Gay Skiweek in Arosa. Ich sitze vor der Skihütte zusammen mit einem Paar aus den USA, mit einem Paar aus Ungarn und einem Paar aus England. Natürlich dauert es nicht lange, bis jemand die Engländer fragt, ob sie nach dem Brexit demnächst wohl ein Visum für Europa und die Schweiz brauchen. Die Antwort ähnelt der, die ich in den letzten Monaten immer wieder gehört habe: "Wir hoffen, dass es nicht so schlimm kommt - und nutzen die Zeit, in der wir noch Teil von Europa sind. Unser Volk spinnt!" "Da seid ihr ja nicht mehr alleine", antworte ich - und versuche, die Amerikaner aufzuziehen: "Ihr wisst schon, dass es nicht so einfach ist, in der Schweiz Asyl zu beantragen?" "Ja, unser Volk spinnt auch - und den größten Spinner haben wir jetzt als Präsidenten. Wir sind froh, dass wir zur Inauguration nicht mehr in den USA gewesen sind." Die zwei Ungarn schalten sich in das Gespärch ein: "Was sollen wir sagen - wir haben einen Spinner bereits seit sieben Jahren an der Macht!?" - "Habt ihr in der westlichen Welt uns vergessen?", meine ich als Frage im Hintergrund mitschwingen zu hören.
Ich kenne Budapest aus der Zeit vor Viktor Orban - eine offene, lebendige Stadt mit einer netten lesbisch-schwulen Szene. "Wie ist das Leben heute in Budapest?", frage ich daher die beiden, "Könnt ihr als schwules Paar da noch offen leben?" Ja, sie fühlten sich immer noch wohl und sicher, antworten die zwei, aber die Stadt und vor allem das gesellschaftliche Klima hätten sich schon sehr verändert. "Man muss aufpassen, das Land und die Menschen sind konservativer und intoleranter geworden!"
Ich muss in dieser Situation unwillkürlich an die Pfingstgeschichte denken (Apg 2,14-36): Menschen aus allen Teilen der Welt sind da zusammen - und alle verstehen sie Petrus und werden zu der ersten großen Gemeinde. Sprachbarrieren wie damals an Pfingsten müssen wir vor der Skihütte natürlich nicht überwinden, denn Englisch ist uns allen vertraut. Aber dass hier so viele Menschen aus so vielen Teilen der Welt zusammen sitzen, miteinander ihre Sorgen und Ängste teilen, das ist bei der momentanen weltpolitischen Großwetterlage alles andere als selbstverständlich.
Als LGBTIQs haben wir über die letzten Jahrzehnte natürlich ein Gespür dafür entwickelt, in den verschiedensten Ländern der Welt Unseresgleichen zu entdecken und die Orte zu finden, an denen wir zusammen sein und uns finden können. Queere Reiseliteratur hilft uns dabei. Oft genug haben solche internationalen Kontakte auch lokale LGBTIQ-Bewegungen gestärkt, zum Beispiel, wenn internationale Delegationen an einem lokalen CSD (wie in Kiew oder Riga) teilnahmen.
In dieser Zeit, in der Abschottung, Nationalismus und Protektionismus wieder politikfähig geworden zu sein scheinen, könnte gerade uns queeren Christ*innen nun aber eine wichtige Aufgabe zukommen: Die beiden Communities, die uns prägen, zeichnen sich dadurch aus, dass sie Grenzen von Nation und Rasse überschreiten, ja dass diese Grenzen von untergeordneter Bedeutung sind - so wie der Apostel Paulus im Galaterbrief schreibt: "Hier ist nicht Jude noch Grieche, ihr seid alle eins in Christus." (Gal 3,28).
Wenn wir in solch weltweiten Gemeinschaften leben, dann kann es uns zum einen nicht egal sein, was mit unseren Mit-Queers zum Beispiel in Ungarn geschieht. Und dann können wir zum anderen aber nicht unbeteiligt bleiben, wenn überall auf der Welt neue nationalistische Töne zu hören sind. Es ist an der Zeit, politisch aktiv zu werden und wo immer möglich unsere Stimmen zu erheben: als queere Christ*innen, die um den Wert einer internationalen Gemeinschaft wissen!