Wie fremde Sprachen lernen…
Sarah-Luise Weßler, Martin Franke, Jalda Rebling, Muhsin Hendricks, Kristin Gunleiksrud Raaum, Kerstin Söderblom (v.l.n.r.).
Foto: privat
Sarah-Luise Weßler, Martin Franke, Jalda Rebling, Muhsin Hendricks, Kristin Gunleiksrud Raaum, Kerstin Söderblom (v.l.n.r.).
Auf dem Evangelischen Kirchentag in Berlin gab es zum dritten Mal nach Hamburg und Stuttgart wieder ein Zentrum Regenbogen. Von zwei hochkarätig besetzten internationalen Veranstaltungen in diesem Zentrum möchte ich beispielhaft berichten.

Das Zentrum Regenbogen war während des Evangelischen Kirchentags 2017 gemeinsam mit dem Genderzentrum in Berlin Friedrichshain im ehemalig größten Kino der DDR untergebracht: im Kosmos. Heute steht das Kosmos unter Denkmalschutz und ist ein Ort für diverse Kulturveranstaltungen. Eine coole Location, ein guter Ort für weltoffene und queere Themen. Vielfältige Veranstaltungen von Comingout, Homofeindlichkeit und Bibel bis hin zu Erzählcafés, Berichten zu Gender-Transitionen, Religiosität und verschiedene Lebensformen, Regenbogenfamilien und Strategien gegen Diskriminierungserfahrungen weltweit waren dort von Donnerstag bis Samstag abend Thema.

Sicherheit

Die Sicherheitsvorkehrungen waren streng. Alle, die ins Kosmos wollten, mussten ihre Taschen durchsuchen lassen und die Kirchentagtickets vorzeigen. Sonst gab es kein Reinkommen. Diese Sicherheitsvorkehrungen wurden auf dem gesamten Kirchentag streng gehandhabt. Aber im Kosmos hatte die Prodedur noch einen anderen Hintergrund: Referentinnen und Referenten im Zentrum Regenbogen waren nämlich unter anderem Kasha Jacqueline Nabagesera. Sie ist eine bekannte Menschenrechtsaktivistin aus Uganda, die 2015 den Right Livelihood Award, den alternativen Friedensnobelpreis, erhalten hat. Sie bezeichnet sich selbst als queer und setzt sich für die Gleichberechtigung und die Einhaltung der Menschenrechte von Lesben, Schwulen, Bi-, Trans- und Intersexuellen in Uganda und ganz Afrika ein. In ihrer Heimat wird sie dafür von vielen gehasst und angegriffen. Sie hat wiederholt Todesdrohungen erhalten. Aus diesem Grund lebt sie versteckt, niemand kennt ihre Adresse. Sie ist immer auf der Flucht. Sie wurde auch in Berlin in besonderer Weise geschützt.

Todesdrohungen

Auch der schwule Imam Muhsin Hendricks aus Kapstadt in Südafrika kennt dieses Lebensgefühl. In Südafrika  hat er ebenfalls schon mehrfach Todesdrohungen erhalten. Er durfte seinen Wunschberuf als Imam nicht ausüben, obwohl er Islamische Theologie in Pakistan studiert hatte. Er war verheiratet, hat drei Kinder, ist geschieden und lebt seit einigen Jahren offen schwul. Das passt für viele Menschen nicht zusammen. Sie beschimpfen ihn, überziehen ihn mit Hassmails und bedrohen ihn. Trotzdem hat er in Kapstadt eine liberale muslimische Gemeinde namens „The Inner Circle“ gegründet. Sie steht allen offen, die Allah suchen, unabhängig von ihrer Herkunft, Hautfarbe, sexuellen Orientierung oder Genderidentität. Darüber hinaus unterhält seine Einrichtung ein Seelsorgetelefon und Online- Beratungsmöglichkeiten. Diese Angeobte werden in ganz Südafrika und weit darüber hinaus genutzt.

Todesdrohungen fürchten auch Geflüchtete, die sich nicht mit einer heterosexuellen Lebensform identifizieren. Die Journalistin und epd - Mitarbeiterin Natalia Matter hat drei von ihnen aus Syrien und Uganda interviewt und ihnen auf der Veranstaltung eine anonymisierte Stimme gegeben. Eindringlich wurde dadurch deutlich, wie allein, rechtlos und schutzlos viele queere Geflüchtete sind, die „anders“ leben und lieben und die auch von ihren eigenen (religiösen) Gemeinschaften diskriminiert und verachtet werden. Daher sei es enorm wichtig, den Betroffenen spezifische Unterstützung und Schutz zu gewähren,so wie das in einigen Anlaufstellen für queere Geflüchtete mittlerweile passiert. Hier gebe es aber noch viel mehr Bedarf.

Religionsfreiheit oder Hassrede?! 

Die erste internationale Veranstaltung im Zentrum Regenbogen hieß „Religionsfreiheit oder Hassrede“. Kasha Nabagesera erzählte anhand ihrer persönlichen Erfahrungen davon, wie insbesondere evangelikale Prediger aus den USA und Kanada Uganda und andere afrikanische Länder systematisch mit Hasspredigten überziehen und damit alte koloniale Verhaltensmuster reaktivieren. Sie missbrauchten dabei religiöse Sprache und wörtliche Bibelzitate, um alle nicht-heterosexuellen Lebensformen als sündig zu bezeichnen und als Zeichen der Apokalypse zu verteufeln. Homo- und transfeindliche afrikanische Vorstellungen würden dann das Übrige tun, um Lesben, Schwule, Bi-, Trans- und Intersexuelle und Queers (LSBTIQ) zu kriminalisieren und zu verfolgen. Daher seien afrikanische Verbündete wie der ehemalige anglikanische Erzbischof Desmond Tutu aus Kapstadt so wichtig, da sie aus afrikanischer Perspektive für Respekt und Gleichbereichtigung eintreten.

Prof. Dr. Heiner Bielefeld, ehemaliger Sonderbeauftragter für Religionsfreiheit der UN, stellte klar, dass Religionsfreiheit als Menschenrecht da aufhört, wo Hassrede und Gewaltaufruf gegen Einzelne und Minderheitengruppen anfängt. Gegen religiös legitimierte Diskriminierungen könnten nur Aufklärung, Menschenrechtsbildung und internationale Zusammenarbeit von (religiösen) Menschenrechtsaktivisten etwas ausrichten.

Sarah-Luise Weßler, Anwältin des Publikums schrieb als Rückmeldung zur Veranstaltung:

„Es war ein interessantes Podium mit vielen erschreckenden, ermutigenden und besonderen Geschichten!
Diese Veranstaltung hat anhand von Lebensgeschichten verdeutlicht, wie unterschiedlich bis lebensdrohlich die Lebenslagen von (christlichen) LSBTIQ weltweit sind, aber auch wie ähnlich die Ziele im Kampf um Respekt, Akzeptanz und Gleichberechtigung sind. Der Hintergrund von lebensbedrohlichen Verhältnissen und die daraus resultierende Angst vor Diskriminierung, Gewalt und Hass wurden besonders deutlich, durch die drei Geschichten christlicher geflüchteter LSBTIQ, die selbst ais Sicherheitsgründen nicht anwesend sein konnten und stattdessen ihre Geschichten vorlesen ließen. 
Diese Erfahrungen wie auch die Geschichten aus der UN-Arbeit von Heiner Bielefeld und der Menschenrechtsaktivistin Kasha Nabagesera haben gut vorstellbare und lebendige Bilder gezeichnet von den Erfolgen und auch von  den Ängsten, die LSBTIQ weltweit erfahren. Durch diese Veranstaltung ist mir wieder einmal klar geworden: „We stand together in solidarity!“ - Auch wenn wir als christliche LSBTIQ über den gesamten Erdball verstreut sind, so verbinden uns Geschichten im Kampf um gleiche Rechte, Anerkennung, Akzeptanz und Gesehen werden. Uns verbindet dieses Streben und die Gewissheit, dass wir alle zu Gottes guter Schöpfung gehören. Dies alles macht uns zu Schwestern und Brüdern und verbindet uns in einer Weise, die stärker nicht sein könnte, selbst wenn wir uns gerade erst kennengelernt haben.“


Queer und religiös?! 

Die zweite internationale Veranstaltung fand zum Thema "Queer und religiös" statt. Es war eine interreligiöse Dialogveranstaltung. Die jüdische und offen lebisch lebende Kantorin, Schauspielerin und Sängerin Jalda Rebling aus Berlin, der schwule Imam Muhsin Hendricks aus Kapstadt und die verheiratete lutherische Präsidentin des Norwegischen Kirchenrats Kristin Gunleiksrud Raaum diskutierten darüber, wie kontrovers es in ihren jeweiligen Religionen verhandelt wird, queer und religiös zu sein. Das Gespräch war offen, solidarisch und trotz vieler Rückschläge und Schwierigkeiten in den einzelnen Religionen von Humor und großer Wertschätzung getragen. Das Publikum erlebte drei engagierte Vertreterinnen und Vertreter ihrer Religionen, die gemeinsame Ziele haben: sichere Orte zu schaffen, um Erfahrungen austauschen, Lebensgeschichten erzählen und voneinander lernen zu können. Es sei entscheidend solche Schutzorte anzubieten, in denen gläubige Menschen unabhängig von ihrer Herkunft, religiösen Überzeugungen, sexuellen Orientierung und Genderidentität in Frieden, mit Respekt und ohne Angst ihren Glauben leben können. Hinzukommen müsste eine Null-Toleranz-Politik gegenüber Hass und Gewalt. Diese Übereinstimmung ihrer Ziele war für alle Anwesenden im Saal intensiv erlebbar und wurde zum Schluss mit rauschendem Applaus bedacht.

Noch einmal ein Eindruck von Sarah-Luise Weßler:

„Zusammenstehen, einander ansehen, aufmerksam sein, voneinander lernen und mutig auf Neues zugehen: Diese Worte dürften den Kern des Podiums am deutlichsten wiedergeben. Der Gegenseitige Respekt füreinander war beispiellos und ein Vorbild für manches religiöse Weltgeschehen, dass mit gegenteiligen Worten zu beschreiben wäre. Die Referentinnen und Referenten trafen bei diesem Podium zum ersten Mal zusammen und machten trotzdem den Eindruck, als wenn sie argumentativ ein eingespieltes Team wären. Es war ein leuchtendes Beispiel dafür, wie gut Menschen mit verschiedenen religiösen Hintergründen und sexuellen Orientierung wertschätzend und erbauend miteinander ins Gespräch kommen können und direkt Ideen und Anregungen von anderen für die Weiterentwicklung des Eigenen nutzen können. Mögen viele von diesem Podium hören, davon erzählt bekommen, darüber lesen und die Visionen des Publikums lesen, um zu erfahren, was möglich ist. Wenn wir einander die Hände reichen, erreichen wir mehr, als wenn wir die Fäuste ballen!“

Bei beiden Veranstaltungen wurden abschließend sowohl die Referentinnen und Referenten als auch das Publikum nach Visionen und Träumen gefragt. Ich möchte zum Schluss eine Aussage aus dem Publikum zitieren:

„Gefühle der Anderen

Verstehen lernen wie

Fremde Sprachen:

Mit Sorgfalt und

Aufmerksamkeit

Dazulernen, Respektvoll

Worte  zusammen suchen,

Fließend werden in Empathie.“

 

Mehr zum Zentrum Regenbogen und zu den Veranstaltungen auf dem Kirchentag in Berlin.