Keine zwei Jahre nach ihrer Einführung haben sich die Wiener lesbischen und schwulen Ampelpärchen zum Publikumsliebling und Verkaufsschlager entwickelt - der Berliner Ampelmann gerät da fast schon ins Hintertreffen.
Bei einem Wochenendausflug nach Wien konnte ich mich gerde selbst davon überzeugen, wie verbreitet die lesbischen und schwulen Paare auf den Ampeln sind. Nahezu selbstverständlich sind sie im Stadtbild - und auch die Akzeptanz bei der Bevölkerung scheint hoch zu sein.
Fast schon amüsant wirkt vor diesem Hintergrund das Ergebnis einer Studie, die die Stadt Wien zu den neuen Ampelfiguren in Auftrag gegeben hat. Die lesbischen und schwulen Paare tragen erheblich dazu bei, die Verkehrssicherheit zu erhöhen! Na also, von wegen Risikogruppe...
Ampellichter, so die Studie, würden von den wenigsten Menschen über das Symbol der Figur wahrgenommen, sondern im Rahmen des sogenannten Umgebungssehens, bei dem es darauf ankommt, wie stark sich ein Symbol von seiner Umgebung abhebe. Da die Pärchen mehr Leuchtfläche in Anspruch nehmen als eine einzelne Ampelfigur, würde ihre Botschaft daher auch deutlicher wahrgenommen. 18,22 Prozent weniger Menschen als bei herkömmlichen Ampeln würden daher bei den queeren Paaren über ein Rotlicht gehen. Auffälliger sind wir also doch - zumindest als lesbische oder schwule Paare! Über die sexuelle Orientierung des Berliner Ampelmanns gibt es ja bis jetzt auch noch keine gesicherten Aussagen...
Für mich waren die lesbischen und schwulen Ampelpaare dann aber vor allem Anlass, um über die Bedeutung von Symbolen nachzudenken: In seiner ursprünglichen Bedeutung identifiziert ein Symbol zueinander gehörige (Vertrags-)Parteien. In der Antike wurde dazu bei einem Vertragsabschluss zum Beispiel eine geprägte Tonplatte in verschiedene Teile nach Anzahl der Vertragspartner zerbrochen. Verterter*innen der Parteien, die später wieder zusammen trafen, identifizierten sich dadurch, dass sie diese Teile wieder „zusammenwarfen“ (so die wörtliche Übersetzung des griechischen Wortes).
In der philosophischen und der religiösen Tradition wird das Symbol dann aber zu einem Kennzeichen komplexerer Zusammenhänge, die mitunter auch der unmittelbaren Wahrnehmung entzogen sein können. Das Kreuz Jesu zum Beispiel wäre rein nach seinem Bildwert verstanden nichts mehr als eine künstlerisch mehr oder weniger gelungene Darstellung eines Foltertodes. Für Christinnen und Christen aber symbolisiert es die gesamte Botschaft des Ostergeschehens, dass also Gott mitten im menschlichen Leiden gegenwärtig ist und den Tod, die tiefste Konsequenz dieses Leidens, überwunden hat. Im Abendmahl bzw. der Eucharistiefeier verweisen Brot und Wein auf Leib und Blut Jesu Christi und symbolisieren damit die Gegenwart des Auferstandenen in der christlichen Gemeinde.
Als Christinnen und Christen nehmen wir das Kreuz und die Elemente der Mahlfeier gleichsam automatisch in dieser Tiefendimension war, sie ist für uns selbstverständlich - und daher fällt es manchen dann schwer nachzuvollziehen, warum das Kreuz an der Wand für Menschen ohne christlichen Hintergrund anstößig ist.
Damit aber sind wir wieder bei den Wiener Ampelpärchen: Wenn diese von vielen „nur“ über das Umgebungssehen wahrgenommen werden, dann macht das gerade deutlich, dass das Bildsymbol selbst für diese Menschen nicht (mehr) anstößig ist. Die Ampelpärchen symobolisieren damit die Selbstverständlichtkeit gleichgeschlechtlicher Paare - zumindest in einer weltoffenen Großstadt wie Wien. Die Vizebürgermeisterin Maria Vassilakou hat daher schon recht, wenn sie bereits kurz nach der Einführung der neuen Ampelzeichen feststellt: "Der Zuspruch zu den Ampelpärchen ist wirklich überwältigend. Das ist großartig für die Akzeptanz von lesbischwulen Paaren und ein echtes neues Motiv für Touristen in Wien."
In München gibt es seit 2008 den lesbisch-schwulen Maibaum am Karl-Heinrich-Ulrichs-Platz. Auch er ist als Symbol für die Selbstverständlichkeit queeren Lebens in der Großstadt gedacht. Doch in den letzten Jahren wurde er immer wieder verunstaltet, geschändet - und in diesem Jahr gab es gar einen langen Streit mit der Stadtverwaltung, ob eine andere Veranstaltung den Platz am 1. Mai blockieren und die Aufstellung des Maibaums verhindern kann.
Queere Symbole im Alltag machen also offenbar doch für viele immer noch eine verborgene Wirklichkeit präsent - eine Wirklichkeit, mit der sie nicht vertraut sind oder die sie sogar befremdet. Sicher, es ist eine sehr niederschwellige Konfrontation, die da stattfindet - und gerade deshalb sind Symbole wie die Ampelpärchen vielleicht so wichtig: Sie machen queere Lebenswirklichkeit mitten im Alltag gegenwärtig - und wer irritiert vor der Ampel steht, merkt, dass die meisten um sie oder ihn herum sich davon nicht mehr irritieren lassen.
Zum Schluss noch ein Gedanke zu den religiösen Symbolen. Maria, so wird mir Protestanten von römisch-katholischen Geschwistern immer wieder erklärt, habe für den Katholizismus so eine hohe Bedeutung, weil sich gläubige Frauen mit ihr besser identifizieren können als mit den vielen männlichen Gestalten des christlichen Glaubens. In Maria symbolisiere sich ein weiblicher Glaube. Die Heilige Familie wird für Protestanten wie Katholiken gleichermaßen in der Trautheit der Heiligen Nacht zum Symbol der idealen christlichen Familie. Wo aber sind die Symbole, mit denen wir Queers uns in unserem Glauben identifizieren können?
Der Lieblingsjünger, der an der Brust Jesu liegt (so erzählt es das Johannes-Evangelium), wird für viele Schwule immer wieder zu so einem Symbol. Rut und Noomi werden gerne als Symbol einer innigen Gemeinschaft zweier Frauen genannt (aber Vorsicht: es handelt sich hier um die Schwiegermutter Ruts).
Ein Symbol (bzw. nach römisch-katholischem Verständnis sogar ein Sakrament), in dem sich für heterosexuelle Paare vieles verdichtet, ist natürlich die Trauung. Wenn jetzt immer mehr evangelische Landeskirchen eine der Trauung entsprechende gottesdienstliche Segnung für gleichgeschlechtliche Paare oder die Öffnung der Trauung für gleichgeschlechtliche Paare beschließen, dann ist das ein deutliches Symbol dafür, dass gleichgeschlechtliches Miteinander auch in den Kirchen selbstverständlicher geworden ist.
Unumstritten ist es damit aber noch nicht - genauso wenig wie der Münchner lesbisch-schwule Maibaum...