Gott geht voran
Foto: Matthias Albrecht
Ein neues Jahr beginnt. Viele Lesben, Schwule, Bisexuelle, sowie inter- und transgeschlechtliche Menschen sehen mit Sorge in die Zukunft. Gott gebietet uns, in all unserer Not den Blick zu ihm aufzuheben. Eine Andacht zum Jahresanfang.

Endlich! Die Zusage ist da. Susanne wird nach Unna versetzt. Richtig fassen kann sie es noch nicht. So langes Warten. Nun die Gewissheit. Fünf Jahre Fernbeziehung werden zu Ende gehen. Susanne kann endlich zu ihrer Partnerin ziehen. Gemeinsam in einer Wohnung leben. Doch zu der Begeisterung gesellt sich auch die Wehmut. Was wird aus Susannes Heimatgemeinde? Sie leitet dort das Kindergottesdienst-Team. Bis zum Herbst sollte sie der Kommission vorsitzen, die eine_n neue_n Pfarrer_in vorschlägt. Kann Susanne jetzt so plötzlich gehen?

Benjamin hat sein Abitur bestanden. Jahrgangsbester. Voller Freude hält er das Zeugnis in Händen. Doch, wie geht es nun weiter? Sein Gemeindeleiter meint: "Studier Theologie. Du kannst das, Du wirst mal ein richtig guter Pfarrer!" Benjamin glaubt das auch. Aber er wäre auch ein schwuler Pfarrer. Kann das gehen? Und was passiert, wenn er mit seinem Gemeindeleiter und dem Hauskreis über diese Zweifel spricht?

Susanne und Benjamin. Am Ende des fünften Buches Mose geht es auch um zwei Menschen an einem Wendepunkt, Mose und Josua. Vierzig Jahre hatte Mose das Volk Israel durch die Wüste geführt. Nun, kurz vor Ende der Reise sagt Gott zu ihm, hier ist Schluss, ab hier übernimmt ein anderer für Dich: Josua. Er soll das Volk Israel als Moses Nachfolger über den Fluss Jordan führen. Und dann noch viel weiter.

Wo stehen wir gerade, am Anfang dieses Jahres? Sind wir eine Susanne? Sind wir ein Mose? Stehen wir wie die beiden kurz vor dem Abschluss einer wichtigen Aufgabe? Können wir nachvollziehen, wie es ist etwas loszulassen, etwas zu beenden, obwohl wir noch nicht bereit dazu sind? Es fällt uns Menschen oft schwer zu verstehen, dass nicht wir die Macher_innen sind. Gott selbst ist es, der sein Werk in Händen hält. Wir sind nicht mehr als sein Werkzeug, das er gebraucht, wann und wenn es ihm gefällt. Erst wenn wir das verstehen, kann sich zu unserer Wehmut auch Demut und Dankbarkeit gesellen. Dankbarkeit, die Mose empfand, weil Gott ihn über so viele Jahre begleitet hat. Dankbarkeit für die Gaben, die Susanne in ihrer Gemeinde einbringen konnte. Dazu kommt die Gewissheit, Gott wird weitergehen, mit seinem Volk Israel, mit seiner Gemeinde, mit Mose, mit Susanne, mit uns allen. Wir sind nicht von Werken und deren Fertigstellung abhängig. Abhängig sind wir nur von Gottes Liebe. Und die ist da. Im Überfluss.

Vielleicht geht es uns am Anfang dieses Jahres aber auch wie Benjamin. Wir wissen noch nicht recht, wo es hingehen wird. Das Ungewisse überfordert uns. Vor uns liegen Schritte, die wir uns nicht zu gehen trauen. Es fühlt sich an, als müssten wir einen reißenden Fluss überqueren. Allen denen es so geht, gilt Gottes Wort: "Der Herr aber, der selber vor Euch hergeht, der wird mit dir sein und wird die Hand nicht abtun und dich nicht verlassen. Fürchte dich nicht und erschrick nicht!" (5. Mose 31,8). Gott ist mit uns. Und er wird es immer sein. Was für eine Zusage! Er war da, als Josua mit dem Volk den Jordan kreuzte. Er wird bei Benjamin sein, wenn er sich seinen Geschwistern im Hauskreis anvertraut. Gott ist bei uns, auch in Furcht und Schrecken. Doch Furcht und Schrecken, dürfen wir die überhaupt empfinden? Heißt es nicht in dem Bibelvers: "Fürchte dich nicht und erschrick nicht!"

Ja, so steht es dort geschrieben. Doch hier ist keine Verdrängung, keine falsche Selbstdisziplin gemeint. Wir werden nicht aufgefordert, unsere Furcht, unseren Schrecken zu unterdrücken. Jesus sagt ja: "In der Welt habt ihr Angst" (Joh. 16,33). Christus hatte selbst Angst, damals im Garten Gethsemani. "Fürchte dich nicht und erschrick nicht!", diese Aufforderung macht erst Sinn, wenn wir den vorgehenden Satz dazu nehmen: "Der Herr aber, der selber vor Euch hergeht". Der Herr geht vor uns her! Gott bereitet uns die Bahn. So wie er es in der Geschichte der Menschheit immer tat. Gott teilt das Schilfmeer, um seinem Volk sicheres Geleit zu gewähren. Gott wird zum Schutzschild und bewahrt Daniel vor den Löwen in der Grube. Gott birgt Jona im Bauch des Wals.

Uns kann also nichts mehr zustoßen? Doch. Es kann. Und gleichzeitig: Nein, nie mehr kann uns etwas zustoßen! Benjamins Hauskreis kann negativ reagieren. Seine Glaubensgeschwister können ihn ausschließen. Er kann am Ende ohne Gemeinde dastehen. Schauen wir auf die vielen anti-homosexuellen Gewalttaten, etwa in Berlin dieser Tage, dann müssen wir sogar sagen, dass Lesben und Schwule manchmal um Leib und Leben fürchten müssen. Jesus gebietet uns: "Habt keine Angst vor denen, die euch umbringen wollen. Sie können nur euren Körper töten; eure Seele ist für sie unerreichbar" (Mat. 10,28). Jesus hat unsere Seelen errettet. Sein Opfertod am Kreuz hat uns längst für alle Zeit erlöst. Das schützt uns nicht immer vor Ausgrenzung, Anfeindung, Scheitern oder gar dem Tod. Aber, Gott wird in all diesem bei uns sein, mit uns leiden, uns trösten und, und das ist die unerschütterliche Hoffnung, das Leben wird an diesen Punkten nicht enden. Wir kehren dahin zurück, wo unsere eigentliche Wohnung ist, zu unserem Vater im Himmel. Diese Gewissheit lässt Paulus sagen: "Denn ich bin überzeugt, dass dieser Zeit Leiden nicht ins Gewicht fallen gegenüber der Herrlichkeit, die an uns offenbart werden soll." (Röm. 8,18).

Wir haben allen Grund mit Freude und mit Zuversicht in das kommende Jahr 2017 zu gehen. Gott ist mit uns! In der Freude. In dem Leiden. Wir können in dieser Gewissheit, in der Gewissheit unseres Heils, mutig unsere Aufgaben angehen, Prüfungen meistern oder auch an ihnen scheitern. Ein kurzes Gebet, das uns dabei Mut machen kann, ist der Titel eines Liedes von Nikolaus Ludwig von Zinzendorf: "Jesus, geh voran auf der Lebensbahn!"

AMEN