Es war ein historischer Beschluss: Vor einem Jahr öffnete Baden nicht nur die Trauung für Homosexuelle, nein, die Synode bekannte sich auch zur Gleichwertigkeit homo- und heterosexueller Liebe. Damit katapultierte sich die Badische Landeskirche von einem der Schlusslichter, was die Gleichstellung Homosexueller angeht, an die Spitze der evangelischen Landeskirchen. Trotz aller Freude stellte sich bald die Frage, ob die erklärte Gleichwertigkeit auch die Ausführungsgesetze und damit das konkrete kirchliche Handeln prägen würde. Dies schien insbesondere vor dem Hintergrund des massiven Widerstandes von anti-homosexuellen Kräften vor, während und nach dem synodalen Beschluss relevant. Vor zwei Wochen hat die Synode nun durch die Verabschiedung des Traugottesdienst-Gleichstellungs-Gesetzes Tatschen geschaffen.
An den Grundsätzen des Beschlusses aus dem letzten Jahr orientiert enthält die Regelung folgenden Inhalt: Lesbischen und schwulen Paaren in eingetragener Lebenspartnerschaft wird die kirchliche Trauung zu ermöglicht. Allerdings bekommen Pfarrer_innen das generelle Recht zugestanden, die Trauung gleichgeschlechtlich Liebender abzulehnen. In diesem Fall hat die vorgesetzte Person Sorge zu tragen, dass die Trauung von einer anderen Pastor_in durchgeführt wird. Diese Ausnahmeregelung, die schon vor einem Jahr beschlossen wurde, stand bereits damals im krassen Widerspruch zur Erklärung der Gleichwertigkeit homo- und heterosexueller Liebe. Es ist paradox, auf der einen Seite die Gleichwertigkeit zu erklären, auf der anderen Seite die Ungleichbehandlung fortzusetzen. Aufgelöst wurde dieser Widerspruch von der Synode bisher nicht. Das nun beschlossene Traugottesdienst-Gleichstellungs-Gesetz stellt einen Übergangsregelung dar, die bis zur Verabschiedung einer neuen Lebensordnung Trauung gelten soll. Ob diese Lebensordnung jedoch keine Unterschiede mehr zwischen homo- und heterosexuellen Paaren macht und damit die Gleichstellung auch in der kirchlichen Praxis umsetzt, ist nicht absehbar.
Der Lackmustest für jede Gleichstellung ist die Frage, was im Konfliktfall passiert. Bekommen diejenigen Recht, die diskriminiert werden oder die, die diskriminieren? In Baden ist im Moment das Letztere der Fall. Die Trauung gleichgeschlechtlicher Paare bleibt für Pfarrer_innen eine Option, keine dienstliche Pflicht. Ein einmaliger Vorgang, Pastor_innen können frei entscheiden, ob sie Menschen aufgrund von deren Begabungen von einer Amtshandlung generell ausschließen. Homosexuelle müssen hingegen weiterhin auf die Wohlgesonnenheit der Geistlichen hoffen, was sie zu Gemeindegliedern zweiter Klasse degradiert.
Dieses Problem betrifft nicht nur Baden. Eine solche Ausnahmeregelung besteht in allen evangelischen Landeskirchen, die homosexuelle Paare segnen. Die Debatte darüber, was es eigentlich bedeutet, wenn eine Pfarrperson eine Amtshandlung verweigert, aus Gründen die nicht mit den theologischen Grundsätzen der Landeskirche vereinbar sind, ist bisher nirgends ernsthaft geführt worden. Das dahinter liegende Konfliktpotential scheint gescheut zu werden. Die Evangelische Landeskirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz (EKBO) hat die Ausnahmeregelung auf fünf Jahre beschränkt. Hier scheint immerhin ein Problembewusstsein dafür zu herrschen, dass nicht zwei sich widersprechende Ordnungen neben einander existieren können, die eine, die den diskriminierenden Pfarrer_innen sowie solchen Kirchenvorständen das Recht zur Diskriminierung einräumt und die andere, die Diskriminierung beenden will. Auch Baden beschließt seine Ausnahmeregelung ja als eine des Übergangs. Der Unterschied ist allerdings, dass Baden die einzige evangelische Landeskirche ist, die sich im synodalen Beschluss zur Gleichwertigkeit homosexueller Liebe, Sexualität und Partnerschaft bekennt. Zu einem solchen Bekenntnis hatten die anderen Landeskirchen bisher offenkundig nicht den Mut. Das heißt für Baden in der Konsequenz aber auch, mit diesem Bekenntnis Maßstäbe gesetzt zu haben, an denen sich die Landeskirche jetzt messen lassen muss.
Bisher wurden gleichgeschlechtlich Liebende in Baden in die Position derer gedrängt, die erklärungsbedürftig sind. Sie und ihre Unterstützer_innen mussten immer wieder begründen, warum auch lesbische respektive schwule Liebe vor Gott gesegnet werden kann. Der Beschluss zur Gleichwertigkeit bot nun die Chance, mit dieser Rollenzuweisung endgültig zu brechen. Homosexuell Liebende müssten sich demnach genau so wenig erklären wie heterosexuell Liebende. Auf Grundlage dieser theologischen Position ist kein Platz mehr für eine pastorale Ablehnung der Trauung eines homosexuellen Paares. Das wussten die anti-homosexuellen Kräfte sehr genau. Daher hat sich ihr erbitterter Widerstand während und im Vorfeld der Synode auf die Abwendung einer völligen Gleichstellung konzentriert. Die Ausnahmeregelung sollte auf jeden Fall Gesetztesrang erhalten. Dabei wurde immer wieder das Argument bemüht, ansonsten selbst diskriminiert zu werden. Doch was heißt das? Im Grunde doch nichts weiter, als dass hier die, die diskriminieren, erklären: "Wenn wir nicht weiter diskriminieren dürfen, dann fühlen wir uns diskriminiert". Aber jedes Programm der Anti-Diskriminierung wird ad absurdum geführt, wenn es die, die diskriminieren, in ihrem diskriminierenden Verhalten schützt. Es ist bedauerlich, dass die Synode sich dieser Absurdität entweder nicht gewahr geworden ist oder sie bewusst nicht berücksichtigt hat. Stattdessen privilegiert sie die anti-homosexuellen Pfarrer_innen und erlaubt es ihnen, ihr diskriminierendes Verhalten gar noch als Gewissensfreiheit zu deklarieren.
Spätestens an diesem Punkt wird deutlich, wie weit die Badische Landeskirche realiter vom selbst erhobenen Anspruch der Gleichstellung entfernt ist. Würde sie auch Pfarrer_innen eine Ausnahmereglung gewähren, die keine heterosexuellen Paare trauen wollen und dafür theologische Gründe angeben? Oder einer Pfarrperson, die die Trauung aufgrund zu unterschiedlicher Hautfarbe des Paares ablehnt? Und wo war eigentlich die Frage der Gewissensfreiheit in den vergangenen Jahrzehnten, in denen die große Mehrheit der Pfarrer_innen es eben nicht mit ihrem Gewissen vereinbaren konnte, homosexuelle Paare zu diskriminieren und ihnen die Trauung zu verweigern, aber hier nicht ihrem Gewissen folgen konnten, weil sie mit einem Disziplinarverfahren bedroht wurden?
Damals haben viele Pfarrer_innen trotzdem gleichgeschlechtlich Liebende gesegnet. Häufig blieb dies ohne Folge, jedenfalls dann wenn eine solche Segnung nicht angezeigt wurde. Doch im Konfliktfall, also wenn sich anti-homosexuelle Menschen an der Segnung störten und dies meldeten, drohten den betroffenen Geistlichen disziplinarische Konsequenzen oder sie mussten sich zumindest zum Rapport im Personalreferat einfinden. Mit solchen Maßnahmen müssen die anti-homosexuellen Pastor_innen, die heute gegen den von der Synode beschlossenen theologischen Grundsatz der Landeskirche verstoßen, nicht rechnen. Sie müssen ihr Verhalten nicht rechtfertigen und keine Konsequenzen fürchten. Im Konfliktfall wird ihnen, salopp formuliert, sogar der rote Teppich ausgerollt. So können diese Pfarrer_innen nicht nur die Trauung gleichgeschlechtlich Liebender ablehnen, nein, durch das sogenannte Kanzelrecht steht es ihnen sogar offen, Trauungen in der Ortsgemeinde, egal wer sich bereit erklärt diese durchzuführen, gänzlich zu verhindern. Das Kanzelrecht ermöglicht es der Pfarrperson vor Ort, darüber zu entscheiden, wer auf der Kanzel predigen darf und wer nicht. Sinn ist es wohl, über eine evangeliumsgemäße Verkündigung zu wachen. Nicht gedacht ist dieses Recht allerdings, um damit unliebsame theologische Positionen der eigenen Landeskirche auszuhebeln und für Diskriminierung Raum zu schaffen. Anders gesagt: Pfarrer_innen haben die Möglichkeit, Gemeindegliedern ihre eigene Kirche für die Trauung zu verweigern. Von Seiten der Landeskirche gibt es bisher keine Regelung, wie ein solch eklatanter Missbrauch des Kanzelrechts verhindert werden soll.
Verhindern können das nur die Dekan_innen der diversen Kirchenbezirke. Denn ihr Kanzelrecht bricht das der Pfarrperson vor Ort. Es bleibt allerdings höchst fraglich, ob die Dekan_innen am Ende die Courage besitzen, für die Diskriminierten zu streiten und nötigenfalls auch gegen den Widerstand eines ganzen Kirchenvorstandes, die Trauung eines homosexuellen Paares in der örtlichen Kirche durchsetzen. Zu befürchten steht, dass in diesem Falle die Dekan_innen den Liebenden eher ausreden, im Gotteshaus ihrer Heimatgemeinde zu heiraten. Genau dieses Unrecht ist symptomatisch für die evangelischen Landeskirchen und darf nicht mehr zugelassen werden. Homosexuelle Gemeindeglieder haben ein unveräußerliches Recht auf ihren Platz in der Kirche. Sowohl im Kirchengebäude, als auch in der Kirche als Gemeinschaft der Heiligen. Die Kirche Jesu Christi braucht Diener_innen, die dieses Recht durchsetzen und sich dabei auch vor Auseinandersetzungen nicht scheuen. Liebe, so heißt es in einem jüngeren geistlichen Lied, Liebe, ist nicht nur ein Wort, Liebe das sind Worte und Taten. Dasselbe gilt für die Gleichstellung, die ja auf der Liebe gründet.
Ich hoffe, dass sich die Synode, wenn in wenigen Jahren die neue Lebensordnung der Badischen Landeskirche beschlossen wird, endgültig von jedem Privileg für jene die weiter ihre homosexuellen Geschwister diskriminieren wollen, verabschiedet und der Diskriminierung dadurch mutiger entgegentritt als es jetzt der Fall ist. Homosexuelle bedürfen des bedingungslosen Schutzes der Synode, der ganzen Kirchenleitung, eines jeden Geistlichen und Gemeindegliedes, das gebietet Christus.