Ein würdeloses Schauspiel
Foto: Matthias Albrecht
Die SPD inszeniert sich mit ihrem Kanzlerkandidaten Martin Schulz als Kämpferin für die Ehe für alle. Dabei scheint es der Partei jedoch weniger um die Gleichstellung von Lesben und Schwulen, als vielmehr um das eigene Wohl zu gehen. Ein Kommentar.

Der Schulz-Zug rollt. Der Kanzlerkandidat füllt Säle und beschert der SPD Umfrageergebnisse, die noch bis vor Kurzem undenkbar schienen. Die Demoskop_innen prognostizieren, dass er es durchaus auch mit der Bundeskanzlerin aufnehmen kann. Doch was treibt das Gespann, bestehend aus der Lokomotive Schulz und der SPD, die er hinter sich herzieht, an? Wo lässt sich die deutsche Sozialdemokratie zwischen den Polen inhaltlicher Überzeugungen und des puren Willens zur Macht verorten? Das Verhalten der SPD in der Frage der Ehe für alle lässt eher auf Machtkalkül schließen.

                                        

2013 plakatierte die SPD im ganzen Land den Slogan 100% Gleichstellung - nur mit uns. Dahinter stand das Versprechen der Einführung einer Ehe für alle. Schon damals war höchst fraglich, wie die Sozialdemokrat_innen diese Zusage durchsetzen wollten. Eine reale Regierungsoption ohne die Union war für die SPD nie wirklich in Sicht - und die Union lehnt eine Eheöffnung strikt ab. In den Koalitionsverhandlungen mit der CDU/CSU bewies die SPD, wie ernst es ihr mit der Ehe für alle ist. Ohne erkennbaren Widerstand gab die Partei, die bis dahin noch so vollmundig um die Wähler_innenstimmen von Lesben, Schwulen sowie deren Unterstützer_innen geworben hatte, ihr zentrales Wahlversprechen der Ehe für alle auf. Doch damit nicht genug. In den folgenden dreieinhalb Jahren fiel die SPD bei dem Thema lediglich dadurch auf, dass sie gemeinsam mit der Union immer wieder verhinderte, dass die Ehe für alle von der Opposition im Bundestag auf die Tagesordnung gesetzt und beraten wurde. Die Sozialdemokrat_innen hatten offenkundig kein gehobenes Interesse daran, durch solche Debatten an ihr gebrochenes Wahlversprechen erinnert zu werden und nutzten darum ihre Stellung als Regierungspartei, um solche Aussprachen zu verhindern. Darüber hinaus wird bereits seit 2015 eine Gesetzesinitiative zur Eheöffnung, die der Bundesrat verabschiedet hat, wegen der Blockade der SPD nicht im Bundestag beraten. Angesichts der langen Zeit, die diese Blockade bereits andauert, darf die Frage nach deren Verfassungsmäßigkeit gestellt werden. Denn der Bundestag ist verpflichtet, Anträge des Bundesrats "in angemessener Zeit" zur Abstimmung zu bringen.

Für den an Fahrt gewinnenden Bundestagswahlkampf scheint die SPD nun dringend neuen Kredit zu brauchen. Sie muss sich legitimieren, damit sie um die Stimmen derer, die eine Ehe für alle befürworten – immerhin über 80% der Deutschen –  glaubhaft werben kann. Dass dies nach dem Gebaren der letzten dreieinhalb Jahre schwer wird, haben wohl auch die Wahlkampfstrateg_innen im Willy-Brandt-Haus erkannt. Darum wagt die Partei jetzt die Flucht nach vorne und führt dabei ein fragwürdiges, ja würdeloses Schauspiel auf: Zunächst wird Martin Schulz als Hauptdarsteller, als Vorkämpfer für die Ehe für alle eingeführt. Der Politiker eignet sich hierfür hervorragend, denn er gehört der Bundesregierung nicht an, ist damit also über jeden Blockadeverdacht erhaben. Dass er den gegenwärtigen Koalitionsvertrag, der keine Ehe für alle vorsieht, als SPD-Präsidiumsmitglied inhaltlich immer mitgetragen hat, merken auch nur wenige. Neben Schulz betreten weitere Akteur_innen die Bühne, wie Johannes Kars oder Thomas Oppermann, die medienwirksam verkünden, die Ehe für alle solle noch vor der Bundestagswahl kommen, dies dann wenig später aber wieder relativieren, nur um es anschließend erneut medienwirksam doch wieder zu bekräftigen. Ein buntes Treiben mit allen Irrungen und Wirrungen, Höhepunkten und retardierenden Momenten, wie sie zu einem Schauspiel gehören. Im neuesten Akt, der vorgestern Premiere feierte, wurde ein großer Showdown inszeniert. Martin Schulz tritt zum ersten Mal als SPD-Parteichef beim Koalitionsgipfel auf und gibt sich dort als Verfechter eines neuen SPD-Gesetzentwurfes der Ehe für alle. Im Wissen, dass die Union das Vorhaben ablehnen wird, organisieren die Sozialdemokrat_innen in den sozialen Medien schon im Vorfeld eine Empörungsfront, die sich gegen die Rückständigkeit der CDU/CSU wendet. In den Statements der diversen SPD-Verantwortlichen nach dem Koalitionsgipfel wird diese Rückständigkeit der Christdemokrat_innen in wohlformulierten Statements betont. Weitere Akte dürften folgen.

Die Dramaturgie dieses Schauspiels ist offensichtlich. Die SPD will über das Nichtstun sowie die verfassungsrechtlich fragwürdige Blockade der vergangenen Legislaturperiode hinwegtäuschen und sich gleichzeitig als gesellschaftspolitisch progressive Gegenkraft zur Union profilieren. So soll die Schulz-Lokomotive erfolgreich auch über die mehr als holprig gewordenen Gleise der Wahlkampfveranstaltungen bei Lesben, Schwulen und deren Unterstützer_inen sowie den SPD-Auftritten im Rahmen der anstehenden CSDs rollen. Kritische Fragen nach der Untätigkeit der Partei in der Vergangenheit möchte mensch mit dem Verweis auf die Zukunft abwehren. Ob dies gelingt sei dahin gestellt. Erschreckend ist die Tatsache, wie weit die Sozialdemokrat_innen bereit sind, im Kampf um das Kanzler_innenamt zu gehen. Sie degradieren ein zentrales Grundrecht, nämlich das der Gleichbehandlung, für das Teile der Lesben- und Schwulenbewegung seit Jahrzehnten engagiert kämpfen, zu einer verfügbaren Wahlkampfmunition, und das nicht zum ersten Mal. Die Partei spielt mit den Hoffnungen, Ängsten und Sehnsüchten so vieler in diesem Land, die sich für ihre Beziehungen, ihre Kinder und ihre Familien Sicherheit, Anerkennung und Respekt wünschen. Da wo ein ernsthaftes inhaltliches Ringen um die Würde dieser Bürger_innen gefordert wäre, macht sie die SPD in respektloser Weise zum Spielball parteipolitischen Machtkalküls. Und das schadet letztlich auch der Demokratie im Ganzen. Mustergültig wird aufgezeigt, wie nicht das Wohl der Bevölkerung, sondern das der eigenen Partei zum Motor des Handelns wird. Die Folgewirkungen solcher sich stetig manifestierender Eindrücke können wir momentan am Erstarken rechtspopulistischer sowie rechtsextremer Parteien, in und außerhalb Europas beobachten.

Einen Rest an Glaubwürdigkeit könnte sich die SPD vielleicht bewahren, wenn sie den Gesetzentwurf des Bundesrates zur Ehe für alle nicht länger blockiert, oder, falls sie ihre Eitelkeit nicht überwinden kann, zumindest ihren eigenen Gesetzentwurf in den Bundestag einbringt. Sollte eines von beiden noch vor dem Sommer geschehen, gäbe es eine reale Chance, die Eheöffnung in den kommenden Monaten durchzusetzen. Jedenfalls dann, wenn die SPD-Bundestagsfraktion ihren Abgeordneten die Zustimmung empfiehlt oder, was noch besser wäre, den Fraktionszwang bei dieser Abstimmung aufhebt. In diesem Fall wäre eine Mehrheit gewiss, da auch LINKE und GRÜNE für die Ehe für alle stimmen – wie sie mehrfach bekräftigt haben.

Ein leichtes Geschmäckle behielte das Ganze angesichts der Vorgeschichte freilich trotzdem. Es hätte etwas von einem letzten wahlkampfträchtigen Super-Coup. Die Union wäre vorgeführt, auch ein stückweit handlungsunfähig, weil sie so kurz vor den Wahlen die Koalition nur noch schwerlich aufkündigen kann. Die SPD könnte sich als große emanzipatorische Kraft feiern lassen. Unbesehen dessen würden die Sozialdemokrat_innen damit Tatsachen schaffen. Die SPD bewiese Konfliktbereitschaft. Außerdem könnte sie die Gefahr, dass es nach der kommenden Bundestagswahl keine parlamentarische Mehrheit mehr für die Ehe für alle gibt, abwehren. Die Frage ist, ob die SPD diesen Mut um der Sache willen aufbringen wird. Täte sie es, könnten Sozialdemokart_innen dafür sorgen, dass endlich der letzte Vorhang in diesem würdelosen Schauspiel fällt.