Donald Trump wird der nächste Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika. Am frühen Mittwochmorgen saß ich hellwach vor dem Fernseher. Ich konnte kaum fassen, wie die US-Wähler_innen entschieden haben. Wie mir ging es scheinbar vielen. Ein großer Teil der Menschheit hielt an diesem Tag den Atem an. Selbst Spitzenpolitiker_innen, zu deren professionellen Auftreten das Zeigen von Souveränität gehört, gaben sich ungewohnt hilflos. Bundeskanzlerin Angela Merkel betonte in ihrer Gratulation an Trump die gemeinsamen Werte, die zwischen Deutschland und den USA gelten. Sie hob hervor, dass hierzu "Demokratie, Freiheit" und der "Respekt vor dem Recht und der Würde des Menschen unabhängig von Herkunft, Hautfarbe, Religion, Geschlecht, sexueller Orientierung oder politischer Einstellung" gehöre.
Die deutsche Regierungschefin hat mit ihren Worten Grenzlinien markiert. Und zwar solche, die Trump unter anderem mit sexistischem, frauenfeindlichem Verhalten, dem Nachäffen von Menschen mit Beeinträchtigungen und rassistischen Äußerungen immer wieder überschritten hat. Dass es notwendig ist, diese Grenzen zu markieren, ist besorgniserregend. Die größte Demokratie der Welt wird künftig von einem Mann regiert, der ganz offen diskriminiert und symbolische Gewalt ausübt. Diese Entwicklung macht vielen Menschen Angst. So gingen bereits Tausende von Bürger_innen nach der Wahl auf die Straßen des Landes, um gegen den neuen Mann an der Staatsspitze zu demonstrieren. Wie wird dieser Präsident handeln? Wird er sein menschenverachtendes Verhalten in Regierungshandeln umsetzen? Kaum jemand kann das heute abschätzen. Wahrscheinlich, und das kann einem die größte Sorge bereiten, weiß es aktuell nicht mal Trump selbst.
Sicherlich gibt es keine einfache Erklärung, wie es Trump gelungen ist, die Wahl für sich zu entscheiden. Festzustehen scheint jedoch, dass es die "schweigende Mehrheit", wie der Republikaner sie selbst nennt und auf welche er trotz der für ihn schlechten Umfragewerte immer hoffte, tatsächlich gibt. Zumindest eine schweigende Mehrheit der Wähler_innen, haben doch nur knapp 57% der Berechtigten auch von ihrem Wahlrecht Gebrauch gemacht. Die Schweigenden, das sind überproportional viele ältere, eher gutverdienende, hellhäutige, heterosexuelle Männer. Sie können der Mittelschicht zugeordnet werden. Diese Gruppe fühlt sich von diffusen Abstiegsängsten bedroht oder hat einen relativen Abstieg bereits erfahren. Hinzu kommen angesichts von Einwanderung und Globalisierung Ängste vor dem Verlust kultureller Identität. Trump hat es im Wahlkampf verstanden, diese gefühlten Ängste aufzugreifen und zu verstärken. Messianisch anmutend verspricht der Millionär dem Publikum etwa, er werde Amerika und damit auch seine Zuhörer_innen wieder groß machen. Er gibt sich als der kommende starke Mann, der an der Spitze des Staates für sein Volk kämpfen will. Um die USA vor unkontrollierter Einwanderung „zu schützen“, verspricht er sogar den Bau einer Mauer entlang der gesamten Grenze zu Mexiko. Besonders mit diesem Versprechen brachte er immer wieder volle Säle zu euphorischem Jubel.
Nun wird Trump tatsächlich Präsident. Er muss sich beweisen. Wird er seinen Worten Taten folgen lassen? Wird er tatsächlich diese Mauer bauen? Wird er Amerika von Einwanderung und ausländischen Märkten abschotten? Wird er das reale Schrumpfen der Mittelschicht, die auch denen Angst macht, die nicht davon betroffen sind, beenden? Ich glaube nicht daran. Er und auch die, die ihn unterstützen, wissen genau, wie sehr gerade ihnen mit ihren horrenden Vermögen die Renationalisierung der US-Wirtschaft Schaden zufügen würde. Trump hat keinen materiellen Reichtum zu vergeben. Deshalb verteilt er symbolische Werte.
Trump wird denen, die sich ihrer Privilegien durch die Öffnung von nationalen Grenzen, den Errungenschaften der Friedens-, der Ökologie-, der Frauen- und der LGBTIQ-Bewegung beraubt und deshalb verängstigt fühlen, eine neue emotionale Sicherheit geben. Doch nicht durch Geld. Seine Politik wird darauf zielen, den hellhäutigen, heterosexuellen, amerikanischen Staatsbürger davor zu bewahren, einer unter vielen zu sein. Also das wofür emanzipatorische Kräfte seit vielen Jahrzehnten kämpfen. Trump will "den weißen Mann" an die Spitze der sozialen Hierarchie setzen. Mit Regierungshandeln, das die Einwanderung inklusive Asyl verhindert, Hasssprache straffrei macht und Geschlechter normiert wird der designierte Präsident eine Politik anstoßen, die die Bevölkerung dazu ermächtigt, auf Menschengruppen hinabzusehen. Der "weiße Mann" ist dann wieder wer. Er darf sagen, dass die Chines_innen Arbeitsplätze vernichten, er darf die Mexikaner als Vergewaltiger titulieren oder Menschen muslimischen Glaubens als potentielle Terrorist_innen diffamieren und ihnen darum die Einreise verweigern. Und es wird wohl nicht nur bei abschätzigen Blicken und verbalen Attacken bleiben. So berichten verschiedene Medien bereits jetzt von den sich häufenden rassistisch motivierten Übergriffen seit der Wahl Trumps.
Was diese Entwicklung für die Gleichstellung von LGBTIQs im Einzelnen bedeutet, ist noch nicht absehbar. Trump hat sich im Wahlkampf zu diesen Politikfeldern zurückhaltend geäußert, sogar frühere antihomosexuelle Aussagen indirekt infrage gestellt. Das christlich-fundamentalistische Lager, das stark in die republikanische Partei hineinwirkt, wetzt jedoch schon die Messer. So werden bereits Forderungen nach der Rückabwicklung der Ehe für alle laut. Und auch wenn Trump bei der Ehe vielleicht nicht zuerst die Axt anlegt, ist es kaum vorstellbar, dass er die Bereiche Geschlecht und Sexualität ausspart. Es gibt wenige Politikfelder, in denen so direkt in das Leben von Menschen eingegriffen und so spürbar Rechte zu- und aberkannt werden können. Trump weiß das und er wird sich dies zunutze machen. Aber selbst ein Nichtstun bei der Gleichstellung von LGBTIQs wäre bereits ein großer Schaden. Es ist ja nicht so, dass mensch die Gleichstellung bereits erkämpft hätte und nun nur noch deren Rückgängigmachung fürchten müsste. Die vielen Hassverbrechen gegen LGBTIQs, ihre Diskriminierung in der Schule oder am Arbeitsplatz und das Unsichtbarmachen in der Öffentlichkeit müssen beendet werden.
Schwere Auseinandersetzungen über die Frage, wer sein Geschlecht, seine Sexualität, seine Identität wie leben darf, kündigen sich an, bereits Erstrittenes droht wieder verloren zu gehen, gestern in Russland, heute in den USA, morgen vielleicht in Frankreich und übermorgen bei uns? Doch wie jede Krise birgt auch diese Chancen, die Chance etwa, breite gesellschaftliche Bündnisse zu formieren. Sich über eine Form der Unterdrückung klar zu werden, die alle betrifft und die alle in die Verantwortung stellt, sie zu überwinden. Eine Frage wird dabei sicherlich auch sein, wie sich die Kirchen in einem veränderten macht- und gesellschaftspolitischen Klima verhalten.
Gut ist es zu wissen, dass wir in dieser Situation nicht allein sind. Das ist ein Trost, der auch die momentane Ungewissheit bezüglich dessen, was konkret auf uns zu kommt, erträglich macht. Gott steht auf der Seite der Schwachen, das tat er immer, tut er immer und wird er immer tun. Egal wie der amerikanische Präsident auch heißen oder was dieser auch tun mag. Gott ist unsere Hoffnung im Leben und „Hope will never be silent“ (Harvey Milk).