sicher und verstanden. Da braucht er nichts zu erklären. Er muss sich nicht rechtfertigen. Er ist einfach da und darf so sein, so wie er ist. Mit theologischen Themen setzt er sich aber immer noch auseinander, obwohl er sein Religionspädagogikstudium aufgegeben hat.
"Weißt du", erklärt mir Mark mit ernster Stimme. "Mir ist schon früh aufgefallen, dass das Wort 'trans' auch in Transzendenz steckt. Das hat mich neugierig gemacht, und ich habe mich informiert. 'Trans' heißt auf Latein jenseits. Transzendenz heißt jenseits von irdischen Grenzen, jenseits von menschlichen Kategorien, Normen und Regeln. Genau die werden von Gott ausgesetzt und überschritten. Und darum geht´s doch: Gott richtet sich nicht nach menschlichen Vorurteilen und Stereotypen. Sie werden trans-zendiert. Denn alle Menschen verkörpern Gottes Ebenbild. So habe ich es verstanden.
Alle sind einzigartig vor Gott, mit ihren ganz persönlichen Lebensumständen und Lebensgeschichten. Und genau das ist doch auch der Punkt bei Transsexualität: Menschen wie ich oder meine Frendinnen und Freunde, die sich als 'trans' bezeichnen, sind auch Gottes Kinder. Jenseits von allen menschlichen Schubladen. Und trotzdem von Gott gesegnet und geliebt."
Zum Weiterlesen
Kommen Transsexuelle in der Bibel vor?
Que(e)r gelesen: Joseph und seine Brüder
Was bedeutet Transgender? In: Der Tagesspiegel (10.08.2015)
"Faith, Gender and Me'’ published by Elaine Sommers © 2009
Gedruckte Kopien und zusätzliche Informationen können von Elaine Sommers erhalten werden: elainesommers007@yahoo.co.uk