ALBRECHT: Herr Pehle, Ihnen, Ihrer Gemeinde St. Stephan und Ihrer Nachbargemeinde St. Johannis wird in den letzten Tagen einige mediale Aufmerksamkeit zu teil. Was ist bei Ihnen los?
PEHLE: Die St. Johannis Kirchengemeinde hat im Zuge der Entscheidung der Evangelischen Kirche von Westfalen (EKvW) über die Segnung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften schon vor anderthalb Jahren das Thema Homosexualität diskutiert. Damals kam die deutliche Ansage: Nein, bitte bei uns in der St. Johannis Kirchengemeinde nicht und wenn du Pfarrer das machst, dann wollen wir nicht mehr Mitglied der Gemeinde sein. Das sind jedenfalls die Informationen, die mir vorliegen. Dann kam die Entscheidung, dass ich Pfarrer in Vlotho werde. In der Zeitung stand bald darauf, da kommt ein schwuler Pfarrer. Ich sagte damals im Interview: Ich bringe meinen Mann und meinen Hund mit. Hierauf hat das Presbyterium von St. Johannis eine sehr gute Stellungnahme abgegeben, zum Thema Homosexualität, darin stand, dass sie sich auf den neuen Pfarrer freuen, dass sie sich auf uns, mich und meinen Mann, freuen, dass das Thema Homosexualität auch kein Problem sei. Und auf diese Stellungnahme des Presbyteriums haben jetzt 13 Gemeindemitglieder aus St. Johannis mit einem ziemlich deutlichen, sehr evangelikalen Leserbrief reagiert. Und diese Stellungnahme ist typisch evangelikal aufgebaut, nach dem Motto: Wir schnappen uns Bibelzitate, irgendwo aus der Bibel, was wir gerade so passend finden und basteln uns unsere Theologie daraus und sagen: Das ist Gottes Wort und da steht, Homosexualität ist Sünde. Homosexuelle, das sind alles Knabenschänder und Lustknaben und Ehebrecher. Paulus wird zitiert. Darauf bauen sie sich ihre Begründung.
ALBRECHT: Erschienen ist diese Stellungnahme ja als Leser_innenbrief im Gemeindebrief der St. Johannes Gemeinde. Das war am Montag vor Ostern, wie ging es danach weiter?
PEHLE: Ich wusste im Vorfeld von den Kollegen aus St. Johannis, dass ein kritisierender Leserbrief kommen wird. Ich nahm das dann vielleicht ein wenig zu sehr auf die leichte Schulter, ich dachte: Da kommen dann ein paar unschöne Sätze und dann ist es gut. Doch es kam anders. Der Gemeindebrief ist an einige Mitglieder meiner Gemeinde der St. Stephan Gemeinde bereits im Vorfeld verteilt worden, diese haben mich dann informiert. Ich selbst habe den Gemeindebrief mit der Stellungnahme übrigens bis heute nicht persönlich bekommen. Ich war beim Lesen erst mal ganz schön geplättet. Ich habe erst mal einen Schnaps getrunken. Die Vehemenz und die Auswahl der Bibelzitate, hat mir die Schuhe ausgezogen. Mein Mann und ich haben dagesessen und gesagt: Das ist wirklich unglaublich.
Dabei ist es sowohl mir als auch meinen Mann wichtig zu sagen, dass wir niemanden seinen Glauben absprechen wollen. Die Menschen haben natürlich das Recht zu denken und zu glauben, was sie wollen. Problematisch wird es, wenn ich in einem öffentlichen Medium, wie dem Gemeindebrief in der Vehemenz und mit solchen zusammenhanglosen Bibelzitaten, mich öffentlich äußere, das ist eine besondere Qualität. Und das war für uns der Grund, warum wir gesagt haben, hier müssen wir reagieren. Noch mal: Evangelikale Menschen dürfen und können so glauben wie sie wollen und wenn sie aus dieser Art ihres Glaubens Kraft und Stärke erfahren und sich geborgen fühlen, ist das alles gut. Ich möchte niemandem diesen Glauben absprechen und sagen, das ist aber falsch. Das dürfen wir nicht. Aber: Ich glaube anders. Sie wahrscheinlich auch. Jeder glaubt anders. In der evangelischen Kirche dürfen verschiedene Glaubensarten nebeneinanderstehen, das macht ja gerade unsere evangelische Kirche aus. Freiheit und Vielfalt, ohne dass ich dem anderen gleich den Glauben abspreche.
ALBRECHT: Was ist passiert, nachdem Sie Ihr Presbyterium über den Leser_innenbrief informiert haben?
PEHLE: Am Mittwoch nach Ostern hat das Presbyterium meiner Gemeinde eine Sondersitzung gehabt. Wir haben dann eine Stellungnahme verfasst, in der wir gesagt haben, dass wir uns vom Inhalt des Leserbriefes aus dem Gemeindebrief der St. Johannis-Gemeinde distanzieren und schauen müssen, wie wir als Gemeinde damit umgehen. Schon am Tag vor der Sitzung hat mich die Presse angesprochen. Wir müssten da etwas tun, sagte man mir von Presseseite. Das Ganze war schon Stadtgespräch. Am Freitag nach Ostern gab es dann den ersten Artikel im Westfalen Blatt (WB) auf Seite eins des überregionalen Teils. Dann haben weitere Medien das Thema aufgegriffen unter anderem die BILD-Zeitung. Nach unserer Stellungnahme hat es sehr schnell ein Gespräch mit meinem Pfarrkollegen Reuter aus St. Johannis und Mitgliedern seines Presbyteriums gegeben. Gestern hat es den ersten gemeinsamen Pressetermin geben, um klar zu machen, dass es jetzt keinen Gemeindekrieg zwischen St. Johannis und St. Stephan gibt. Wir wollen gemeinsam gucken, wie kriegen wir diese Schäden, diese wirklich großen Schäden, die so unsäglich negativ sind für die evangelische Kirche in Vlotho und für die evangelische Kirche schlechthin, wie kriegen wir das jetzt einigermaßen wieder hingebogen und wie gehen wir mit diesen 13 Menschen um. Und da müssen wir jetzt weitergucken, Es gibt da keine Patentlösung. Es geht nur darum, dass nicht noch mehr Menschen beschädigt werden. Es darf nicht noch mehr diffamiert werden.
ALBRECHT: Was haben die ganzen Geschehnisse innerlich mit Ihnen gemacht? Wie war es, das alles zu erleben?
PEHLE: Ich bin vor über 20 Jahren in Unna als Pfarrer gewählt worden, da gab es am Anfang eine ähnliche Diskussion. Ich habe dann 20 Jahre in Unna gut arbeiten können, war akzeptiert mit Partner und Homosexualität war überhaupt kein Thema. Es war für mich gut abgeschlossen das Thema. Und als jetzt diese Uraltdiskussion wieder hochkam, da habe ich wirklich schwer dran zu knabbern gehabt. In 25 Jahren hat sich in der Denke unserer Gesellschaft einiges getan, auch in der Denke unserer Landeskirche hat sich einiges getan. Und als plötzlich viele Dinge so vehement wieder aufgetaucht sind, das hat mir schon sehr weh getan. Und das beschäftigt mich auch viel. Man stellt sich dann auch immer wieder infrage. Man fragt bei sich selbst nach, diskutiert im eigenen Kopf: Ist es richtig, was ich tue? Und natürlich ist es richtig! Ich bin so wie ich bin. Mein Mann ist so wie er ist. Und die Unterzeichner sind so wie sie sind.
Da kommt ganz viel Traurigkeit. Ich habe in den letzten Wochen schon so manche Träne vergossen. Und es kommt eine unsägliche Wut auf. Einer der Unterzeichner des Leserbriefes ist der ehemalige Pfarrer der Gemeinde. Er hat mich als ich herkam freundlichst begrüßt, sagt dass es schön wäre, dass ich da wäre und dass es schön wäre, wenn ich regelmäßig in der St. Johannis Gemeinde Gottesdienst hielte. Und ein paar Wochen später haut er mir diesen Leserbrief um die Ohren. Das sind Dinge, die kriege ich einfach nicht in den Kopf. Das ist menschlich so unglaublich. Ich habe ihn vorgestern bei einer Sitzung getroffen und dort meinte er, er wollte mich mit dem Leserbrief ja nicht beleidigen. Er sprach so mit mir, nach dem Motto: Das ist ja jetzt Ihr Problem, wenn sie beleidigt sind, dann entschuldige ich mich, wenn das so ist. Ich finde das menschlich unmöglich und christlich ist das schon gleich gar nicht.
ALBRECHT: Wie haben Sie die Kirchenleitung in dem Konflikt bisher erlebt? Besonders auch Ihren direkten Vorgesetzten?
PEHLE: Ich habe meinen direkten Vorgesetzten als sehr gesprächsbereit und sehr unterstützend erlebt. Er hat für sich persönlich, aber auch für den Kirchenkreis eine klare Marschrichtung was das Thema Homosexualität angeht. Mein Vorgesetzter sagte sofort, er sei sauer darüber, dass dieser Leserbrief im Gemeindebrief gestanden hat, dass sei kein Medium, um solche Diskussionen zu führen. Ich habe von Superintendent Andreas Huneke alle Unterstützung gekriegt. Wir haben natürlich auch mit der Landeskirche gesprochen, auch da gab es Verständnis für unsere Situation, Unterstützung und klare Worte. Die Landeskirche hat dann auch ihre Position zur Homosexualität bekräftigt und erklärt, dass sie hinter diese auch nicht mehr zurückgehen wird. Schwule und Lesben dürfen in unserer Kirche alles tun. Sie dürfen heiraten. Da sind wir schon weit. Da sind zwar auch noch viele Schritte weiterzugehen, aber wir sind da gut vorangekommen.
ALBRECHT: Presseberichte greifen immer wieder auf, dass den Unterzeichner_innen des Leser_innenbriefes in Ihrer Gemeinde durch einen Kirchenvorstandsbeschluss Hausverbot erteilt wurde. Was entgegnen sie denjenigen, die jetzt sagen, ein solches Hausverbot sei von Ihrer Seite aus intolerant und ausgrenzend?
PEHLE: Ich finde das nicht intolerant. Ich finde es konsequent, dass das Presbyterium meiner Gemeinde dieses Hausverbot, das nur bis auf Weiteres gilt, ausgesprochen hat. Wir werden jetzt Gespräche darüber führen, wie es weitergeht. Die Menschen, die das Hausverbot ausgesprochen bekommen haben, verweigern im Moment jedes Gespräch. Bis auf den kurzen Kontakt mit dem ehemaligen Pfarrer der St. Johannis Gemeinde, dem Herrn Cremer, hat ja keiner mit mir gesprochen. Diese Menschen haben auch alle Interviewanfragen, die an sie gerichtet wurden, abgelehnt. Es hat auch keiner von ihnen irgendwie anklingen lassen, dass wir reden müssen oder dass sie sich entschuldigen wollen. Von daher ist das jetzt eine Reaktion des Presbyteriums zu sagen: Solche Äußerungen werden in unsere Kirche nicht unterstützt. Wir wollen so etwas in unserer Kirche nicht. Wir haben keinerlei Brücken abgebaut. Wir haben nur gesagt: Stopp. Bis hierher und nicht weiter. Das was ihr gemacht habt, das war drei Schritte zu weit. Da werden Menschen aufs übelste geschädigt und das tragen wir als Gemeinde nicht mit und da müssen wir uns davon distanzieren. Wir stehen zu diesem Hausverbot. Es ist ein Signal. Und wir reden gern, wenn die anderen zum Reden bereit sind, aber einfach zur Tagesordnung übergehen, das geht nicht.
ALBRECHT: Was würden Sie anderen Pfarrer_innen raten, die sich in einer ähnlichen Situation befinden?
PEHLE: Stärke zeigen. Auf jeden Fall nicht den Kopf einziehen. Zu sich selber stehen. Alles andere macht nur krank. Alles andere ist auch in keinster Weise christlich. Das tut manchmal weh. Aber was unheimlich toll ist, das ist die Reaktion hier aus Vlotho in der Region. Da kommt so viel an Unterstützung. Und auch so viel an Unverständnis gegenüber dieser Diskussion. Das macht stark, es gibt Mut, das prägt. Ich kann allen nur sagen: Ihr seid so wie ihr seid. Und so wie du bist Mensch bist du gut. Du musst Dich nicht rechtfertigen, weil Du schwul oder lesbisch bist. Lebe Dein Leben.
ALBRECHT: Sie sprechen von Unterstützung aus Vlotho und der Umgebung, was haben Sie da erlebt?
PEHLE: Das fing bei Kleinigkeiten an. Eine Nachbarin stand vor der Türe und brachte ein Glas Marmelade, so frei nach dem Motto: Das ist Nervennahrung, die brauchst Du jetzt in dieser Situation. Aus einer ganz anderen Region in Westfalen rief mich eine Frau an und sagte mir: Ich bin Mutter eines schwulen Sohnes, ich bin eine geschiedene Frau, ich bin aus der katholischen Kirche ausgetreten, ich bin evangelisch. Sie sei Lehrerin und habe die Regenbogenfahne an ihrem Auto, ihre Schülerinnen und Schüler wüssten, mit ihr könnten sie reden. Ich erlebe ein Presbyterium, das wie eine Eins hinter mir steht. Gestern bekam ich einen Brief des Bundestagabgeordneten des Kreises Herford, Herrn Schwarze. Oder nach einem wunderschönen Feierabendmahl am Gründonnerstag stehe ich mit einer älteren Dame zusammen in der Küche und spüle und sie sagt nur zu mir: Wir stehen das gemeinsam durch. Das ist wirklich wunderschön.
ALBRECHT: Haben Sie ein Gebetsanliegen, das Sie unseren Leser_innen, die für Sie und Ihre Situation beten möchten, mit auf den Weg geben wollen?
PEHLE: Ich möchte beten für mehr Toleranz. Für mehr aufeinander hören. Für mehr miteinander reden. Und dass Besinnung da ist darauf, dass Christus gesagt hat, ich lebe und ihr sollt auch leben, und auf den Bibelvers, du sollst deinen Nächsten lieben wie Dich selbst. Beten dafür, dass wir das mehr lernen.
Jörg Uwe Pehle (53) ist Pfarrer der evangelisch-lutherischen Stadtgemeinde St. Stephan im westfälischen Vlotho, wo er zusammen mit seinem Mann lebt.